“Schluss mit klotzig! Warum viele deutsche Städte in Hässlichkeit versinken. Das Beispiel Hamburg”
Leserbrief - Veröffentlicht am 17. Januar 2012 auf stadtbildberlin.wordpress.com

Hanno Rauterberg berichtete vor einigen Wochen in der ZEIT über die jüngsten baulichen Entwicklungen in Hamburg und seine Bestandsaufnahme fällt ernüchternd aus: Einfallslose, auswechselbare Neubauten, die sich nicht in das Umfeld einfügen, lieblose Umgestaltungen öffentlicher Räume oder auch die Zerstörung städtebaulicher Qualitäten an allen Orten.  Sind seine Beobachtungen nicht in vielerlei Hinsicht auch auf Berlin (womöglich auf alle anderen deutschen Städte) zu übertragen?

Viel wurde in letzter Zeit gebaut, vor allem an städtebaulich prominenter Stelle, doch das Ergebnis ist häufig mehr als fraglich. Die neuen Bettenburgen am Hauptbahnhof wie das Meininger Hotel oder das Motel One, die neuen Geschäfts- und Einkaufszentren wie das Alexa oder das Saturngebäude am Alexanderplatz oder Bürokomplexe wie das Spreedreieck an der Friedrichsstraße stehen weder für qualitätsvolles Bauen noch handelt es sich um Gebäude, die ihrem Ort einen besonderen Stempel aufdrücken. Eine “Stadt ohne Charakter” macht sich breit, da  ein Gespür für die besonderen lokalen Gegebenheiten sowie ästhetische Ansprüche offenbar verlorengegangen sind. Rauterbergs Feststellung scheint leider nicht nur auf Hamburg zuzutreffen:

“Das Wort Schönheit scheinen die Planer nicht zu kennen, es kommt in ihrem Konzept nicht vor.”

So lässt sich beispielsweise auch in Berlin überall eine Verkümmerung der Dachlandschaft beobachten. Die für alle sichtbare Haustechnik auf den Dächern von Neubauten scheint inzwischen nicht nur an der Binnenalster salonfähig geworden zu sein. In der Sonne funkeln die plumpen Aufbauten des neuen Bürogebäudes der DB am Nordbahnhof bis zur Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße. Und wenn man sich dann doch einmal die Mühe macht, die Haustechnik zu verkleiden, fällt das ganze in der Regel recht ambitionslos aus wie die dürftigen Plastikverschläge auf dem Spreedreieck veranschaulichen.

Die qualitätsvolle Wiederherstellung des Schinkelplatzes ist nur dem engagierten Eintreten von Klaus von Krosigk, dem ehemaligen Gartenbaudirektor im Landesdenkmalamt, zu verdanken. Ansonsten wäre womöglich eine ähnlich unambitionierte und gefühlslose Gestaltung wie am Alexanderplatz Ergebnis gewesen.
Und auch im Umgang mit dem Bauerbe ist man nicht gerade zimperlich. So werden Baudenkmäler wie am Engeldamm ebenfalls mit Technikaufbauten auf dem Dach zugestellt. Wenn es nicht die Lüftungsanlagen sind, sind es völlig neue Stockwerke, die sich noch verheerender auf die Bauten auswirken. Offenbar nimmt man schulterzuckend in Kauf, dass die gesamten Proportionen des Altbaus dabei aus dem Gleichgewicht raten. Ein Beispiel dafür ist in der Behrenstraße 42 zu sehen. Mit fragwürdigen Argumenten wird jedoch selbst geschützte historische Substanz völlig vernichtet. Der derzeitige Umbau des Verwaltungs- und Magazingebäudes der Staatsoper gehört derzeit zu den traurigen Höhepunkten dieser Entwicklung.

Es soll keine Schwarzmalerei betrieben werden. Es gibt auch positive Beispiele, aber dennoch lässt sich – ob in Hamburg oder in Berlin, in Hannover, Stuttgart, Frankfurt, München usw. – mit Rauterbergs Worten fragen:    “Warum hat man aus diesen Zerstörungen [gemeint sind der Zweite Weltkrieg und die Planungen der Wiederaufbauzeit] nichts gelernt? Was ist so schwer daran, sich in die Eigenheiten dieser Stadt einzufühlen und mit Umsicht das Bestehende weiterzuentwickeln? Ich habe nichts gegen moderne Architektur, ich erwarte nur, dass sie besser ist als die, die abgerissen wird, lebendiger, ansprechender, klüger in der Gestaltung.”

Direkt zum Artikel in der ZEIT vom 29. November 2011