Tagesspiegel vom 05.02.2024 von Theresa Roelcke

Als das städtebauliche Werkstattverfahren am 13. September 2022 überraschend ohne einen klaren Sieger beendet wurde, erklärte Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt (parteilos, für SPD), das liege unter anderem daran, dass bestimmte Themengebiete in Machbarkeitsstudien weiter vertieft werden müssten. Zum Beispiel müsse geklärt werden, wie die archäologischen Funde im neuen Stadtquartier angemessen präsentiert werden könnten. Schließlich war hier einmal der mittelalterliche Stadtkern von Berlin .

Nun zeigt sich: Die Studie wurde bereits erstellt, aber von einem Architekturbüro, nicht von Archäologen. Und dazu noch von einem Architekturbüro, das für seine historisierende Vorstellung von Stadt bekannt ist. Das geht aus einer noch unveröffentlichten Antwort Kahlfeldts auf eine schriftliche Anfrage des Grünen-Abgeordneten Julian Schwarze hervor.

Das Berliner Büro Jordi, Keller, Pellnitz hatte sich zunächst mit einem eigenen Beitrag am städtebaulichen Wettbewerb für den Molkenmarkt beworben, es aber nicht in die nächste Stufe, also das Werkstattverfahren, geschafft – unter anderem deswegen, weil die „Vereinbarkeit des Entwurfs mit den Leitlinien zur Ökologie, Freiräumen, nachhaltiger Mobilität, bezahlbarem Wohnungsbau nicht ausgearbeitet“ sei und außerdem „eine große Diskrepanz zwischen der Kleinteiligkeit, Realisierbarkeit und gewünschten großzügigen Freiraumlösungen“ bestehe, hieß es im Ergebnisprotokoll der abschließenden Preisgerichtssitzung des Wettbewerbsverfahrens. Der Entwurf lehnte sich an die äußerst kleinteilige Parzellierung gegen Ende des 19. Jahrhunderts an.

Ungereimtheiten im Verfahren

Die beiden Siegerentwürfe des Wettbewerbs wurden in das anschließende Werkstattverfahren überwiesen, und dort weiter entwickelt. Statt der Kür eines Siegerentwurfs verkündete Kahlfeldt nach der abschließenden Jurysitzung im September 2022, das Preisgericht habe seit jeher lediglich „Empfehlungen“ für das weitere Verfahren aussprechen sollen und keinen Siegerentwurf küren. Außerdem seien noch drei Machbarkeitsstudien, darunter die zur Archäologie, nötig, um weiterarbeiten zu können.

Dass die Zielstellung, „Empfehlungen“ zu formulieren und nicht eine Entscheidung zugunsten eines einzigen Siegerentwurfs zu treffen, in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung kurz vor der abschließenden Jurysitzung gefällt wurde – und damit nicht von der eigentlich unabhängigen Jury –, belegte die Berliner Zeitung final im November 2023 mit Unterlagen aus einer Akteneinsicht.

Demnach gab es in den Akten auch Hinweise darauf, dass ein Konflikt um die gewünschte kleinteilige Bebauung Auslöser für den Eingriff in das Verfahren und die Unabhängigkeit der Jury gewesen sein könnte. Kleinteilige Baustrukturen mit vielen Treppenhäusern treiben die Bau - und Betriebskosten in die Höhe und machen die künftigen Gebäude weniger flexibel in der Nutzung. Senatsbaudirektorin Kahlfeldt war in der Vergangenheit immer wieder für eine möglichst kleinteilige Bebauung des Areals eingetreten. Bauen sollen am Molkenmarkt aber landeseigene Wohnungsunternehmen , und zwar bezahlbaren Wohnraum – da dürfte zu viel Kleinteiligkeit ein Problem werden.

Kleinteiligkeit durch die Hintertür?

Die Beauftragung des Büros Jordi, Keller, Pellnitz mit der Machbarkeitsstudie für Archäologie nährt nun bei Kritikern die Befürchtung, die Machbarkeitsstudien könnten ein Hebel sein, um die Kleinteiligkeit am Ende durch die Hintertür herbeizuführen, etwa dann, wenn das Büro argumentieren sollte, dass nur in einem Umfeld mit kleinteiliger Bebauung die archäologischen Funde angemessen zur Geltung kommen könnten.

„Die Beauftragung wirft Fragen auf“, meint der Grünen-Abgeordnete Schwarze. Er fragt, warum ein Architekturbüro mit der Studie beauftragt worden sei, kein archäologisches Fachbüro. Außerdem müsse sich zeigen, „ob über die Machbarkeitsstudie versucht wird, doch noch eine möglichst kleinteilige Aufteilung der Grundstücke zu erreichen. Das hätte Folgen für den bezahlbaren Wohnraum und das gesamte Quartier.“

Eine kleinteilige Aufteilung hätte Folgen für den bezahlbaren Wohnraum.Julian Schwarze, Abgeordneter von den Grünen

Nicht nur mit seinem Beitrag für den Molkenmarkt -Wettbewerb hat sich das Büro Jordi, Keller, Pellnitz in der Vergangenheit für einen dezidiert historisierenden Städtebau positioniert. Die beteiligten Architekten haben bereits Anfang der Nullerjahre zwei Arbeiten für Rekonstruktionen im Bereich des Molkenmarkts vorgelegt, nämlich für das „Graue Kloster“ und den „Jüdenhof und Umgebung“.

Außerdem hat das Büro zwei Häuser in der neuen Frankfurter „Altstadt“ gebaut. Und die Stiftung Mitte Berlin , die private Bauherren für kleinteilige Parzellen am Molkenmarkt fordert, empfiehlt die Entwürfe der unterschiedlichen Beteiligten des Büros als die „besten Studien und Entwürfe für die Berliner Mitte aus den letzten Jahren“ .

Doch warum wurde gerade dieses Büro beauftragt, nicht etwa Archäologen? Die Stadtentwicklungsverwaltung antwortet sehr allgemein: „Die Auftraggeberin der Machbarkeitsstudie Archäologie ist die Wohnungsbaugesellschaft Berlin -Mitte (WBM). Das Büro Jordi, Kellner, Pellnitz wurde im Ergebnis eines Vergabeverfahrens der Auftraggeberin beauftragt.“

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