Frankfurt debattiert über rekonstruierte Bürgerhäuser, völkische Unterwanderung und die Zukunft der Schönheit.
Die Zeit vom 17. Mai 2018 - Von Hanno Rauterberg

Eine Stadt im Eröffnungsrausch: Schon im Februar ging es los, dann fielen vergangene Woche die letzten Bauzäune, und im September soll es das dritte, das größte Fest geben (für 1,5 Millionen Euro!), um die einzigartige, die wunderbar neue und irgendwie auch alte Altstadt einzuweihen. Bis dahin sollen 200 Bewohner eingezogen, 20 Läden und Lokale eingerichtet sein.
Der erhoffte Feierfrieden lässt jedoch auf sich warten. Noch immer gibt es Streit: Darf man das eigentlich, ein Bauwerk aus den siebziger Jahren schleifen, um an dessen Stelle die im Krieg zerstörten Bürgerhäuser neu zu errichten? Ist das Stadtreparatur? Oder schlimmer Selbstbetrug?

Jüngst wurde behauptet, die rekonstruierten Gassen und Plätze würden von einem neovölkischen Geist durchweht. Hinter den Heile-Welt-Attrappen verberge sich das geschichtspolitische Projekt reaktionärer Mächte: Die Erinnerung an den Nationalsozialismus solle ausgeblendet, ein frischer Deutschlandstolz herausgeputzt werden. Kein Zufall sei es deshalb, dass der erste Antrag auf Wiederaufbau von den schwer rechten BFF gestellt wurde, den Bürgern Für Frankfurt.

Allgemein, so war es in der FAS zu lesen, sei die Rekonstruktionsarchitektur zum "Schlüsselmedium der autoritären, völkischen, geschichtsrevisionistischen Rechten" (Stephan Trüby) avanciert. Weshalb von der klassisch linken Zeitschrift Arch+ nun per Petition ein "Rekonstruktions-Watch", eine Art Wächterrat gefordert wird, um die rechtsnationale Unterwanderung von Wiederaufbauprojekten zu verhindern. Bald 1.000 Menschen haben die Petition unterschrieben, darunter bekannte Theoretiker und Architekten.

Ein wenig seltsam sind die schrillen Töne schon.
Abgesehen davon, dass wohl eher Twitter und Facebook die Schlüsselmedien der Rechtspopulisten sind, sieht ja die Altstadt in Wahrheit gar nicht so alt aus. Weniger als die Hälfte der alles in allem 35 Häuser wurde tatsächlich rekonstruiert. Die anderen halten sich zwar an den ursprünglichen Parzellenzuschnitt, versuchen aber eine Neuinterpretation der alten Formen. Und so beschwört das Frankfurter Miniquartier keineswegs die reine, ungestörte Idylle. Vielmehr wird sie von einer Liebe zum Hybriden durchzogen und von der Hoffnung der Gegenwart, alles möge sich irgendwie mit allem bestens vereinbaren lassen. Damit ist sie weniger restaurativ als retro, wie man es halt im beginnenden 21. Jahrhundert gerne hat.

Es stimmt zwar, dass die Mannen der BFF das Altstadtprojekt vorantrieben, weil ihnen Flachdach und Vorhangfassade als Verrat am deutschen Wesen vorkommen. Doch stimmt es eben auch, dass andere, politisch unverdächtige Menschen dieselbe Idee lange zuvor ausgebrütet hatten. Und dann eine Koalition aus CDU und Grünen sich den Vorschlag rasch zu eigen machte. Sollten also wirklich rechtsnationale Ideologien in der Altstadt nisten, haben sie sich wohl tief im Keller verborgen (wobei es Keller nicht gibt, es gibt nur Tiefgaragen).

Bleibt die quälende Frage, ob mit dem Aufbau der Altstadt nicht eine Auslöschung des Geschichts- und Schuldbewusstseins einhergeht. Die Erfahrung mit anderen rekonstruierten Bauten zeigt, dass allein die Debatte über solche Vorhaben schon dazu führt, dass mehr Menschen über die Zerstörung und ihre Hintergründe nachdenken. Kein Mensch fühlte sich in Frankfurt beim Anblick des jetzt abgerissenen Technischen Rathauses mahnend an Bombenkrieg und Schoah erinnert. Paradoxerweise wird erst durch die Wiederkehr des Verlorenen die Verlusterfahrung besonders spürbar, und das schon deshalb, weil das neue Alte sich nicht ins Umfeld des alten Neuen fügt. Fast unweigerlich stellt sich die Frage, was denn hier eigentlich wann und aus welchen Gründen passiert ist. Sogar Stolpersteine gibt es nun im Altstadt-Quartier, eingelassen ins Pflaster, um an die Opfer der Nazi-Zeit zu erinnern.

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