Am historischen Jagdschloss Glienicke soll der Glaserker von Max Taut aufgebaut werden. Die Proteste reißen nicht ab

Berliner Morgenpost, 4.7.2012 - Von Katrin Lange

Als im Jahr 2003 ein Feuer im Jagdschloss Glienicke wütete, war das Entsetzen groß. Ein Kabelbrand hatte den kompletten Südflügel vernichtet. Nicht minder groß ist das Entsetzen jetzt beim Wiederaufbau und bei der Sanierung des zum Unesco-Weltkulturerbe gehörenden barocken Anwesens. Landeskonservator Jörg Haspel und der Senat haben beschlossen, den 1963 von Max Taut nachträglich eingebauten Glaserker wieder aufzubauen.

Diese Entscheidung hat einen Fassadenstreit heraufbeschworen, der bis heute andauert. Der Protest von Historikern, Architekten, Bürgerinitiativen, dem Bezirk und Politikern ebbt nicht ab. Sie wollen, dass die historische Fassade und damit die Freitreppe von Hofbaumeister Albert Geyer aus dem Jahr 1889 wieder rekonstruiert werden. Jetzt, kurz vor dem Aufbau der Taut-Fassade, meldet sich erneut ein Architekt in einem offenen Brief zu Wort. In letzter Minute appelliert Thomas Bittner an den Berliner Senat: "Bitte ziehen Sie die Reißleine! Bitte stellen Sie sicher, dass die historische Geyer-Fassade aufgebaut wird."

Der Architekt befürchtet, dass beim Jagdschloss Glienicke "ein bestimmter Geschmack durchgedrückt wird". Er habe nichts gegen Taut, aber der Erker ergänze nicht das historische Gebäude, sondern schaffe einen Kontrast, sagt Bittner. Das sei vor 50 Jahren vielleicht gewollt gewesen. Aus heutiger Sicht sei es aber eine Fälschung. Eine historische Ergänzung des Gebäudes würde wieder einen "Eindruck davon geben, was Baukunst einmal war". Deshalb sollte das Jagdschloss wieder so hergestellt werden, dass die Botschaft von damals zu erkennen sei.

Kaum ein Bauwerk hat so viele offene Briefe provoziert wie das Jagdschloss Glienicke. Entfacht wurde der Streit um die Fassade erst, als sich bei den Sanierungsarbeiten herausstellte, dass der Glaserker so marode ist, dass er komplett abgerissen und neu aufgebaut werden muss. Damit stellte sich die Frage, ob jetzt Taut oder die historische Fassade von Geyer aus Sicht des Denkmalschutzes erhaltenswert sei. "Für das Unesco-Weltkulturerbe spielt der Taut-Erker keine Rolle", sagt Architekt Bittner.

Landesdenkmalamt stellt sich quer
Das Landesdenkmalamt hat sich jedoch für Max Taut entschieden. Die Begründung erfolgte im Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses. Für Landeskonservator Jörg Haspel ist Taut ein Mittler zwischen der Moderne und der Geschichte. Der Architekt hatte Anfang der 60er-Jahre den Auftrag erhalten, mehr Licht und Luft in das 300 Jahre alte Schloss zu lassen, damit es als Jugendbegegnungsstätte genutzt werden kann. Als kurz nach der Auftragsvergabe die Mauer gebaut wurde und damit der Haupteingang auf der Seite von Klein Glienicke versperrt war, musste ein neuer Eingang auf der Zehlendorfer Gartenseite geschaffen werden. Max Taut reagierte mit seinen Plänen auf die aktuelle politische Situation. Deshalb sieht Haspel in dem Umbau eine "wichtige historische Aussage". Ihm gehe es darum, ein Stück historischer und politischer Bildungsarbeit an diesem Objekt zu ermöglichen. Gemeinsam mit der Glienicker Brücke und dem Schloss Cecilienhof sei das Jagdschloss Glienicke mit dem tautschen Erker ein Zeugnis des Eisernen Vorhangs.

Kritik an dieser Argumentation kommt vom CDU-Abgeordneten Uwe Lehmann-Brauns. Auch er hat mehrere offene Briefe, unter anderen an den Landeskonservator und den Regierenden Bürgermeister, geschrieben. Der "Respekt vor einer politischen Situation nach dem Mauerbau" könne nicht den Erhalt von Taut rechtfertigen, so Lehmann-Brauns. Er hofft immer noch, die Taut-Befürworter umzustimmen. Seiner Auffassung nach stellt "die Wiedereinfügung des Glaserkers heute eine nachhaltige, dauerhafte Verunstaltung und Verfremdung des Schlosses dar".

Ähnlich sehen es auch die Gesellschaft Historisches Berlin und die Bürgerinitiativen. Auch sie haben sich öffentlich zu Wort gemeldet. Sie berufen sich vor allem auf den offenbar mehrheitlichen Wunsch der Berliner, die historische Fassade mit der Freitreppe zum Garten zurückhaben zu wollen. Ihnen schließt sich Architektin Christina Petersen an. Sie ist vom Land mit der Sanierung des Jagdschlosses beauftragt worden und hat sich immer wieder dafür ausgesprochen, den Brand auch als Chance zu nutzen - als Chance zum Beispiel für die Heilung der "Wunden", die dem Jagdschloss zu Zeiten des Mauerbaus zugefügt wurden. Dazu sollte nicht nur der Einbau der historischen Fassade, sondern auch die Verlegung des Eingangs auf die ursprüngliche Seite von Klein Glienicke beitragen.

Baustopp in letzter Minute
Vor knapp einem Jahr nahm der Fassadenstreit dann noch einmal Fahrt auf. Nachdem Norbert Schmidt (CDU) in Steglitz-Zehlendorf das Amt des Baustadtrats von seinem Vorgänger Uwe Stäglin (SPD) übernommen hatte, verhängte er als Erstes einen Baustopp am Jagdschloss. Während die Senatsbildungsverwaltung die Bauherrin ist, weil sie in dem Jagdschloss ein Fortbildungsinstitut betreibt, ist der Bezirk für die Ausführung der Arbeiten zuständig. Stäglin hatte seine Zustimmung zur Taut-Fassade gegeben, Schmidt wollte sie durch den Baustopp widerrufen. Doch ein Gutachten ergab, dass der Bezirk nicht dazu berechtigt war, einen Baustopp zu verhängen.

Für die beauftragte Architektin Christina Petersen ist damit klar: "Der Baustopp ist aufgehoben, die Aufträge sind erteilt, der Baubeginn steht kurz bevor." Mehr wolle sie nicht mehr dazu sagen. Die Senatsbildungsverwaltung begrüßt, dass die Fassade endlich geschlossen wird. "Für die sozialpädagogische Fortbildungsstätte war der vorherige Zustand völlig inakzeptabel", sagt Staatssekretärin Sigrid Klebba (SPD). Durch den Baustopp hätten zentrale Funktionen der Bildungsstätte nicht zur Verfügung gestanden. Deshalb müsse der Bau auf der Grundlage der genehmigten Bau- und Kostenplanung mit der Taut-Variante umgehend fertiggestellt werden. Jeder weitere Zeitverzug würde zusätzliche Kosten und die Beeinträchtigung des Bildungsbetriebs zur Folge haben. Noch ist das Fassadenstück nur von Bauplanen verhängt. Bevor die Lücke geschlossen wird, sollten zumindest die offenen Briefe beantwortet sein.

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