Die James-Simon-Galerie wird die Berliner Museumsinsel weit mehr verstellen, als gedacht

Berliner Zeitung, 13.03.2010 - Von Nikolaus Bernau

Ein neuer Berliner Museumsstreit steht möglicher Weise bevor, und zwar um die James-Simon-Galerie, für die derzeit zwischen Kupfergraben und Neuem Museum die Fundamentarbeiten beginnen. Entworfen wurde sie von dem englischen Architekten David Chipperfield und seinem Büro. Das Team wird seit einem Jahr weltweit für den Wiederaufbau des Neuen Museums gefeiert. Auch das Konzept für die Galerie geht auf diese Architekten zurück; der Auftrag wurde 2001 ohne Wettbewerb an sie vergeben.

Doch trotz des Namens Simon - der an den wichtigsten kaiserzeitlichen Mäzen der Museen erinnert - wird dieser Bau nur sehr bedingt ein Ausstellungshaus werden: Der einzige, nur mit Kunstlicht versehene Raum für Präsentationen befindet sich im Tiefgeschoss und ist weit weniger dramatisch inszeniert als die diversen Eingangshallen oder gar das Café. Dieses ist inmitten einer luftigen Säulenhalle auf der hochgelegenen Terrasse geplant, mit Aussicht auf den Kupfergraben und den Lustgarten. Ein garantierter Besucher-Hit, zumal diese Terrasse Tag und Nacht geöffnet sein soll.

Aber auch das lange geforderte populäre Lernzentrum zur Kunst, wie es der Erinnerung an den bedeutenden Bildungsmäzen Simon ebenfalls entspräche, wird der Bau nicht. Zwar ist endlich ein großes Auditorium für die Museumsinsel vorgesehen. Doch Gruppen- oder museumsdidaktische Räume sucht man vergebens, ganz zu schweigen von einem Kindergarten, wie ihn viele amerikanische Museen neben ihrem Haupteingang anbieten.
Die James-Simon-Galerie ist also keine wirkliche Galerie oder der Breitenbildung gewidmet. Wozu dient sie dann? Der in der Verwaltung gebräuchliche Titel "Eingangsbau" sagt es. Vor allem nämlich ist der Neubau als Zugang zur Archäologischen Promenade gedacht, die künftig die Sockel- und Untergeschosse des Alten, des Neuen, des Pergamon- und des Bode-Museums verbinden wird. Und er soll mit großen Garderoben und Toiletten, einem Museumsshop, weiten Zugangsflächen und Aufzügen den "Kurzrundgang" durch das Pergamonmuseum erschließen, der - wenn denn die Pläne realisiert werden - künftig dessen Architektursäle zusammenfasst. Wegen der dafür geplanten herben Eingriffe ins Welterbe Pergamonmuseum ist diese museumsintern ironisch als "Touristenrennbahn" bezeichnete Anlage allerdings sehr umstritten.

Zwischen Neuem Museum und Kupfergraben ist wenig Platz, zumal hier auch noch ein neuer Peilerhof entstehen soll. Die Folgen für den Eingangsbau sind trotz aller Entwurfskunst Chipperfields oft absurd. Obwohl schon zwei Geschosse in der Erde verschwinden, müssten etwa Schließfachanlagen und Garderoben in einem niedrigen Zwischengeschoss unterkommen, nur erreichbar über kleine Treppen und Aufzugzwischenhalte.
Solche Details zeigen, dass die Anlage nicht für Individualtouristen gedacht ist, sondern für diejenigen, die unbeschwert von Mänteln und Gepäck in Bussen und als vorgebuchte Gruppen anreisen. Gerade diese Bus-Touristen können über die prachtvolle Freitreppe oder mittels des Aufzugs eilig auf die Terrasse gehen, durch die Foyerhalle ins Pergamonmuseum gelangen, um nach Absolvierung des Kurzrundganges - 40 Minuten sind dafür vorgesehen - das Haus rasch wieder zu verlassen.

Aber sollten sie nicht vorher noch Geld im Café und im Museumsshop ausgeben? Für die Staatlichen Museen, deren Etat seit 1996 (!) eingefroren wurde, sind solche Zusatzeinnahmen inzwischen überlebensnotwendig. Dennoch ist der Museumsshop ebenfalls im unattraktiven Zwischengeschoss geplant. Besucher, die schon zu ihren Bussen drängen, werden kaum hier herabsteigen, um Postkarten, Kaffeebecher, T-Shirts, Bücher oder Halstücher zu kaufen. Der Shop wird also kaum mit dem Erfolg jener grandiosen Geldsammler konkurrieren, wie man sie aus London, New York oder Paris kennt.

Fataler noch sind die städtebaulichen Folgen des Eingangsbaus. Allein vom Lustgarten aus wird man hinter ihm, und darüber täuschen alle vom Büro Chipperfield oder von den Museen veröffentlichten Ansichten elegant und selbstbewusst hinweg, die ganze Westfassade des Neuen Museums sehen können - in einer überaus straffen Diagonalperspektive.

