Berlin vergibt Preise für Pleiten, Pech und Pannen
Zerlaufene Eierkuchen, eingebeulte Keksdosen, gestapelter Schichtkäse: Auch das Berliner Kulturforum wird zum städtebaulichen Fiasko. Die preisgekrönten Ideen und Entwürfe sind ein bitterböser Witz.
Die Welt vom 02.03.16 - Von Dankwart Guratzsch

Berlin sucht mal wieder seine Mitte. Diesmal dort, wo die Philharmonie und die Neue Nationalgalerie stehen. Hier soll für 200 Millionen Euro das "Museum des 20. Jahrhunderts" errichtet werden – ein Bau, der die deutsche Hauptstadt repräsentiert. Ein europäisches Riesenprojekt. Und einer der letzten großen Bausteine der Berliner Museumslandschaft. Mehr als 1000 Architekten aus aller Welt hatten die Wettbewerbsunterlagen angefordert, 460 reichten Entwürfe ein. Als die Arbeiten jetzt vorgestellt wurden, war der Andrang groß.

Und dann die unsägliche Enttäuschung: Der Wettbewerb ist praktisch gescheitert. Ein Riesenaufwand allein an Entwurfsarbeit und finanziellen Ressourcen (insgesamt mussten die 460 Büros zehn bis 15 Millionen Euro in ihre Arbeiten investieren) – aber umsonst. Zehn Preisträger, aber keine einzige zündende Idee darunter.

Das Berliner Kulturforum ist für viele ein "städtebaulicher Sehnsuchtsort – zugleich aber ein Ort der Unfertigkeit, eine der struppigsten Brachen Deutschlands". Es war kein Geringerer als Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der den Bauplatz auf diesen widersprüchlichen Begriff brachte. Dieser Ort, das klang fast pathetisch, gehöre "nicht Berlin allein, sondern der ganzen Welt". Wenn man sich vergegenwärtigt, wer an dieser Ausscheidung alles teilnahm (selbst zehn Chinesen), hat der Museenchef recht. Aber was waren die Vorgaben?

Die Raumkante der schiefen Ebene
Das Kulturforum Berlin, es ist so etwas wie die zweite kulturelle Herzkammer Berlins, neben der Museumsinsel. Städtebaulich bildet die weite, amorphe Fläche den letzten Rest von Hans Scharouns "Urstromtal" – einem stadtplanerischen Konstrukt aus jener Zeit, da Berlin noch Trümmerwüste war. Bis heute blieb es ein Torso. Eine Elefantenweide mit isoliert stehenden Monolithen. Dazwischen Stadtsteppe. Eine amorphe städtische Landschaft, in der sich so etwas wie ein architektonischer Morgenthauplan realisiert hat. Und an der alle noch so guten planerischen Ideen gescheitert sind. Jetzt steht nicht nur ein Museumsbau an – die klaffende Stadtwunde soll geheilt werden.

160428 wo die winde wehen

Aber nicht etwa die größte deutsche Behörde, die Berliner Baubehörde, ausgestattet mit einem Senator und einer Senatsbaudirektorin, hat dafür Konzeptionen entwickelt – sondern der weltweit ausgeschriebene "Ideenwettbewerb" (die erste Stufe des Wettbewerbs für das künftige Museum) sollte sie erbringen. Man wird den Verdacht nicht los: weil Berlin selbst keine Konzeption hat. Seit der Posten des Senatsbaudirektors von der Schweizerin Regula Lüscher verwaltet wird, entstehen die apartesten, skurrilsten, absonderlichsten Planungsleitbilder für die deutsche Hauptstadt am laufenden Band – von der Verlagerung des Wohnungsbaus in die "Draußenstadt" bis zur Verwandlung der Stadtmitte in ein Planschbecken und einen Erholungspark –, nur kein einziger Vorschlag für die Gestaltung des Zentrums einer Weltstadt.

