FAZ 30. Juli 2010 - Von Andreas Kilb
Warum nicht ins Schloss?

Vor dem Zweiten Weltkrieg residierte das Berliner Kunstgewerbemuseum zwanzig Jahre lang im Schloss der Hohenzollern. Warum sollte es dort nach dem Wiederaufbau nicht wieder einziehen. Das Konzept des Humboldt-Forums muss ohnehin revidiert werden.

Nun darf wieder gehofft werden. Die Ankündigung eines Staatssekretärs aus dem Bundesbauministerium, der Bau des Berliner Schlosses werde „wohl“ doch in dieser Legislaturperiode beginnen, brachte das Projekt vergangene  Woche wieder einmal in die Schlagzeilen. Auch die Stülerkuppel von 1854, die der Vertreter des Ministers fälschlich zur „Barockkuppel“ machte, ist wieder im Gespräch, allerdings nur als Spielwiese für Spender und Sponsoren, auf deren Gaben man „zuversichtlich“ rechnet. Mit anderen Worten: Genaues weiß keiner, aber viele halten ihren Finger in den Wind und warten, dass der sich dreht.Die Anfang Juni vom Kabinett gefassten Sparbeschlüsse, nach denen sich der Baubeginn auf 2014 verschiebt, gelten aber nach wie vor, auch wenn der Bundestag sie noch nicht verabschiedet hat. So fragt sich, welche Budgetkonstruktion den ersten Spatenstich im Jahr 2013 ermöglichen soll. Gesucht wird, scheint es, eine Sprachregelung, die den festen Willen der Bundesregierung, am Schloss zu sparen und es gleichzeitig zu bauen, in flüssige rhetorische Formen kleidet.

 

Abgüsse reden mit Abgüssen
Der Bundesbaustaatssekretär sprach zur Eröffnung einer Ausstellung im Kronprinzenpalais, mit der die „Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum“ dem Publikum der Hauptstadt das Konzept des postmodernen Völkerkundemuseums (das so nicht heißen darf) hinter den Barockfassaden näherbringen will. So betrachtet man in einer Vitrine den Abguss eines Buddha-Reliefs der hellenistischen Gandhara-Kultur und liest dazu, seit ihrer Wiederentdeckung hätten die auf dem heutigen Staatsgebiet Pakistans gefundenen Bildwerke aus Gandhara „westliche Betrachter“ durch ihren „mittelmeerisch-antiken Touch“ fasziniert:

„Die spätere Ausstellungspräsentation im Humboldtforum wird diesen Dialog der Weltkulturen durch Gegenüberstellung von Kunstwerken direkt erlebbar machen.“

Werden im Schloss also Abgüsse mit Abgüssen reden, bewacht von Fotos klassischer Archäologen? Vielleicht holt ja die Antikensammlung der Staatlichen Museen Stücke aus ihrem Magazin, damit der heutige westliche Betrachter das griechische Vorbild im Faltenwurf des Buddhas erkennt.

Auf denselben festrednerischen Ton ist der Informationstext zu zwei hölzernen Wappenpfahlmodellen der Haida-Indianer auf den Queen-Charlotte-Inseln vor der kanadischen Ostküste gestimmt: „Heute besinnen sich an vielen Orten der Welt Angehörige der ursprünglich dort angesiedelten Kulturvölker ihrer künstlerischen und kulturhistorischen Wurzeln ... Es wird eine der spannenden und herausfordernden Aufgaben der neuen Präsentation der ethnologischen Sammlung werden, dem Dialog mit diesen Communities im Humboldtforum einen inspirierenden und in die Zukunft weisenden Ort zu geben.“

Ein sozialistischer Kulturvolkstumsbeauftragter der siebziger Jahre hätte es nicht pompöser formulieren können. Man fragt sich, wem die Kuratoren des geplanten Museums hier den Spaß verderben wollen: den kleinen Jungen, die noch vom Indianerdasein träumen? Dem Spender aus Bayern, der im Kronprinzenpalais nachschauen will, ob er die dreitausend Euro für ein Stück der Schlüterfassade richtig angelegt hat? Oder den Abgeordneten im Kulturausschuss, die unermüdlich vom „Ort der Weltkulturen auf dem Schlossplatz“ schwärmen, als genügte das Aufsagen dieser Beschwörungsformel, um die Sache selbst irgendwann wie Manna vom Himmel regnen zu lassen?