Radikaler noch ist der Wandel hin zum Kupfergraben, also zu derjenigen Seite, die die meisten Besucher der Museumsinsel Richtung Bode- und Pergamonmuseum entlanggehen. Geschlossen steigt hier der Sockel aus dem Wasser. In ihm verbergen sich die Nutzräume des Eingangsbaus, deswegen ist er erheblich höher als der Sockel des Pergamonmuseums, nimmt stattdessen die Linie von dessen Säulenbasen auf. Das ist keine winzige Differenz, in der Länge der Kupfergrabenfront aber von mächtigem Eindruck.

Die Säulenhalle, die Chipperfield über diesem Sockel plant, wird gar ohne jede funktionale Begründung so hoch sein, dass der Eingangsbau insgesamt das Neue Museum und die Seitenfassaden des Pergamonmuseums verstellt, obwohl sie für dessen körperliche Gesamtwirkung zentral sind. Die Schnittzeichnungen des Büros von Chipperfield und sein Modell zeigen diese Effekte eindeutig. Allenfalls, wenn man tief in die Charlottenstraße geht, wird man die Oberkante des Neuen Museums noch sehen können. Und einen Fassadenausschnitt in dem schmalen Ausblick, der wie ein gerahmtes Bild zwischen den Pfeilern der Eingangsbau-Halle geöffnet werden soll.
In Chipperfields Projektbeschreibung ist offen die Rede davon, vor allem die "städtebaulich wirksamste Seite des Grundstücks zu Lustgarten, Schlossbrücke und Unter den Linden" auszuschöpfen. Tatsächlich ist die Ansicht der Museumsinsel von der Schlossbrücke aus eine legendäre Stadtkomposition Berlins. Doch trat ihrer ideellen Ausrichtung aufs königliche Schloss seit 1907 mit dem Bau des weit zur Innenstadt hin geöffneten Pergamonmuseums eine neue, quasi bürgerliche Perspektive zur Seite, eben die Promenade am Kupfergraben.
Diese bürgerliche Ansicht der Museumsinsel ignoriert Chipperfields Projekt vollständig. Zugleich verfälscht gerade er, der doch das Neue Museum so gut kennt wie wenige sonst, mit der Höhe seines Eingangsbau-Entwurfes eine von dessen wichtigsten ideellen Botschaften. Immer nämlich waren die Obergeschossfassaden mit den zierlichen Fensterfiguren sowie der Treppenhausgiebel mit seiner Inschrift weithin zu sehen und feierten die Herrschaft der Kunst über den im Packhof symbolisierten Alltag. Nun wird diese Botschaft verstellt, ja, angesichts der profanen Funktion des Eingangsbaues regelrecht umgekehrt.

Die Staatlichen Museen wollen, obwohl ähnliche Projekte etwa in Rom und Paris an der Entdeckerfreude der Besucher scheiterten, unbedingt festhalten an der Besuchersortierung und dem Schnellrundgang. Dafür benötigen sie einen zentralen Eingangsbau. Sinnvoll kann dieser nur vor dem Neuen Museum errichtet werden. Seine Dimensionen aber sind in jeder Hinsicht ein Anschlag auf die Wirkung der alten Nachbarbauten.
Deswegen wurde auch schon früher Kritik an dem Projekt öffentlich. Sie blieb aber zu leise, auch, weil mancher fürchtete, mit der hysterischen Anti-Chipperfield-Propaganda der Gesellschaft Historisches Berlin (GHB) identifiziert zu werden. Doch in diesem Fall hat die GHB recht. Die Planung sollte wenigstens in ihren Höhendimensionen überarbeitet werden.

Dass sie genehmigt ist und das Geld bereit steht, darf kein Argument sein gegen neues Nachdenken bei einem Bau mitten im Welterbe Museumsinsel.


Stellungsnahmen, Leserbriefe zu obigen Artikel in der Berliner Zeitung:

Die sogenannte Säulenhalle der "Star"-Architekten Chipperfield verdient ihren Namen nun wirklich nicht. Diese Art von Säulengang hätte Karl Friedrich Schinkel und Friedrich August Stüler die Schamesröte ins Gesicht getrieben, hätten sie es als ihr Werk verkaufen müssen.
Zumal eine Säule einen runden Querschnitt besitzt und sich dadurch vom Pfeiler unterscheidet. Dieser überdimensionierte Raubtierkäfig ist somit eigentlich eine Pfeilerhalle, die nichts von römischer und griechischer Gestaltungskunst versteht, geschweige denn vom Goldenen Schnitt, dem die deutschen Architekten sowieso den Kampf angesagt haben.
Die in ihrer Schlichtheit und damit Belanglosigkeit nicht mehr zu überbietende Pfeilerhalle findet ihre Ergänzung in einer fast 10 Meter hohen Kaimauer. Sie vermittelt den Touristen am Kupfergraben einen guten Eindruck über die derzeitige Berliner Vorstellungen von "Baukunst".
Die Architektur muss lernen, dass Kunst durch Erschaffen entsteht und nicht durch Weglassen. Weglassen kann jeder, etwas so Großartiges zu schaffen wie eine echte griechische Säulenhalle nur wenige. Herr Chipperfield gehört jedenfalls nicht dazu.

Fabian Fesser, per E-Mail am 17.03.2010