Berlin, 6. Januar 2016

Appell von vier Bürgervereinen an das Berliner Abgeordnetenhaus
In einem Brief an die Abgeordneten des Berliner Abgeordnetenhauses lehnen die vier Bürgervereine in der Historisches Mitte das Ergebnis des „Bürgerbeteiligungsverfahren“ ab, da es von der Senatsverwaltung regelwidrig gelenkt und manipuliert wurde.

Brief an die Abgeordneten des Landes Berlin vom 7. Januar 2016 [PDF, 1,39 MB]

Exkurs_ Gestaltungsvorschläge
Brief der Bürgervereine an das Abgeordnetenhaus - Verfahrenskritik zur Stadtdebatte „Alte Mitte-Neue Liebe“ , Januar 2016 [PDF, 1,08 MB]


Erläuterungen zum Dialogprozess „Berliner Mitte“

„Alte Mitte – Neue Liebe?!“ Debatte Berliner Mitte 2015
Bürgerbeteiligungsverfahren zur Gestaltung der Historischen Mitte im Auftrage des Senates

siehe auch: Worshop zum Wiederaufbau des Stadtkerns von Alt-Berlin

Verfahrenskritik

Einleitung
Das Bürgerbeteiligungsverfahren wurde vom Verfahrensträger nicht gut vorbereitet.
Eine gründliche Analyse der möglichen involvierten Akteure unterblieb. Große relevante Personengruppen wurden nicht in das Steuerungselement “Kuratorium“ einbezogen. Dadurch war keine hohe Qualität des Prozesses gegeben. Die Senatsbaudirektorin berief in das Kuratorium mehrheitlich Personen, von denen sie keinen Widerspruch zu erwarten hatte. Erwartungsgemäß nahm dann das Gremium seine Wächterfunktion auch nicht wahr.

Klärung der Rahmenbedingungen
Es wurde zu Beginn unterlassen, darüber zu kommunizieren, welches Ausmaß an Beteiligung gewährt wird, welche Entscheidungsspielräume es gibt, wo die Grenzen sind und mit welchem Aufwand die Beteiligten zu rechnen haben.

Planung der Beteiligung
Das Verfahren setzte viel zu spät an und wurde nicht umfassend und frühzeitig geplant.
Nach einer jahrelangen politischen Diskussion waren die Fronten verhärtet.
Relevante Personen oder Personengruppen zur Vertretung bestimmter Interessen wurden nicht definiert und nicht berücksichtigt.
Der richtige Grad zur Verengung der Fragestellungen wurde nicht gefunden und auch von Beginn an gar nicht erst gesucht.
Die Organisatoren wählten ein Online-Partizipationsverfahren. Wen man mit diesem Verfahren erreichen wollte, blieb bis zuletzt unklar. Eine Zielgruppe wurde nicht definiert.
Die Einstiegshürden für die Bürgerbeteiligung waren viel zu hoch. Anstatt zu erst die Informationen, die es bislang gibt, als Denkanstöße für die Bürger aufzubereiten, sollte man direkt „auf einem weißen Blatt Papier“ seine Meinung sagen. Auch wurden vorab keine Meinungsäußerungen aus der Politik, Architekten- und Bürgerschaft vermittelt.
Auch viele Veranstaltungen, wie beispielsweise partizipatives Theater wurden nur im geringen Maße angenommen. Die Hemmschwelle, bei solchen Veranstaltungen aktiv mit zu machen, war extrem hoch.
Nennenswerte Offline-Aktivitäten wurden bisher nicht bekannt.
Eine Einladung an einer Veranstaltung teilzunehmen, erfolgte nicht über eine Zeitungsanzeige. Auch andere Medien wie Postwurfsendungen mit Faltblättern oder Briefen wurden nicht eingesetzt. Damit entfiel auch die Notwendigkeit, beide Verfahren - Online und Offline - miteinander zu verknüpfen.

Auswahl der Räumlichkeiten und der Ausstattung spielen eine wichtige Rolle.
Als Veranstaltungsorte wurden ausschließlich Gebäude östlich des Vorhabensorts am Alexanderplatz gewählt. Die Wahl dieser Veranstaltungsorte war für viele Bürger außerhalb des Bezirkes Mitte ein unattraktiver Ort. Das Berliner Rathaus, der alte Marstall, das Staatsratsgebäude und die Humboldtuniversität wären für viele Berliner eine zusätzliche Motivation zur Teilnahme gewesen.

