Im Zentrum Berlins soll die Bauakademie wiedererstehen. Ein architektonisches Dokument, das wie kein zweites für die Konfliktlinien der deutschen Architekturgeschichte steht
Die Welt vom 25.11.2016 - von Dankwart Guratzsch

Tilmann Buddensieg hielt sie für wichtiger als das Berliner Schloss. Als Kunsthistoriker und Professor an der FU und der Humboldt-Universität Berlin war er eine der maßstabsetzenden Figuren in der Berliner Kulturdebatte der 80er- und 90er-Jahre und hatte großen Einfluss darauf, dass die Erinnerung an sie nie verblasste: die Bauakademie auf dem Friedrichswerder, Karl Friedrich Schinkels wohl eigentümlichstes Werk.

Der in rote Ziegel gehüllte Kubus, einst Ausbildungsstätte für preußische Baubeamte, gilt vielen als Ikone der deutschen Baugeschichte, als ein Pilotbau, an dem die gesamte architektonische Moderne des 20. Jahrhunderts Maß genommen hat, als Vermächtnis und „letztes Wort“ des großen preußischen Baumeisters, der das Bauen in Deutschland wie kein zweiter beeinflusst und geprägt hat. Jetzt soll das zu DDR-Zeiten abgerissene Gebäude wiedererrichtet werden. Und erstmals regt sich kein Widerspruch gegen ein Rekonstruktionsvorhaben.

Das liegt nicht nur an der unwiederholbaren Originalität des Baus, sondern mehr noch daran, dass Vertreter fast aller architektonischen Konfessionen aus ihm ihre Legitimation herleiten: die Modernisten und die Traditionalisten, die Funktionalisten und die Rationalisten, die Romantiker und die Historisten. Denn Schinkel hat hier etwas errichtet, das sich auf unterschiedlichste Weise deuten lässt und das zweifellos an einer Gabelung der Architekturgeschichte steht.

Dieses Unikat zurückzugewinnen ist deshalb schon lange ein Traum der Architekten und Architekturprofessoren aller Lager, dem sich nicht einmal die Denkmalpfleger verweigern. Seit Jahren steht auf dem historischen Standort zwischen dem neu erstehenden Schloss und der Friedrichswerderschen Kirche eine Staffage, die das Äußere des roten Kubus in exakten Abmessungen mit allen Details, nur röter und verführerischer denn je, auf haushohen Planen simuliert. Wenn damit bezweckt wurde, den Wiederaufbau des Gebäudes ständig anzumahnen, so trägt der Aufwand jetzt Früchte.

Was die Fachwelt an Schinkels Bauakademie fasziniert, das ist ihre Eigenschaft als Rasterbau, der nicht eine, sondern vier völlig gleichförmige Fassaden – und deshalb (nach Erik Forssman) gar keine besitzt. Neu war auch die Ausführung in Rohziegeln, wie sie Schinkel gerade erst in England kennengelernt hatte, die Einteilung in gleich hohe Etagen und jeweils acht regelmäßige Achsen, die eine Hierarchisierung des Bauwerks, etwa durch ein piano nobile oder eine Mittelpforte, nicht zuließ, der Verzicht auf ein Satteldach, die Ausstattung mit großen Fenstern, neben denen die in dasselbe Format gestauchte Eingangstür fast wie ein Mauseloch wirkt. Das ist, so begeistern sich die einen, der erste Bau der architektonischen Moderne – siebzig Jahre, bevor der Deutsche Werkbund 1908 mit der Ideologie eines neuen Bauens die Auffassung von zeitgemäßer Architektur revolutionierte.

Aber seht ihr nicht die Pilaster, die der Fassade vorgelegt sind, das „mittelalterlich-gotische Konstruktionsprinzip mit Strebepfeilern und Gewölben“, das sich hier mit einer „klassisch empfundenen klar gegliederten Fassade verbindet“ (Mario Zadow), argumentieren die anderen. Ist euch die feine Ornamentik des Baus entgangen, die Kunst der figürlichen Terrakottareliefs, mit denen Fenster und Türen geschmückt sind? Schinkel hat sie selbst entworfen und allein damit unterstrichen, wie wichtig ihm die Ausstattung über die „rein radicale Abstraction“ hinaus war. Zudem hat er ihnen eine bedeutungsvolle Ikonografie von hoher Symbolik gegeben. In ihr wird greifbar, was der Baumeister das Historische und Poetische nannte, das einem Gebäude mitgegeben werden müsse, um es über den rein trivialen Zweck zu erheben. Ihr könnt die Bauakademie nicht für die neue Sachlichkeit vereinnahmen, sie steht im Gegenteil für Schinkels ostentative Abkehr von ihr.