Denkmal oder Mahnmal?
Offensichtlich denken weder die Stiftung Preußischer Kulturbesitz als Hauptnutzer noch die Kulturpolitiker des Bundes und der Stadt Berlin daran, die fällige Konsequenz aus der Verschiebung des Schlossbaus zu ziehen und die Leitidee zur musealen Gestaltung dieses Denkmals – oder Mahnmals? – der Bundeskulturpolitik unvoreingenommen zur Debatte zu stellen. Das Konzept des Humboldt-Forums, heißt es nun wieder, sei nicht genügend „kommuniziert“ worden.

Die Kommentare, die nach der Verkündung des Sparbeschlusses aus den beteiligten Institutionen zu hören waren, sind dagegen sprechend genug. Hermann Parzinger, der Präsident der Preußenstiftung, brachte die Renovierungskosten ins Spiel, die den Dahlemer Sammlungen bei einem verspäteten Umzug in die Mitte Berlins entstünden. Claudia Lux, die Direktorin der Zentral- und Landesbibliothek, lehnte es ab, über den Anteil ihres Hauses an dem Neubau zu diskutieren: Wer hier „etwas rausbrechen“ wolle, stelle das Vorhaben insgesamt in Frage.

Zeit zum Umdenken
Dabei soll das Humboldt-Forum nach den Wünschen seiner Planer ja gerade ein Muster an Weltoffenheit und Transparenz werden. Nur wenn es darum geht, diese Offenheit auf das Projekt selbst anzuwenden, werden seine Nutzer intransparent. Aber Umzugskostenrechnungen, gewürzt mit kulturbürokratischer Bockigkeit, werden den festgefahrenen Großen Plan kaum wieder in Bewegung bringen. Es bleibt dabei, dass der barocken Hülle ein Sammelsurium von Objekten und Institutionen eingetopft wird, das weder auf den ersten noch auf den zweiten Blick wirklich zu ihr passt. Doch das vorurteilslose Nachdenken darüber, welche Museen für den Schlossbau grundsätzlich geeignet wären, scheint seit Jahren tabu zu sein.

Gerade jetzt aber wäre der richtige Augenblick, damit anzufangen. Eine solche Gelegenheit, die vor acht Jahren in gewisser Eile vom damaligen Stiftungspräsidenten Klaus-Dieter Lehmann und seinem Generaldirektor Peter-Klaus Schuster geschmiedete und seither kaum veränderte Humboldt-Konzeption zu überarbeiten, kommt nicht wieder. Nicht nur den Skeptikern, auch den ratlosen Befürwortern des Projekts wäre auf diese Weise geholfen.

Flickwerk aus Sammlungen
Dass die Landesbibliothek im Schloss im Grunde nichts zu suchen hat und nur als Platzhalter für den Kostenanteil der Stadt Berlin dient, hat sich bei vielen herumgesprochen. Auch der Anteil der Humboldt-Universität dürfte bei genauem Hinschauen denkbar gering sein. Bleibt das Flickwerk der außereuropäischen Sammlungen aus Dahlem. Was dieses teils sinnwidrige Zusammenwerfen von kulturhistorischen und ethnologischen Objekten mit dem Geist der Humboldt-Brüder zu tun haben soll, rätselte man schon im vergangenen Jahr in der Werksausstellung „Anders zur Welt kommen“ im Alten Museum. Man fragt es sich wieder angesichts der wirren Präsentation im Kronprinzenpalais.

Denn der Humboldt-Geist kann ja nur einer der Erkenntnis, nicht der tönenden Besserwisserei sein. Die Gegenstände sollen zum Sprechen gebracht werden, aber nicht durch Texttafeln, sondern durch den Zusammenhang, in dem sie stehen. Der geschichtliche Orientierungspunkt des Schlossbaus ist die Kunstkammer der Hohenzollern. Von ihr gingen die Sammlungen aus, die heute auf der Museumsinsel und am Kulturforum am Potsdamer Platz gezeigt werden. Ohne den Bezug auf die Kunstkammer bliebe das Schloss eine museumspädagogische Luftnummer.