Ablauf der Debatte

Lenkung, Kanalisierung und Beschränkung der Debatten

Auf allen Fachkolloquium und Bürgerwerkstätten wurden Kleintischgruppen gebildet. Ausschließlich in diesen Gruppen gab es die Möglichkeit eines Gedankenaustausches.
Den Fachleuten auf dem Podium wurde nur eine sehr kurze Redezeit eingeräumt.
Das Resümee am Schluß einer Veranstaltung wurde der voraus gewählten „Anwohnerin“ vom Spittelmarkt, Frau Prof. Dr. Anni Seidl oder von Vertretern der Verwaltung vorgenommen.
Bezug genommen wurde nur auf die Aussagen der Tischgruppensprecher, die in ihren Berichten die Mehrheitsmeinung der Tischgruppe wiedergaben. Dies war Veranlassung für eine nicht unerhebliche Zahl von Fachleuten, an der gelenkten Debatte nicht mehr teilzunehmen.
Bei der Auswertung der einzelnen Veranstaltungen wertete das Büro Zebralog nur die Mehrheitsvoten der Kleintischengruppen. Z. B. votierten von 15 Gruppen 2 Gruppen für Programme für Wohn- und Gewerbenutzungen. Die Minderheitsmeinungen an den übrigen 13 Tischen wurden nicht mehr erwähnt.
Im abschließenden 3. Fachkolloquium diskutierten Thesen-Tischgruppen die vorgegeben Thesen ohne zu klaren Ergebnissen zu kommen.

Auf der 1. Bürgerwerkstatt wurde den Kleintischgruppen aufgegeben, Funktionsbenennungen´ auf Zetteln im Bierdeckelformat auf der Freifläche anzuordnen. Dies hatte nichts mit Stadtplanung unter Einbeziehung der 800 jährigen Geschichte des Ortes zu tun.

Auf der 2. Bürgerwerkstatt wurden erstmals Themen bezogene Tischgruppen gebildet. Ein Drittel der Tischgruppen mit mehr als 40 % der Teilnehmer sprachen sich für eine Teilbebauung aus und stellten dies konkret mit Skizzen dar. Die übrigen Tischgruppen äußerten sich mit Sprechblasen -aufgezeichnet im Lageplan des Quartiers- ohne Klarheit in der Ausformulierung der Vorschläge.

Online-Debatten: Eine Vielzahl von Debattenbeiträgen war unsachlich. Dies war darauf zurückzuführen, daß die Teilnehmer mehrheitlich ohne Nennung ihres Namens teilnahmen.

Der Online-Dialog war von Zebralog in drei Zeitblöcke unterteilt worden.
Im ersten und längsten Teil von Februar bis März 2015 wurde die Frage gestellt, ob man gern oder nicht gern die alte Mitte rund um den Fernsehturm besucht. Von den über 3000 Beiträgen haben mehr als 60% der TeilnehmerInnen formuliert, dass sie nicht gerne den Stadtraum rund um den Fernsehturm besuchen. Im Mittelpunkt der Beiträge stand die Kritik am Städtebau und der Architektur der 1960er Jahre. Es ist nicht nachvollziehbar, warum diese Voten von Zebralog in der Planung und der Präsentation in der Auftaktveranstaltung überhaupt nicht berücksichtigt wurden.
Zebralog veröffentlichte nur bestimmte von ihr ausgewählte O-Töne der Beiträge und keine vollständige Wiedergabe.

2. Online-Block von April bis Mai: Die Moderation kanalisierte die Themenauswahl auf folgende 5 Thesen:

Infolge dieser unzulässigen Vorgabe gab es weniger Beiträge zu einer Bebauung.

Laut Zebralog gab es kein deutliches Meinungsbild. Von den ca. 320 Beiträgen stimmten – überschläglich ermittelt – 50% für eine Bebauung und 50% für eine Nicht-Bebauung. Aber auch hier keine vollständige Sammlung der O-Töne, wieder nur eine Auswahl von Zebralog.

Im 3. Online-Block vom September bis Oktober fällt die Moderation aus ihrer Rolle und verletzt ihre Neutralitätspflicht mit dem Motto: Jetzt muss passend gemacht werden was nicht passt. Wiederholt greift die Moderation in die Inhalte ein und ermahnt -mit dem Verweis auf das Meinungsbild des Halbzeitforums- einzelne TeilnehmerInnen, sich nicht mehr für eine Bebauung zu engagieren, da Beiträge, die über eine geringe Teilbebauung hinaus gehen möchten, nicht mehr veröffentlicht werden sollen.
Deutlich wird dann die Einflussnahme in der Auswertung.
Die Moderation schreibt nun, dass sich nur "7%" der Beiträge für eine "Bebauung" positioniert haben. In den Aussagen zum "unterschiedlichem Nutzerverhalten" arbeitet die Moderation mit Behauptungen und inhaltlichen Bewertungen, ohne diese begründen zu können.
Mit dieser Einflussnahme wird aus den Beiträgen "ca. 50% der Beiträge für eine Teilbebauung der Berliner Mitte" eine „deutliche Minderheit“ von Zebralog konstruiert, da diese Beiträge ja deutlich weniger "Likes" erhalten haben.