Tatsächlich lässt sich die Bauakademie einer Reihe von mindestens vier Bauwerken zuordnen, die Schinkels „modernistische“ Phase repräsentieren: dem Wohnhaus Feilner, dem Neuen Packhof, der Bibliothek und dem Kaufhaus. Nur die ersten beiden wurden realisiert. Aber keines davon, auch nicht die Bauakademie, darf als Schinkels wirkliches Vermächtnis gelten. Ein solches legte er erst in seinem architektonischen Lehrbuch der späten 30er-Jahre des 19. Jahrhunderts nieder – mit fantastischen Entwürfen eines Schlosses auf der Akropolis, der „Residenz eines Fürsten“ und des Schlosses Orianda auf der Krim. Auch von diesen wurde kein einziger realisiert. Und doch besitzen wir so etwas wie einen fernen Nachklang zu ihnen in Gestalt des Neuen Museums seines Schülers August Stüler auf der Museumsinsel Berlin, jenes Bauwerks, das dieser „seinem innigst verehrten Meister“ ausdrücklich zugeeignet hatte, um, wie er schrieb, „seinen schönsten Entwürfen, die leider nicht ins Leben traten, hierdurch ein Andenken zu stiften“.

Nichts hat die Anhänger des Fortschrittspathos in der Architektur so sehr irritiert wie der vermeintliche „Rückfall“ des späten Schinkel in eine Architekturauffassung, die sich zu einer „höheren Baukunst“ jenseits „des nächsten trivialen Zweckes allein“ (Schinkel) bekannte. Sie haben den Blick auf Schinkels „letzte Baugedanken“ standhaft verweigert und wollten erst recht das Neue Museum als Zeuge solchen Bekenntnisses nicht gelten lassen. In der Art und Weise, wie dieser Bau jüngst durch David Chipperfield restauriert wurde, mag man ein Dokument solcher Ablehnung sehen. Es durfte nur als ruinenhafter Bau wiedererstehen, dessen Zeit längst verflossen ist.

Das ändert nichts daran, dass in dem jetzt beschlossenen Wiederaufbau der Bauakademie als ein Dokument der Wende in Schinkels Baugedanken alle heillos zerstrittenen Lager der Architektenschaft enthusiastisch zusammenfinden. „Wenn es überhaupt ein Gebäude in der Mitte Berlins gibt, das exemplarisch für die architektonische Modernität und Innovationskraft der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts steht, dann ist es die Bauakademie. Und wenn es ein Gebäude gibt, das es als Zeugnis des Vergangenen in dieser Mitte Berlins wert ist, wiederzuerstehen, dann dieser revolutionäre Ziegelbau von 1836.“ So Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der mit seinem Plädoyer für ein Deutsches Architekturmuseum in einer neu zu errichtenden Bauakademie am 11. Oktober 2016 im „Tagesspiegel“ den Anstoß zu deren Wiederaufbau gab.

Selten hat ein Appell so schlagartig gewirkt. Sämtliche seit 20 Jahren schützend und fördernd um das Architekturwerk gescharten Verbände und Persönlichkeiten vom Förderverein und der Errichtungsstiftung über den Verein Internationale Bauakademie Berlin bis hin zum Architekten- und Ingenieurverein Berlin (AIV) und zur Kulturstaatsministerin Monika Grütters beeilten sich, ihre Zustimmung zu signalisieren. Und fast gleichauf, nur einen Monat nach Parzingers Aufruf, gab jetzt der Haushaltsausschuss des Bundestages seinen Segen dazu. Er besteht aus der milden Gabe von 62 Millionen Euro für das Projekt. Endlich eine Investition, die auch wieder der Mitte Berlins zugute kommt, nachdem dort nur noch von Planschbecken und Marx-Engels-Gedächtnishainen die Rede war. Glückwunsch, Berlin!

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