Sanierung der maroden Uferpromenade, intensivere Pflege der Grünflächen und weniger Barrieren: Das schlägt das „denkmalpflegerische Gutachten“ für das Nikolaiviertel vor. Erste Maßnahmen beginnen in diesem Jahr. Einige Anwohner äußern sich kritisch.
Berliner-Woche vom 24.03.2023 von Ulrike Kiefert

Enge Gassen und alte Häuser mit Giebelfassaden, viel Grün und hohe Linden: Im Nikolaiviertel wohnt es sich idyllisch. Dabei sollte es aus Sicht von Landschaftsarchitekten auch bleiben. „Wir haben hier einen originalen Bestand aus der Gründungszeit, der in Städten heute sehr selten und äußerst schützenswert ist“, so Anne Prugger. Prugger ist die Geschäftsführerin von Prugger Landschaftsarchitekten. Aus dem Dresdner Büro kommt das denkmalpflegerische Gutachten, das jetzt vorgestellt wurde und für alle künftigen Baumaßnahmen im Nikolaiviertel verbindlich sein soll.

Ein gutes Jahr haben die Landschaftsarchitekten an dem Gutachten gearbeitet, beauftragt vom Bezirksamt. Wobei sich das Gutachten nur auf die Freiflächen und Straßen konzentriert, wie Anne Prugger betonte, nicht aber auf die Gebäude und Innenhöfe. Für das Gutachten nahmen die Experten zunächst den Bestand auf, also die Grünflächen, Bäume, Gehölze, die Pflasterwege und die Uferpromenade, das nahe Umfeld der Nikolaikirche und des Ephraim-Palais, aber auch die Skulpturen, Plastiken, Treppen, Geländer und Schmuckverzierungen. Sie sichteten historische Fotos und Katasterpläne und stellten fest: „Grünanlagen, Kirchplatz, Wege und viele Bäume liegen und stehen nach wie vor am gleichen Platz“, so Anne Prugger. Landschaftsarchitekten, die das Nikolaiviertel ab 1981 nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg rekonstruiert hatten, hätten „hervorragende Arbeit“ geleistet. So hielten sie sich unter anderem streng an die Wegführungen, die schon auf Bildern vor rund 150 Jahre zu sehen waren. Auch die Gärten, die damals bis an die Spree reichten, hätten sie wieder angelegt, ebenso die Grünflächen rund um die Nikolaikirche im Zentrum, und auch die historischen Pflaster und Mosaikstreifen an den Gebäuderändern seien perfekt nachgebaut worden. Erhalten blieben auch die historischen Sichtachsen zur Kirche, zur Spree und zum Fernsehturm.

135 Bäume verloren wegen Trockenheit und Straßenbau

Allerdings setzen Baustellen, Lärm, unebene Fußwege, Teerflecken und zu heiße Sommer dem Viertel mächtig zu. So hat das Nikolaiviertel seit 1987, als es zur 750-Jahr-Feier Berlins fertig wurde, 135 Bäume verloren. Eingegangen sind die Linden wegen Trockenheit, oder sie mussten dem Straßenbau weichen. Das Gutachten schlägt daher vor, die Lücken in den Baumreihen wieder zu füllen, so etwa an der Südseite der Kirche, an der Rathausstraße und Am Nussbaum. Dazu müsste das Grün intensiver gepflegt werden, so Anne Prugger. Außerdem empfahl sie, den Blick durch die Arkaden frei zu halten, also keine Blumenkübel oder Fahrradständer vor den Geschäften zu platzieren, neue Bänke aufzustellen, kaputte Pflastersteine zu erneuern und die grauen Platten durch rote wie zu DDR-Zeiten zu ersetzen. „Mehr Bäume, keine Stückelei und auf die Sichtachsen achten“, fasste Prugger zusammen. Damit auch farblich alles einheitlicher wird, sollten die rot-weißen Poller im Viertel dunkel gestrichen werden und auch die modernen Fahrradständer ins matte Schwarz wechseln. Für neue Fahrradbügel sei das Geld bereits da, informierte Daniel Richtsteig vom Fachbereich Stadtplanung im Bezirksamt. „Und wir schauen, ob wir die alte Litfaßsäule an der Schwengelpumpe wieder aufstellen können.“ Ein weiteres Projekt ist die Promenade am Spreeufer, die mit den Jahren abgesackt ist. Die soll wieder zum ebenen Spazierweg mit Sitzbänken und schönerer Außengastronomie werden. Bis wann, konnte Daniel Richtsteig allerdings nicht sagen. Die Finanzierung müsse erst noch geklärt werden.

Fehlende Parkplätze und Lieferflächen

Beim Stichwort Gastronomie äußerten Gewerbetreibende die Sorge, ihre Außenflächen oder Vorbauten abräumen zu müssen. Das Nikolaiviertel steht seit 2018 unter Denkmalschutz , was ein „buntes Viertel“ ausbremsen könnte, befürchtete eine Gastwirtin. Außerdem vermissten Anwohner und Gastronomen in dem Gutachten einen „Verkehrswegeplan“. So fehle es an Parkplätzen und Lieferflächen. „Das Ordnungsamt verteilt sofort Knöllchen, man kann nicht mal seinen Einkauf aus dem Auto holen“, sagte ein Mann. Am Mühlendamm werde gebaut, und in der Spandauer Straße gebe es auch keine Parkplätze mehr. „Wir wollen eine vernünftige Parkraumbewirtschaftung.“

Das Nikolaiviertel ist Fußgängerzone, der Lieferverkehr darf bis 11 Uhr morgens rein. Man werde die Hinweise aber für das geplante Verkehrskonzept mitnehmen, so Daniel Richtsteig. Angesprochen wurde auch das Müllproblem, das die Anwohner gelöst haben wollen, beispielsweise auf der Wiese vor der Spandauer Straße 26. "Es bleibt nicht so, wie es jetzt ist", versprach Richtstein. Das Gutachten gehe auch an das Straßen- und Grünflächenamt. „Der Plan kommt nicht in die Schublade, wir werden ihn jetzt schrittweise umsetzen.“

Das heutige Nikolaiviertel liegt in der Gründungsstätte Berlins zwischen Alexanderplatz, Rotem Rathaus, Molkenmarkt und Spree. Die Nikolaikirche im Zentrum ist das älteste noch erhaltene Gebäude der Stadt. In dem DDR-Vorzeigeviertel gibt es etwa 50 Geschäfte, 22 Restaurants und Cafés, fünf Museen und rund 800 Wohnungen, die meisten vermietet die WBM. Seit 2019 ist das Viertel Städtebaufördergebiet und mit 5,7 Hektar das kleinste im Programm „Lebendige Zentren und Quartiere“ in Berlin.

Bis 2027 soll die Edel-Platte attraktiver, Gastronomie, Handel und sanfter Tourismus gestärkt werden. Ein sogenanntes Integriertes Städtebauliches Entwicklungskonzept (ISEK) wurde bereits erarbeitet. Das Denkmalpflege-Gutachten, ein Verkehrskonzept, ein Tourismuskonzept und ein Gestaltungskonzept gehören dazu. Gebietsbeauftragter ist das Architektur- und Stadtplanungsbüro „Jahn, Mack & Partner“. Laut Richtsteig sind zehn bis 15 Bäume zur Nachpflanzung bereits angemeldet.

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