Wie viel Moderne brauchen wir vor dem Schloß?

Dokumentation der Informations- und Diskussionsveranstaltung am
12. März 2013 mit

  • Dipl.-Ing. Annalie Schoen, Leiterin Hauptstadtreferat,
  • Prof. Cordula Loidl-Reisch, TU Berlin,
  • Dr. Klaus von Krosigk (Landeskonservator a. D.),
  • Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Schäche (Lehrstuhl für Baugeschichte und -unterhaltung der Beuth-Hochschule),
  • Bernhard Wolter, Stiftung Schloss-Humboldtforum.

Moderation: Dipl.-Ing. Gerhard Hoya, Vorsitzender Gesellschaft Historisches Berlin e.V. und Dr. Manfred Uhlitz, Vorsitzender Verein für die Geschichte Berlin e.V.


Begrüßung

Herr Hoya, Dr. Uhlitz

Herr Hoya und Herr Dr. Uhlitz begrüßen die zahlreich erschienenen Besucher und die Diskutanten.

Einleitung

In seinen einführenden Worten erinnerte Herr Hoya an die Empfehlungen der internationalen Expertenkommission „Historische Mitte Berlin", das Berliner Schloss wieder aufzubauen. Die Kommission bezog sich ausdrücklich auf die städtebauliche Struktur der angrenzenden Räume und Gebäude und empfahl, die Rückführung des Reiterstandbildes des Großen Kurfürsten an seinen ursprünglichen Ort und den historischen Schlossplatz wieder herzustellen.

Entgegen dieser Empfehlung verkündete im Februar 2012 Bausenator Michael Müller zunächst noch einen internationalen Gestaltungswettbewerb für das Schlossumfeld zu starten und die Senatsbaudirektorin Regula Lüscher erläuterte, dass sie aber keine historische Rekonstruktion erwarte und der Freiraum zwischen Spree und Spreekanal sowie zwischen der Karl-Liebknecht-Straße und der Schlossstraße zeitgenössisch gestaltet werden solle. So wörtlich: „man solle doch spüren, dass die Zeit nicht stehen geblieben sei". Proteste Vieler -u. a., der Gesellschaft Historisches Berlin e. V.- führten zu offenen Rahmenbedingungen des Realisierungswettbewerbes.

Seit einigen Wochen liegt nunmehr im Ergebnis des Wettbewerbes der preisgekrönte Entwurf des Architekten Timo Herrmann vor. Er sieht eine Rückführung von historischen Artefakten nicht vor. Jedoch schließt der Landschaftsarchitekt die Rückführung der historischen Denkmäler nicht aus. Der Freiraum um das Schloss darf kein leerer Raum bleiben, in dem die Spuren der Geschichte verwischen.

Mit unserer Informations- und Diskussionsveranstaltung wollen wir klären, ob sich einvernehmlich Entscheidungsträger, Fachleute und Bürger für eine Rückführung der Denkmäler und des Neptunbrunnens aussprechen.

Podium

Im Gespräch

Gerhard Hoya: Die Außenanlagen sind nicht Bestandteil der Schlossplanung des Bundes durch den Architekten Stella?

  • Aus welchen Vereinbarungen ergibt sich die Zuständigkeit des Senates?
  • Warum entschieden Sie sich für ein Wettbewerbsverfahren und nicht für eine Vergabe nach VOF?

Annalie Schoen: Die Zuständigkeit des Senates für das Umfeld ergibt sich aus einer Vereinbarung zwischen dem Bund und dem Land Berlin. Der Senat bevorzuge Wettbewerbsverfahren, da es sich bei öffentlichen Aufträgen um den Einsatz von Steuermitteln handle. Ein Wettbewerb sichere auch breit gestreute Teilnehmer mit verschiedenen Entwurfsideen. 

Gerhard Hoya: Die Kommission empfahl, den historischen Schlossplatz als anspruchsvollen öffentlichen Raum wieder herzustellen und das Reiterstandbild des Großen Kurfürsten an seinen ursprünglichen Ort zurückzuführen.

Ist eine analoge Vorgehensweise ohne Wettbewerbsverfahren wie beim Pariser- und beim Schinkelplatz auch auf dem Schlossplatz möglich?

Dr. von Krosigk: Mit dem damals zuständigen Senator habe ich die Vorgehensweise ausführlich diskutiert. Man habe sich dann für eine freihändige Vergabe ohne Wettbewerb entschieden. Aber auch nach Wettbewerbsverfahren sei eine Einflussnahme auf die Gestaltung von Grünflächen möglich, so wie es die äußerst gelungene Herstellung des Kolonnadengartens und des Lustgartens beweist, bei der die Bepflanzung im Rahmen der ursprünglichen Anlage vorgenommen wurde.

