Am Berliner Schinkelplatz wollte die Senatsbauverwaltung unter Regula Lüscher alles richtig machen: Nicht Investorenwillkür sollte hier gestalten, sondern ein Wettbewerb. Die Münchner MVV GmbH & Co.KG, die das Grundstück erworben hat, lud 15 Büros durchaus unterschiedlichen ästhetischen Profils ein.

Bauwelt - 32-2012 vom 17.08.2012 - von Nikolaus Bernau 

Zwei erhielten einen ersten Preis: Volker Staab für die Planung eines Bürogebäudes, Piero Bruno, Donatella Fioretti und José Marquez für ihren Entwurf für Wohnbauten.Und um Vielfalt herzustellen, empfahl die Jury unter Vorsitz von Dietrich Fink, München, auch den drittplatzierten Klaus Theo Brenner mit einem Wohnhaus zu beauftragen.

Tadel der Stadtbildhistoristen
Und doch gab es wieder Ärger: Gerhard Hoya, Vorsitzender der bis in höchste Senatskreise hinein einflussreichen Gesellschaft Historisches Berlin (GHB), schäumte bei der Vorstellung der Entwürfe regelrecht, nannte sie eine „intellektuelle Frechheit". Wie in vielen Berliner „Architektur"-Debatten geht es wieder einmal um die Fassaden. Die hätten, so Hoya, ja nicht einmal Gesimse. Nun, es kann vorkommen, dass Häuser auch ohne solche von intellektueller und historischer Relevanz sind. Außerdem können wir sicher sein: Hätte die Jury auffälligere Entwürfe ausgezeichnet, gar ein hektisches Konkurrieren von Formen und Farben wie das der Townhouses am nahen Friedrichswerder, wäre das Monitum der GHB gewesen, die Ruhe der Stadtgestalt würde durchbrochen. Am liebsten wäre den Stadtbildhistoristen wohl ein Nachbau der vor 1945 existierenden Fassaden am Schinkelplatz. Dabei waren die – man wage einmal den Blick nach Dresden, Wien oder gar Paris – bestenfalls drittklassige Beispiele des internationalen Späthistorismus.

Der Kampf des 20. Jahrhunderts
Andererseits spielt die Oberfläche der Häuser tatsächlich eine besondere Rolle an diesem Ort – gegenüber der künftigen Schlossfassade und dem Einheitsdenkmal und neben dem möglicherweise irgendwann einmal wiedererstehenden Bauakademiegebäude von Schinkel.

Der Jury ging es also vor allem um einen ruhigen Fond für die umgebenden Monumentalbauten. Alle Entwürfe sind geprägt von streng gereihten Lochfassaden. Volker Staab lehnt sich dabei mit schmalen Stuckrahmungen in den unteren Geschossen und nur in der Steinbearbeitung changierenden Oberflächen an den italienischen Rationalismus an. Bruno Fioretti Marquez sind mit ihrem flachen Walmdach zunächst ähnlich italianisierend, mit dem kräf­tigen Plissemuster des Sockelgeschosses und den gestaffelten Fensterlaibungen klingt aber das Art déco an. Im Grunde führen diese Entwürfe noch einmal den Kampf des 20. Jahrhunderts gegen den Historismus, allerdings nicht von der Position der Avantgarde – keiner wagt eine Anlehnung an die Berliner Moderne! –, sondern als Teil der konservativen Reform, der die Form oft wichtiger war als der soziale Gehalt.

Bruno Fioretti Marquez schreiben zu ihrem Entwurf, die „ornamentalen Elemente der Gründerzeitfassade werden auf ein reines Schattenspiel reduziert". Genau darin liegt das stadtästhetische Pro­blem: Diese Fassaden sind als Einzelne durchaus interessant, in der Reihung können sie monoton wirken. Wie abgestuckte und jetzt nachträglich wieder etwas bearbeitete Gründerzeitwände. Deren haptische und ästhetische Vielfalt, damit auch soziale und ikonografische Vieldeutigkeit erreichen sie nicht. Ein ähnliches Bild geben die Grundrisse ab. Volker Staab schlägt trotz des schmalen Grundrisses schlichte Großraumbüros vor. Bruno Fioretti Marquez hingegen entwerfen für den reichen Zweipersonen-Haushalt. Üppige Schlafzimmer mit üppigen Bädern, ein relativ kleines Wohnzimmer, dafür eine breit gespannte Küche – praktisch, wenn gleichzeitig gekocht und angerichtet werden soll –, zu der man aber erst einmal durch das repräsentative Speisezimmer gehen muss. Auch bei diesen Wohnungen handelt es sich im Grunde eher um Geschäftsräume, was nicht zuletzt das als Oval angelegte Kaminzimmer zeigt: Hier ist Platz für zwei Sessel.

Ein Ort für intime Gespräche über Geschäfte und Politik, nicht für die Familie.

Soziale Kulisse

Und damit sind wir beim Kernproblem dieser Anlage: ihre soziale Attitüde. Zwar können in den Erdgeschossen Läden, vielleicht auch ein Café unterkommen. Aber anstelle des einst mittelbürgerlichen Viertels entsteht hier ein lupenreines Oberklassenviertel. Die soziale Mischung, die eine Legitimation gerade jener historistischen Mietshäuser war, auf die sich die Fassaden von Staab und Bruno Fioretti Marquez ästhetisch beziehen, die gibt es eben nicht. Übrigens: Das waren am Schinkelplatz einmal Grundstücke, die dem Staat gehörten. Wohnungen für den Mittelstand zu errichten, wäre dort also auch möglich gewesen. Es war nicht gewollt. Insofern sind diese Fassaden kaum weniger soziale Kulisse, als es ein Nachbau der historistischen Fassaden gewesen wäre.

Parzelle 1 (Bürogebäude)

  1. Preis Staab Architek­ten, Berlin
  2. Preis Grüntuch Ernst Planungsgesellschaft, Berlin
  3. Preis Léon Wohlhage Wernik, Berlin


Parzelle 2 und 3 (Wohngebäude)

  1. Preis Piero Bruno, Donatella Fioretti, José Marquez, Berlin
  2. Preis Steidle Architekten, München
  3. Preis Klaus Theo Brenner – Stadtarchitektur, Berlin

 

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