Der Geruch Berlins ist auch heute nicht immer rosig, im 17. Jahrhundert stank es aber zum Himmel. Die Brunnen- und Gassenordnung sollte damals für mehr Hygiene in der wachsenden Stadt sorgen – und sah einige empfindliche Strafen vor
Berliner Morgenpost vom 08.10.2023 von Ulli Kulke

Die Worte waren klar genug: „Er sol fleyßig seyn, sich des vollsauffens enthalten, das Pferd in acht nehmen.“ Unterschrift: „Friderich Wilhelm Khurfürst“. Das galt dem Gassenmeister. Und der war eine wichtige Instanz der „Brunnen- und Gassenordnung beyder Residentz- und Hauptstädte Berlin und Cölln an der Spree“, die der Preußenherrscher anno 1660 erließ. Aus neun Artikeln bestand sie, mit jeweils bis zu 14 Paragraphen. Gemeinhin wird in der Geschichte Berlins der 1862 in Kraft getretene „Hobrecht-Plan“ mit seinen Zu- und Abwasserleitungen sowie den Rieselfeldern als der entscheidende Fortschritt in der Versorgung und Gesundheit der Stadt gesehen, der ja auch die Stadtstruktur nachhaltig bestimmte. Zurecht. Und doch war jene Verordnung des Großen Kurfürsten zwei Jahrhunderte zuvor – mit den damals gegebenen Mitteln – ein erster wichtiger Schritt nach vorn. Man kann es auch so sehen: Die Brunnen- und Gassenordnung war bitter nötig, sie war überfällig, es stank zum Himmel in Berlin.

Der Scharfrichter, dem seit 1587 nebenbei auch die Straßenreinigung in der Doppelstadt oblag, war hierbei sichtlich überfordert. Und so klagte Friedrich Wilhelm in der Präambel zu seinem Erlass, „…was die in der Stadt, und auff öffentlichen Gassen liegende Unsauberkeit für einen bösen Geruch verursache: offtmals die Luft inficiret, und dadurch allgemeiner Stadt einige Kranckheit, zugezogen werden könne.“ Berlin prosperierte unter seiner Herrschaft. 1648 war der Dreißigjährige Krieg beendet, die Bevölkerung wuchs, mit ihr auch die Bautätigkeit. Neue Stadtteile kamen hinzu, erst der Friedrichswerder, die Dorotheenstadt sollte bald folgen. Unter den Linden wurde planiert, eine Reihe von Parks angelegt, das Schloss erhielt seine endgültige Gestalt.

„Schweinekoven, so Stanck geben, sollen weggeschaffet werden“

Aus dem Berliner Sumpf- und Sandboden schossen die Manufakturen, der Handel weitete sich aus. Die Wirtschaft blühte, aber eben auch noch die Landwirtschaft, die Viehhaltung, mitten in der Stadt. Sie aber sollte nun aus dem Zentrum, wenn auch nicht in Gänze, so doch wenigstens von den Straßen verschwinden. Die nun erklärte Ordnung sagte: „Alle Schweinekoven, Ställe und dergleichen so einigen Stanck geben könnten, sollen von öffentlichen Gassen weggeschaffet“ werden. Vor allem weitere solch anrüchige Neubauten auf städtischem Grund wollte der Kurfürst nicht mehr dulden: „Woselbst nicht allbereit itzo bey Publication dieser Ordnung etwas herausgebauet ist“, dort dürfe ab sofort „ferner nichts hingebauet werden“. Die Begründung: „Weil allgemeiner Stadt Wohlfahrt daran hänget, daß die Gassen raum und weit verbleiben, und nicht zugebauet werden“.

Eines der Hauptaugenmerke, dies sagt schon ihr Titel, richtete der Kurfürst in seiner Verordnung auf die Brunnen der Stadt, ihre Lebensadern. Maria Curter schreibt in ihrem Beitrag „Die erste Brunnen- und Gassenordnung“ auf „berlingeschichte.de“, es habe 1660, als der Edikt in Kraft trat, 379 Brunnen in den Höfen der Häuser sowie auf Straßen und Plätzen 51 öffentliche „Gassenbrunnen“ gegeben. Berlins Vorteil hierbei: Das Grundwasser stand vielfach nur ein oder zwei Meter unter der Gasse oder den Höfen.

Üblich war damals ein runder, ausgemauerter Ziehbrunnen von 1,5 Metern Durchmesser, durch den ein Eimer an einer Kette oder einem Seil zum Schöpfen hinabgelassen wurde. Im Idealfall war er überdacht, um unnötige Verschmutzungen zu vermeiden. Immerhin auch zwei „modernere“ Modelle gab es im Jahr 1660 bereits: Rohrbrunnen mit Schwengel und Pumpwerk. Sie arbeiteten nach demselben Prinzip wie die 300 heute noch übers Stadtgebiet verteilten alten „Plumpen“. Sie alle waren damals elementar nicht nur für die Trinkwasserversorgung, sondern auch zur Feuerbekämpfung.