Gerhard Hoya: Wir haben uns entschlossen, das Schloss mit 3 barocken Fassaden wiederaufzubauen!

Warum soll dann die Umgebung mit dem Stil brechen?

Fügt sich eine moderne Gestaltung des Umfeldes in das Ensemble Dom, Lustgarten, Altes Museum, Zeughaus, Kommandantur und Bauakademie ein?

v130312-3Prof. Schäche (Foto links): Den Entwurf beurteile ich als behutsam und zurückhaltend und halte viele Optionen zur Wiederherstellung von Räumen offen. Mein Leitfaden ist: " Architektur ist Raumkunst ". Die wichtigsten Bauwerke der anliegenden Plätze sind vorhanden - um den Lustgarten stehen der DOM, das ALTE MUSEUM und das ZEUGHAUS; am Schlossplatz der NEUE MARSTALL. Sie geben den Räumen ihren Rahmen.

Gerhard Hoya: Die Senatsbaudirektorin behauptet, wenn man aus dem zukünftigen Humboldt-Forum hinaustritt, muss man doch merken, dass die Zeit nicht stehen geblieben ist. •Ist dies die maßgebliche Rechtfertigung für eine moderne Gestaltung? •Was hat Priorität? •Die Beziehung zum Inneren oder zum Äußeren?

Dr. von Krosigk: Wenn man über die Linden gekommen ist, weis man sicherlich in welcher Zeit man ist!

Prof. Schäche: Die Beziehung zum Äußeren hat den Vorrang.

Gerhard Hoya: Das Preisgerichtes empfiehlt, eine spätere Rekonstruktion des Schloßplatzes (Süd) mit einer Änderung der Verkehrsführung sowie die Möglichkeit der Rückführung von Artefakten an den ursprünglichen (authentischen) historischen Ort in die Planung einzubeziehen.

Warum wurde die Straße so trassiert, dass ein Aufstellen des Brunnens an den ursprünglichen historischen Ort nicht möglich ist?

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Annalie Schoen (Foto rechts): Die Politik gab bis 11/2 Jahren vor, den Neptunbrunnen an seinem jetzigen Standort zu belassen und nicht an historisches Ort vor dem Schloß zurück zu führen. Die Finanzierung für den Umbau der Infrastruktur sei nicht sichergestellt. Die Realisierung müsse auch technischen Anforderungen genügen (Erschließung des Geländes, Unterfahrungen und Zufahrten). Man habe sich schon vor längerer Zeit für die kürzlich durchgeführte Trassierung entschieden, obwohl diese bei einer Rückführung des Brunnens an seinen historischen Ort verlegt werden müsse.

Gerhard Hoya: Wie verträgt sich die geplante Platzgestaltung, zeitgenössisch durch Bankmonolithe strukturiert, mit einer späteren Rekonstruktion? Ist nicht zu befürchten, dass hier kein urbaner sondern ein harter Platz entstehen könnte? Da es sich um eine Fläche von 38.000 qm handelt, die zu 90 % mit hellem Steinmaterial gepflastert werden soll und zusammen mit der hellen Schlossfassade werde eine gewisse Blendwirkung eintreten. Mit der Umsetzung des gekürten Entwurfs - kaum durch Objekte gegliedert - was besonders für die Südseite zur Breite Straße hin gilt, werde keine gute Aufenthaltsqualität erreicht. 

Prof. Cordula Loidl-Reisch: Ich halte die zeitgenössisch gestalteten Plätze an den vier Seiten für gut strukturiert. Der elegante, zurück haltende Charakter sorgt für eine hohe Aufenthaltsqualität.

Annalie Schoen: Noch steht nicht fest, ob letztlich Dolomit verwendet werden wird. In einer Bemusterung wird noch entschieden, welches Material eingebaut wird.

Gerhard Hoya: Die Wiederherstellung der historischen Raumgrenzen erfolgt durch Baumhaine. Welche grenzen brauchen wir? Können Baumhaine Gebäude ersetzen?

Prof. Schäche: Die Umfeldgestaltung muss auf die Schlossfassade hin angepasst werden; die Eingliederung der Großskulpturen ist unerlässlich. Bäume können sicherlich eine Raumfassung durch Gebäude nicht ersetzen.

Gerhard Hoya: Denkmäler aus dem Umfeld des Schlosses haben infolge der Zerstörung des Bauwerkes neue Standorte gefunden. • Sind diese Denkmäler an den neuen Standorten nur zu Gast oder haben sie dort für ewige Zeiten neue Wurzeln geschlagen?•Ist eine Rückführung nicht geradezu geboten?