Halbzeitforum:
Das Mikrofon wurde nur an vorausgewählte drei von ca. 20 Dialogbotschaftern gegeben. Eine Debatte im Plenum wurde dann nicht zugelassen. Die Dialogbotschafter, die aus den Fachkolloquien als Bebauungsbefürworter bekannt waren, hatten nicht die Spur einer Chance auf einen Redebeitrag.
Es durfte nur an den Tischen in kleiner Runde diskutiert werden. Die Thesen wurden von Zebralog vorgegeben. Die TED-Meinungsbildabfrage bzgl. der weiteren Disposition der Thesen in der zweiten Dialogphase war nicht für alle verständlich und sorgte für Irritationen. Bei einigen Teilnehmern entstand der Eindruck, mit ihrer Stimme über die zukünftige Gestaltung des Areals abschliessend abzustimmen. Die mehrheitlich anwesenden Anwohner stimmten für einen Erhalt der Freifläche.
Nun durfte Frau Bluhm (Die Linke) einfach zum Mikro nach vorne stürmen, mit der Forderung des sofortigen Ausschlusses der Punkte aus den Bürgerleitlinien, deren Inhalt eine Bebauung vorsieht
Doch war vorgesehen, die Thesen, die auf mittelstarke Widerstände trafen, genau zu erfassen und zu diskutieren; so auch z.B. These 11 - Teilbebauung der Berliner Mitte, Mittelwert 5,53.
Unter großem Gejohle wurde dann die TED Abstimmung für den Freiraum gefeiert...und es war offenbar niemandem peinlich... soviel zum von Senator Geisel geforderten fairen Umgang miteinander!

Schlussveranstaltung
Die Stadtdebatte wurde am 28. November 2015 zu Ende geführt.
Das beauftragte Büro Zebralog und die Moderation stellten die vorformulierten Leitlinien vor. Eine offene Diskussion über den Inhalt sowie über das bisherige Verfahren wurde schon nach zwei Wortbeiträgen unterbunden. Die Teilnehmer wurden von der Veranstaltungsleitung in Gruppen je Bürgerleitlinie eingeteilt. Auf Drängen der Teilnehmer durfte sich eine zusätzliche, nicht eingeplante Gruppe „Thesendiskussion“ bilden.
In dieser größten Gruppe wurden die Thesen „Teilbebauung auf historischem Grundriss oder Nicht-Bebauung“ sowie der Verfahrensverlauf sehr kontrovers diskutiert. Aktive PolitikerInnen wie Carola Bluhm und Katrin Lompscher nahmen wie bereits an vorherigen Veranstaltungen an der Gruppendiskussion teil und dominierten mit ihren ausführlichen Beiträgen die Diskussion.
Von den Befürwortern einer Teilbebauung wurde sehr nachdrücklich von dem Büro Zebralog verlangt, dass die These „Teilbebauung auf historischem Grundriss“ unmittelbar im Anschluss an die 10 Leitlinien im Abschlusspapier aufgeführt werde. Dies wurde den Teilnehmern auch zugestanden.
Bei der Schlussdiskussion im Plenum konnte Herr Hoya nur kurz in zusammenfassenden Worten über die sehr kontroverse Diskussion berichten. In seinem Ausblick auf das Jahr 2016 wies er darauf hin, dass die Gesellschaft Historisches Berlin e.V. und auch die anderen Bürgervereine der Historischen Mitte nur an einer weiteren Debatte zur Gestaltung der Historischen Mitte teilnehmen würden, wenn die Mängel des jetzigen Verfahrens abgestellt würden und folgende Bedingungen erfüllt werden:

  1. Ein Steuerungsgremium muss aus einem in einem Bewerbungsverfahren ermittelten und ausgewogenen Personenkreis bestehen.
  2. Eine umfassende Transparenz des Verfahrens muss gegeben sein.
  3. Es muss mit Bildern im Wechselspiel mit verbalen Argumenten gearbeitet werden, damit eine Stadtbaudiskussion ermöglicht wird. Diese steht im Gegensatz zu der bisher geführten Diskussion über die Nutzung des Quartiers.
  4. Auf eine Lenkung - auch verdeckt - ist zu verzichten.
  5. Den Bürgervereinen muss eine Möglichkeit gegeben werden, die Bürger über die Geschichte des Ortes zu informieren.

Resümee

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