Berliner Zeitung vom 6. Februar - Von Uwe Aulich

Die Sandberge türmen sich zwischen der Alexanderstraße und der Stadtbahntrasse auf, bedeckt noch von ein paar Schneeresten. Zwischen ihnen klaffen in der Erde lange Gräben. Mauerreste sind dort zu erkennen, auch glatt geschliffene Granitsteine. Die Archäologen vom Berliner Landesdenkmalamt sind sich allerdings noch nicht sicher, worauf sie dort in gut drei Meter Tiefe gestoßen sind. Sie vermuten, dass die Mauern zur Splittgerberschen Zuckersiederei gehörten, die 1754 erbaut wurde und eine von drei großen Zuckersiedereien der Stadt war.

„Wir wissen nicht genau, ob die Gründung auf Holzpfählen erfolgte“, sagt Uwe Michas vom Landesdenkmalamt. Eine Mauer aus Rüdersdorfer Kalkstein sei sehr sauber gearbeitet. Auch eine alte Straße habe man entdeckt sowie Reste des einstigen Festungsgrabens, der zur Stadtbefestigung Berlins gehörte. Wenn das Wetter es wieder zulässt, werden die Archäologen an der Alexanderstraße weitergraben, um Bauzeugnisse aus dem 16. Jahrhundert und möglicherweise auch eine frühere Vorstadtsiedlung zu finden.

Buddeln am Siedlungskern
Die neueste Ausgrabung bietet aber nur einen Vorgeschmack auf bedeutsamere Vorhaben der Archäologen in den nächsten Jahren. Ab 2018 dürfen sie neben dem Nikolaiviertel buddeln – dem historischen Siedlungskern von Berlin. Dort befand sich unmittelbar am ältesten befestigten Spreeübergang der Molkenmarkt. Er ist der älteste Platz Berlins, noch vor der ersten Erwähnung Berlins und Cöllns wurde dort gehandelt. Heute ist der Molkenmarkt allerdings nur noch eine hochfrequentierte Kreuzung.

Um den Verkehr nicht zu behindern, beschränken sich die Archäologen zunächst auf zwei Flächen: So werden auf dem Mittelstreifen des Mühlendamms, wo heute noch Autos parken, die Grundstücke am Molkenmarkt 10–13 erforscht. Dazu gehört das Haus zur Rippe, das erstmals 1504 erwähnt wurde, sagt der Berliner Archäologe Michael Hofmann. Nebenan wird auch auf der dreieckigen Grünfläche vor dem Alten Stadthaus gegraben, um vielleicht noch Zeugnisse der berühmten Zornschen Apotheke aus dem 17. Jahrhundert zu finden. „Im Boden könnten gotische Keller verborgen sein“, sagt Michael Hofmann. „Wir machen hier Grundlagenforschung zur Baugeschichte Berlins.“ Denn die Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg (1618–48) ist kaum dokumentiert, es gebe nur wenige Schriftquellen.Die Archäologen sind überzeugt davon, am Molkenmarkt in tieferen Erdschichten auch Spuren der mittelalterlichen Besiedlung aus dem 12. und 13. Jahrhundert zu finden. Das ist ihnen im vergangenen Herbst auf der Fischerinsel (Cölln) schon gelungen. Zudem wurden dort auch eine Latrine und Feldsteinmauern aus dem 14. Jahrhundert freigelegt.

Auf ähnlich spektakuläre Erkenntnisse hofft das Landesdenkmalamt nun am Molkenmarkt. Dort soll nach Senatsplänen die große Kreuzung in zwei Jahren umgebaut und die Grunerstraße verlegt werden. Bevor aber neue Geschäfts- und Wohnhäuser gebaut werden, gehören die freien Flächen ab 2020 für drei bis vier Jahre den Archäologen. Auf vier großen Flächen, jede umfasst etwa 3 500 Quadratmeter und ist damit so groß wie ein halbes Fußballfeld, werden sie graben, um die Geschichte der Ur-Berliner zu erforschen. Schwerpunkte sind dabei das Umfeld der Zornschen Apotheke, der Große Jüdenhof an der Jüdenstraße sowie das einstige Graue Kloster neben der Ruine der Klosterkirche. „Das Land führt diese archäologischen Grabungen durch, um sicherzustellen, dass dort archäologische Fenster realisiert werden“, sagt Karin Wagner, die Leiterin des Fachbereichs Archäologie im Landesdenkmalamt. Das heißt: Bedeutende Funde und Keller sollen erhalten werden und künftig öffentlich zugänglich sein.

Der Keller des Alt-Berliner Rathauses – so soll das archäologische Fenster einmal aussehen, hier der Blick vom neuen U-Bahnhof aus. Das mittelalterliche Rathaus wurde in den 1860er-Jahren abgerissen. Von den 20 Säulen sind teils nur Stümpfe erhalten. Geplant ist, eine Keller-Ecke mit Putz und Malereien nachzubilden. Der Raum wird vom Roten Rathaus aus zugänglich sein, wo eine stadtgeschichtliche Ausstellung eingerichtet wird.

Damit könnte in der historischen Innenstadt die Zahl der archäologischen Fenster steigen. Bisher sind lediglich drei geplant. Schon ab 2018 wird am Petriplatz über den Mauerresten einer alten Lateinschule ein Besucherzentrum gebaut. 20 Millionen Euro stellt der Senat dafür bereit. In dem Haus wird das Museum für Vor- und Frühgeschichte seine Werkstätten einrichten. Mit der Eröffnung des Humboldt-Forums Ende 2019 können die alten Keller des früheren Hohenzollernschlosses besichtigt werden. Und ein Jahr später wird das archäologische Fenster am Roten Rathaus fertig – mit 20 Pfeilern des alten Rathauskellers und einer Ausstellung zur Stadtgeschichte.

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