Dr. von Krosigk: Die Rossebändiger stehen im Kleistpark an einem falschen Ort, der nicht ungeeigneter sein könnte. Eine Rückführung sei dringend geboten. Der heutige Platz um den Neptunbrunnen erodiert und wird immer ungeeigneter.

Der „Weiterbau am Denkmal" erzwinge auch die Wiederaufstellung von Neptunbrunnen und Rossebändigern sowie den Wiederaufbau der Gartenterrassen. Die Sogkraft des Schlosses werde eine positive Entwicklung auslösen. Hinsichtlich der Gestaltung seien dann noch Dinge zu reparieren bzw. in Ordnung zu bringen.

Denkmäler im Umfeld des Schlosses

Diskussion mit dem Publikum

Fragen richteten sich mehrheitlich an Frau Schoen und Frau Prof. Loidl-Reisch, warum nicht im Auslobungstext die Wiederaufstellung der noch vorhandenen Großskulpturen vorgegeben worden sei?

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Annalie Schoen: Im Grundsatz wünscht sich die Bauverwaltung eine Platzgestaltung in einer zeitgemäßen Interpretation der historischen Vorgaben, die den historischen Kontext ausdrücklich einbezieht. Eine intensive Auseinandersetzung mit den Zeit- und Bedeutungsschichten des Ortes wird ausdrücklich begrüßt und eine sichtbare Interpretation und Auseinandersetzung mit allen Denkmalaspekten erwartet.

Prof. Cordula Loidl-Reisch: Ich befürworte die Umsetzung der Planungsidee, einen steinernen Platz im Süden des Schlosses zu schaffen, gebe jedoch zu, dass mittelfristig mit einer Rückführung des Neptunbrunnens auf den Schlossplatz zu rechnen ist. Der Rückbau der soeben fertig gestellten Straße und des Steinplatzes und die damit verbundenen Kosten sind hinzunehmen.

Weiter wurden Fragen gestellt nach den Anforderungen an die Gestaltung der Plätze in den vorhandenen historischen Raumgrenzen.

Prof. Schäche: Die wichtigsten Bauwerke –wie der Dom, das Alte Museum, das Zeughaus und am Schlossplatz der Neue Marstall sind vorhanden. Sie geben den Räumen ihren Rahmen. Die Platzgestaltung muss auf die Schlossfassade hin angepasst werden. Die Eingliederung der Großskulpturen ist unerlässlich.

und Anmerkungen

Publikum

Fast ausnahmslos waren die Diskutanten der Ansicht, dass der Entwurf zur Gestaltung des Schlossumfelds inhaltlich ergänzt und ausgestaltet werden müsse (und ja auch könnte), die Rossebändiger, die derzeit im Kleistpark einen tristen Anblick bieten, auf jeden Fall an den alten Standort zurückzuführen seien und die Gestaltung des südlichen Areals weitgehend den alten Kubaturen – mit Aufstellung des Neptunbrunnens – folgen müsse.

v130312-8Herr Manfred Rettig (Foto links), Vorstand der Stiftung Schloss-Humboldt-forum begrüßte grundsätzlich die Preisvergabe, die zunächst eine gewisse Planungssicherheit gebe, und lobte den einstimmigen Beschluss der Jury auf weiteren Diskussionsbedarf hinzuweisen.

Die Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung sei positiv.

Mit der Gestaltung des Raumes um das Humboldtforum sei sehr sorgfältig umzugehen, stellt es an exponierter Stelle ein Schaufenster der Bundesrepublik dar. Dazu gehören auch die Rückführung der Rossebändiger und die Prüfung, ob der Neptunbrunnen an seinem ursprünglichen Standort aufgestellt werden kann, was eine veränderte Straßenführung bedinge. Der Architekt sei offen für Vorschläge. Herr Rettig prägte den Begriff „Demokratie als Bauherr". Es dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass Raum für Veranstaltungen an dem geplanten Freiheitsdenkmal verfügbar sein müsse. Der Übergang zum Lustgarten sei besucherfreundlich zu gestalten.

Die historischen Grundlagen
Horst Peter Serwene

Im 19. Jahrhundert kamen wichtige Veränderungen. Schon Schinkel wollte einen breiteren Durchweg vom Schlossplatz zum Friedrichswerder. 1861 wurde der neue Straßenplan beschlossen.
1863 begann der Abbruch der Häuser ‚An der Stechbahn' und ‚An den Werderschen Mühlen'. Einige Jahre später erfolgte der Durchbruch in der Kaiser-Wilhelm-Straße.

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1 Adlersäule (1846), 5 Rossebändiger (1844), 6 Rossebändiger (1844),
10 Standbild des Großen Kurfürsten (1903), 13 Wettersäule (1890),
14 Neptunbrunnen (1891)