Die Kunstschätze im Schloss
Die griechischen und römischen Skulpturen, die der Große Kurfürst und seine Nachfolger zusammentrugen, bilden heute den Grundstock der Antikensammlung im Alten Museum. Ein wichtiger Teil des einstigen Kunstkammerbestands aber ist in denkbar großer Entfernung vom Schlossplatz untergebracht. Es sind die Preziosen aus Renaissance und Barock, die nun den historischen Kern des Kunstgewerbemuseums am Kulturforum bilden. Das Kunstgewerbemuseum ist zugleich das einzige Berliner Museum, das nach der Abdankung der Monarchie in den Sälen des Hohenzollernschlosses untergebracht war. Von 1921 bis 1939 residierte es unter Stülers Kuppel, ehe seine Schätze zu Beginn des Zweiten Weltkriegs ausgelagert wurden. Nach dem Krieg gelangte das vor der Zerstörung gerettete Große Silberbuffet, das den Rittersaal des Berliner Schlosses geschmückt hatte, in die kunstgewerbliche Sammlung; heute wird es am Zweitstandort des Museums im Köpenicker Schloss gezeigt.

Wie eine Krankenkassenfiliale
Der Hauptsitz des Kunstgewerbemuseums aber ist ein Gebäude, das inzwischen jeder Beschreibung und auch jeder denkbaren Erneuerung spottet. Rolf Gutbrods aus Beton und Aluminium aufgeschachtelter Trumm von 1985 war schon bei seiner Einweihung umstritten. Heute wirkt er wie eine überdimensionierte Krankenkassenfiliale, die sich in ein hauptstädtisches Museumsquartier verirrt hat. Im Inneren führen labyrinthische Rampen und Treppen, blickdichte Brüstungen und schiefwinklige Säle den Betrachter irre. In klobige Vitrinen gepresst, dämmern die Exponate vor sich hin. An einem Julinachmittag ist man mit den Wächtern dieser Kostbarkeiten fast allein.

Dabei besitzt das Museum trotz gewaltiger Kriegsverluste eine der bedeutendsten kunsthandwerklichen Sammlungen weltweit. Zu ihr gehören nicht nur der zweiundvierzigteilige Kernbestand des mittelalterlichen Welfenschatzes aus dem Braunschweiger Dom und die Prunkgefäße des Lüneburger Ratssilbers, sondern auch erstrangige Gläser und Majoliken der Renaissance, barocke Uhren und Elfenbein-Preziosen, Rokoko-Möbel von David Röntgen, Stühle und Tische von Schinkel und van de Velde und Höhepunkte klassisch-modernen Designs.

Ein Haus im Dunkeln
Der kulturhistorische Wert dieses Ensembles ist so unschätzbar wie seine aktuelle Notlage evident. Sabine Thümmler, seit April Direktorin des Museums, würde lieber heute als morgen aus dem Gutbrod-Bau ausziehen, hat aber weder die finanziellen Mittel noch überhaupt eine Perspektive für ein neues Domizil. Auf der Prioritätenliste der Stiftung Preußischer Kulturbesitz steht das Kunstgewerbemuseum weit hinten. Ein Vorschlag zur Umgestaltung der Innenräume, den das vielgelobte Architektenbüro Kuehn Malvezzi vor sechs Jahren ausarbeitete, wurde als zu teuer verworfen. Als Minimallösung plant die neue Direktorin nun eine Modeausstellung auf der Galerie über den Mittelalterschätzen. Auf die Dauer wird das wenig helfen. Ihr Haus, sagt Sabine Thümmler resigniert, liege so sehr im Dunkeln, dass man selbst den Eingang zu ihm kaum finde. Der Besucher kann das bestätigen.

Zurück zur Geschichte
Die starre Vitrinen-Präsentation am Potsdamer Platz ist museumspädagogisch von vorgestern. Avancierte Kunstgewerbemuseen wie das Musée des arts decoratifs in Paris und das Victoria and Albert Museum in London zeigen ihre Bestände in Rauminszenierungen, die dem Besucher statt einzelner Exponate vergangene Lebenswelten vor Augen führen. Was spräche dagegen, solche historischen Räume auch im wieder aufgebauten Berliner Schloss einzurichten?

Mit der Kunstgewerbesammlung, die im siebzehnten Jahrhundert von preußischen Gelehrten begründet und seit 1867 von kundigen Berliner Museumsdirektoren erweitert wurde, könnte das Humboldt-Forum auf selbstverständliche Weise an die Geschichte des Ortes anknüpfen, an dem es entsteht. Von hier aus führen Entwicklungslinien zu fast allen großen Berliner Museumsschätzen, den Antiken auf der Museumsinsel, den Meisterwerken der Gemäldegalerie, den außereuropäischen Sammlungen in Dahlem. Das Kunstgewerbemuseum wäre das Fundament einer von Proporzdenken befreiten Neukonzeption des Schlossprojekts. Man muss diese Freiheit nur wollen.