Sie sollten nun aus aller Herren Ländern eingeholt werden, und das für ein völlig irrwitzig zugeschnittenes Grundstück. Die Raumkante zum zentralen Baukomplex, der verwirrenderweise ebenfalls den Namen Kulturforum trägt und sich dem Besucher mit einer beschönigend "Piazetta" genannten schiefen Ebene entgegenstreckt – ausgerechnet diese Reparatur der verpfuschten Anlage wurde ausgespart.

Darauf muss man erst mal kommen
In die Geschichte eingehen werden stattdessen die "Grundideen" für das neue Museum, die den Wettbewerbsteilnehmern mit auf den Weg gegeben wurden. Die bestehende "Stadtlandschaft" sei "verbindlich", die architektonischen Ikonen, darunter die Nationalgalerie von Mies van der Rohe und die Philharmonie von Scharoun, sollten durch den Neubau "besser erfahrbar werden". Das Haus solle spiegeln, dass das 20. Jahrhundert ein Jahrhundert "großer Brüche und Extreme", seit etwa 1960 eine Epoche "großer Offenheit, Experimentierfreude und Provokation" gewesen sei. Es solle vorgestellt werden als Ort des Widerspruchs, der Irritation und des Nonkonformismus, ein identitätsstiftender Ort für die "plurale und tolerante Gesellschaft", mit der "Überschneidung unterschiedlicher Medien und Gattungen" und Blickbeziehungen von innen nach außen.

Auf ein solches Kauderwelsch muss man erst mal kommen. Wie soll ein Gebäude aussehen, das solche Vorgaben aufnimmt? Ein Trümmerhaufen, eine Schutthalde? Oder eine Glaskiste, aus der die Besucher die Chaoslandschaft betrachten und die Kunstwerke bleichen? Es ist eine Visitenkarte des Zeitalters, über die man ins Grübeln kommen kann, wie verquollen und verquast sich der Kulturbegriff selbst für die Eliten heute darstellt.

Ist noch was zu retten?
Was hat dieser Wettbewerb gebracht? Ein Geschlinge und Getreppe von Baukörpern aller Größenordnungen, eine Kakophonie der Baumaterialien, einen wahren Würfelhusten kleiner und kleinster Kuben, ins Erdreich gegrabene Kunstbunker, architektonisches Plundergebäck, zerlaufende Eierkuchen, eingedatschte Keksdosen, wabernde Mollusken, gestapelter Schichtkäse. Für "eine der prominentesten Aufgaben Europas" (so der Juryvorsitzende Arno Lederer) eine Ausbeute, die, freundlich ausgedrückt, die "Vielfalt zeitgenössischer Bauideen" repräsentiert, aber eher ein Spiegelbild der Ratlosigkeit der Baukünstler gegenüber einer falsch, verworren oder gar nicht definierten Bauaufgabe ist. Die Jury zog sich ängstlich auf die nichtssagendsten, sachlich unanstößigsten zehn Arbeiten zurück.

Der geringste Vorwurf ist den Architekten und der Jury zu machen. Ohne eine überzeugende städtebauliche und museale Konzeption muss jede Anstrengung ins Leere laufen. Deshalb sollte man mit dem "Realisierungswettbewerb", also der zweiten Stufe, warten, bis eine solche Konzeption vorliegt. Im Vorfeld hatten prominente Architekten, darunter Volkwin Marg (Hamburg), Stephan Braunfels (München) und Rob Krier (Berlin) auf eigene Faust die Hausaufgaben des orientierungslosen Senats übernommen und selbst – zum Teil durchaus faszinierende – Vorschläge unterbreitet. Die Senatsbaudirektorin hielt es für besser, vorsichtshalber auf jegliche Festlegung zu verzichten.

Ist noch was zu retten? Ein Filmemacher warf ein: "Keine einzige brauchbare Idee. Fangen Sie noch mal von vorne an." Der Mann, wohlgemerkt kein Architekt, bekam Applaus. Das war's dann wohl wieder einmal mit einem Großprojekt für Berlin. Wann wird die Stadt begreifen, dass sie sich Pleiten, Pech und Pannen nicht mehr leisten kann?

Die Welt im Internet: www.welt.de