Neue Zürcher Zeitung  vom 17.4.2016 - von E.Müller

Mitten in Zürich ist der Swissmill-Turm fertiggestellt. Der Kornsilo setzt einen neuen städtebaulichen Akzent in der Limmatstadt – als grauer, fensterloser Betonklotz. In Basel lacht man sich ins Fäustchen. Jetzt, wo der Kran abgebaut ist, lässt sich der Betonkubus in seiner ganzen Hässlichkeit erfassen. 118 Meter hoch ragt der schmale Swissmill-Turm am Zürcher Sihlquai in den Himmel, ohne ein einziges Fenster, abweisend mit seiner grauen, fast ungestalteten Fassade.

So empfängt das neue Wahrzeichen der Limmatstadt den Besucher, der von Westen kommt, mit dem Charme eines sowjetischen Kriegsdenkmals in den masurischen Sümpfen. Ein Kriegsdenkmal ist es aber nicht, sondern ein frisch betoniertes Museumsstück, das nach Meinung der Stadtregierung die Erinnerung an das Handwerk im ehemaligen Industriegebiet bewahrt, in einem Quartier notabene, wo sich längst urbanes Wohnen, schicke Bars und die Studios der Kreativwirtschaft breitgemacht haben.

Nun hatte Zürich schon immer ein delikates Verhältnis zu Hochhäusern. Nach einer ersten Boomphase in den sechziger Jahren kippte die Stimmung gegen solche Bauten. Die Kleinbürger wie die progressive Jugend der 80er Bewegung, welche die Unwirtlichkeit der Städte beklagte und freie Sicht aufs Mittelmeer forderte – diese beiden Lager setzten 1984 per Initiative ein gesetzliches Verbot von Hochhäusern in der Innenstadt durch. Doch nicht nur im Stadtkern waren diese verpönt. Stadträtin Ursula Koch von der SP, damals für den Hochbau zuständig, fand ja ohnehin, dass die Stadt gebaut sei.

Wo in der Innenstadt noch Neues entstand, forcierte sie die Blockrandbebauung, ein städtebauliches Modell des 19. Jahrhunderts. Und die ersten Umnutzungen von Industriebrachen etwa in Zürich Oerlikon durften eine gewisse Höhe auf keinen Fall überschreiten. Das Hochhaus war hier nie auch nur eine städtebauliche Option gewesen. Erst die Wiederentdeckung der Stadt als Wohngebiet, die zu einer steigenden Bautätigkeit führte, erhöhte den Druck auf eine bessere Nutzung des knapper werdenden Bodens. Nun lockerte sich die Abneigung gegen Hochhäuser; seit der Jahrtausendwende sind sie politisch weitgehend akzeptiert. Der 123 Meter hohe Prime Tower in Zürich-West ist das Aushängeschild dieses neuen Booms.

Eingedenk dieser belasteten Beziehung zwischen Zürich und dem Hochhaus stellt das städtische Baugesetz «erhöhte gestalterische Anforderungen» an derartige Projekte. Diese sieht die Stadtregierung im Fall des Swissmill-Turms offensichtlich erfüllt. Das Bauwerk sei «einfach und besonders gut gestaltet», die städtebauliche Eingliederung «vorbildlich», befand sie. «Der neue Silo wirkt deswegen nicht als fremder Einzelbau. Die Proportionen und die Materialisierung sind zurückhaltend und drängen sich nicht auf.» Es ergebe sich mit der Nachbarschaft des Löwenbräu-Areals eine gute Gesamtkomposition.

Das war die offizielle Haltung in der Planungsphase. Heute weiss jeder Betrachter, dass das Gegenteil der Fall ist: Der Swissmill-Turm ist ein Fremdkörper im Stadtbild, von einer durchaus gewollten rohen Betonästhetik, weil es sich ja um einen Silo handle und nicht um das Verwaltungszentrum einer Bank. Das federführende Architekturbüro ging noch einen Schritt weiter und schwärmte, hier werde «ein schlankes Symbol der elementaren Brotproduktion» geschaffen. Sollte der Bau am Ende gar an ein Pariserbrot erinnern?

Wie dieser Bau zu dem behaupteten attraktiven Nutzungsmix von Wohnen und Arbeiten beitragen soll, bleibt das Geheimnis der SP.

Tatsächlich wurde hier ein Symbol für städtebauliche Verirrung gemauert. Eigentlich widerspricht der Turm den Vorschriften, die an diesem Ort Gebäude von maximal 40 Metern Höhe zulassen. Doch dank einem Gestaltungsplan und einer Volksabstimmung liess sich diese Bestimmung aushebeln, was letztlich heisst, dass in Zürich überall 118 Meter hohe Betonkuben errichtet werden können, sofern sich dafür eine Mehrheit im Parlament organisieren lässt.

Diese fand sich im Swissmill-Turm vermutlich, weil der Bauherr Coop heisst, eine Firma, die der – in der Stadt tonangebenden – SP politisch nahesteht. Coop stand in Basel vor dem Problem, dass der bisherige Kornspeicher dem Forschungs-Campus von Novartis weichen musste. Die einfachste Lösung war es, die bestehende Mühle mitten in Zürich auf 118 Meter aufzustocken. Der Zürcher Stadtrat begründete sein rasches Einschwenken auf diese abstruse Idee mit der «Förderung von zukunftsfähigen Betrieben». Nun dürfte das Müllereigewerbe nicht zu den Hoffnungsbranchen der städtischen Ökonomie gehören, zumal Swissmill in Zürich keine Steuern zahlt. Basel dagegen gelang ein schlauer Schachzug, indem es den Kornsilo nach Zürich abschob und an dessen Stelle in die wirklich zukunftsfähige Pharmaforschung investierte. Das wird sicher positive Folgen für die Steuererträge zeitigen.

Doch die Zürcher SP verlor, trunken von irrationaler Industrieromantik, das kühle Denkvermögen und überhöhte diesen 118 Meter hohen Kornbehälter zu einem urbanistischen Vorzeigeprojekt. Grosszügig wurde übersehen, dass eine von Computern vollautomatisch gesteuerte 24-Stunden-Mühle mehr dem Kontrollraum eines AKW ähnelt als Werkstätten des 19. Jahrhunderts. Wie dieser Bau zu dem behaupteten attraktiven Nutzungsmix von Wohnen und Arbeiten beitragen soll, weshalb er ein «wichtiges, identitätsstiftendes Wahrzeichen» sei und welche Identität er stiftet – etwa die der Müller? –: Das alles bleibt das Geheimnis der SP in Parlament und Exekutive.

Heute sieht man, dass dieser Betonbau eine urbanistische Sünde der Sonderklasse darstellt, begangen in einer Stadt, die im Kleinen mit Argusaugen für gestalterische Gesinnung kämpft und Marronihäuschen, Bootsstege, Abfallkübel von Architekten designen lässt, damit das Stadtbild nicht verunstaltet werde. Sinnvoller wäre es doch, man würde diesen Furor auf Betonkuben von 118 Metern Höhe anwenden, selbst wenn es sich dabei um ein «schlankes Symbol der elementaren Brotproduktion» handelt. Man wäre dann vielleicht zum Schluss gekommen, dass nicht bauen besser ist als bauen. Oder wenigstens ästhetisch bauen besser als hässlich.

Swissmill in Zahlen: Täglich vier Eisenbahnzüge

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