Artikel 1 der neuen Verordnung legte nun fest, dass „ein jeder, welcher einen Brunnen auf seinem Hofe hat, denselben beybehalten, und bey 10 Thalern Straffe nicht vergehen lassen“ dürfe. Auch die Gassenbrunnen sollten rein und sauber gehalten werden. „Sollte sich aber jemand, es sey bei Tage oder bey Nachte, unterstehen, etwas in solche Brunnen zu werffen, derselbe sol mit Gefängniß gestrafet werden.“ Zur Besorgung der öffentlichen Brunnen gab es „Brunnen-Herren, und dero Ampte“. Den Bürgern, so wollte es der Hohenzollern-Kurfürst, oblag es, irgendeinen Berliner nach ihrem Gusto zu diesem „Ampte“ zu berufen, immer gleich für vier Jahre. Der konnte das dann nur „bei Straffe drey Thaler“ verweigern. Wen das Schicksal vorsah, der musste nicht nur das Gerät in Schuss halten, er musste auch im Falle eines Feuers sich sofort beim Brunnen einfinden. Und er hatte Buch zu führen über Ein- und Ausgaben, jedes Jahr Rechenschaft abzulegen.

Auch der gemeine Bürger wurde herangezogen, für Ordnung und Sauberkeit zu sorgen, natürlich können rückblickend kaum heutige Maßstäbe angelegt werden. Auch für den Belag und die Struktur der Straße vor seinem Anwesen war er nun verantwortlich: „Ein jeder, wer in diesen churfürstl. Residentz- Städten ein eigen Hauß hat, sol nach Publication dieser Ordnung inner sechs Wochen und so offte es Noth, bey zweene Thaler Straffe, das Pflaster für seiner Thüre, so weit sein Hauß gehet, bis an die Rönne inclusive, dergestalt anfertigen lassen, damit bei Regenhafftigem Wetter, daß Wasser ablauffen könne, und nicht das eine hoch, daß ander niedrig oder grubicht seyn möge.“ Auf Neudeutsch übersetzt: Der Große Kurfürst verpflichtete die Berliner somit, Bürgersteige anzulegen.

Auch in anderen größeren Städten kamen die Bürgersteige in jenen Jahren wieder auf. Dabei kannten die alten Römer sie bereits. Doch während sie in der Antike – fast wie im heutigen Sinn – dazu dienten, allzu flotte Fuhrwerke vom Fußgängergewühl fernzuhalten, sollten sie nun, da sie nach tausend Jahren Vergessens, außer in Berlin auch in London und Paris wieder in Mode kamen, den Müll vom Abwasser trennen. Auf diesen Bürgersteigen sollte nun der tägliche Unrat landen, damit bei Regen der Wasserlauf auf der Straße nicht beeinträchtigt wird. Und hier kam der „Gassenmeister“ ins Spiel, eine Amtsperson, die einen Eid ablegen musste: „Wann das Gesinde für den Thüren feget, solches Müll nicht nahe an die Gassen Rönne, damit dieselbige nicht dadurch verstopffet werde, bringen lassen, und da er ja wegen Mangelung des Raumes einigen Mist, Müll und dergleichen aus seinem Hause bringen und auf die Gassen schütten lassen müßte, solches dem Gassenmeister sofort ansagen lassen, damit er solches wegführen, und nicht eine Nacht über auf der Gassen liegen möge.“

Mit einer Glocke in der einen Hand und die Deichsel seiner Karre in der anderen zog der Gassenmeister durch die Straßen und lud den Unrat und Kehrricht auf, um ihn in eine Grube vor oder hinter der Stadtmauer zu schaffen, die ihm jedes Jahr aufs Neue zugewiesen wurde.

Spott gegen den Gassenmeister wurde nicht mehr geduldet: 10 Taler Strafe

Berlinern, die sich nicht daran hielten, so schreibt es Curter, wurde der Abfall durchs Fenster zurück in ihr Haus geworfen. Dies allerdings war noch eine der geringsten Peinen, mit denen es die Bevölkerung jetzt zu tun bekam. Wer „in heimlicher Weise“ auf dem Markt oder der Brücke „für die Thüre“ schütten wollte, so befand der Kurfürst, der landete im Gefängnis oder – im Wiederholungsfall – am Pranger. Der Gassenmeister, wie später der Straßenfeger oder zuvor der Scharfrichter, als der noch nebenbei den Dienst versah – sie alle waren bei der Stadtgesellschaft nicht wohlgelitten, mussten sich manche Gemeinheit oder Neckerei anhören, auch wenn es sich um Amtspersonen handelte.

Das aber wollte Friedrich Wilhelm nun nicht mehr dulden. Wer das Reinigungspersonal verspottete, hatte fortan 10 Taler Strafe zu zahlen. Eine enorme Summe, lag das Jahresgehalt etwa des Dienstpersonals bisweilen sogar noch darunter. Noch schlimmer erging es Zeitgenossen, offenbar ohne Ansehen der Person, die die Bäumchen oder Weinstöcke, mit denen nun die Straßen verschönert werden sollten, irgendwie beschädigte oder behaute. „Solte jemand dessen überwiesen werden, sol er, er sey, wer er wolle, andern zum Abscheu mit Abhawung der Faust gestraffet werden.“

Damit das auch ankam, waren in den Gewerbebetrieben der Stadt die Meister angehalten, die Verordnung alle halben Jahre den Gesellen, Gehilfen und Burschen vorzulesen. 20 Jahre später erließ der Große Kurfürst eine neue Verordnung. Der einzige Unterschied zur vorherigen: Die Strafen wurden empfindlich erhöht.

Die Berliner Morgenpost im Internet: www.morgenpost.de