In Nahost tobt ein Krieg. Und in Berlin stockt der Bau des House of One. Braucht man den Sakralbau für den Dialog der Religionen überhaupt noch? Unbedingt, sagt der Rabbiner Andreas Nachama
Berliner Zeitung vom 04.04.2024 von Andreas Nachama

Die freigelegten Grundmauern der Berliner Petrikirche sind mit Plastikplanen verhüllt. Sandsäcke sorgen dafür, dass der provisorische Schutz nicht davonfliegt. Historische Holzbohlen der Ruine wurden sorgsam abgedeckt. Nun steht allerdings zentimeterhoch Wasser darauf. In einer Ecke des Baugrundstückes fahren zwei Männer mit einem kleinen Bagger hin und her und verteilen etwas Erde. Nach echten Bauarbeiten sieht das nicht aus.

Es tut sich nicht viel auf dem Baugrundstück für das House of One auf dem Petriplatz in Mitte. Vor nunmehr drei Jahren wurden 71 Bohrpfähle in den Untergrund getrieben, auf denen das Gebäude einmal stehen soll. Ein Jahr später ist ein Grundstein gelegt worden. Seitdem – nichts. Nur die Kosten bewegen sich. Sie steigen, und zwar rasant. Seit im Jahr 2020 für das House of One eine Summe von etwa 47 Millionen Euro veranschlagt wurde, haben sich in Deutschland dem Statistischen Bundesamt zufolge die Baupreise um knapp 40 Prozent erhöht. Das bringt dieses Projekt ins Stocken. So verkündeten es die Projekttreiber zuletzt im vergangenen Sommer und versprachen, dass es von nun an aber schneller vorangehen soll. Allein – es tut sich noch immer nichts.

Und dabei soll an dieser Stelle doch irgendwann einmal etwas ganz Besonderes wachsen. Ein Sakralbau nämlich, den Menschen jüdischen, christlichen und muslimischen Glaubens für den Dialog der Religionen untereinander und mit der Stadtgesellschaft gemeinsam planen, errichten und nutzen können. Es entsteht so mitten in Berlin das Sinnbild eines Friedensschlusses dreier Religionen, die anderswo so oft für Konflikte und kriegerische Auseinandersetzungen herhalten mussten und müssen. Das Vorhaben hat international für Aufsehen gesorgt und findet Nachahmer.

Ein offener Begegnungsraum

Auf der Website klingt ja auch alles recht großartig. „Gebaut wird am Ursprungsort Berlins , wo vor über 800 Jahren die erste Kirche Berlins stand und das Miteinander von Stadt und Religion seinen Anfang nahm“, so heißt es in der Selbstbeschreibung des Projekts. Die historische Mitte der Stadt also. Ein Haus mit einer Synagoge, einer Kirche und einer Moschee unter einem Dach – in ihrer Mitte ein großer offener Begegnungsraum und all das auch noch auf den Fundamenten eines früheren Gotteshauses.

Mit diesem Bau sollen drei Religionen, die weltweit immer wieder zur Rechtfertigung kriegerischer Auseinandersetzungen herangezogen werden, ein Hoffnungszeichen in schwierigen Zeiten setzen. Symbolisch überhöht ist das Projekt also gleich in vielerlei Hinsicht.

In schwindelerregenden Höhen bewegen sich mittlerweile allerdings auch die Kalkulationen. Die angepeilten Kosten liegen aktuell bei knapp 70 Millionen Euro. Durch die Baupreissteigerungen ist es zu einer Finanzierungslücke gekommen. Es fehlt zurzeit ein kleiner einstelliger Millionenbetrag, und ohne den können Zuwendungen nicht ausgezahlt werden. Das ist das eine. Auf der anderen Seite stellt sich auch gerade jetzt eine Sinnfrage. Was kann ein solches Leuchtturmprojekt überhaupt bewirken, wenn erneute kriegerische Auseinandersetzungen im Nahen Osten bis in die deutsche Hauptstadt hineinstrahlen?

Vom Bauplatz aus gesehen etwa zehn Kilometer weiter westlich sitzt der Rabbiner Andreas Nachama an einem Schreibtisch in seinem kleinen Büro, direkt neben der Synagoge Sukkat Schalom an der Herbartstraße in Charlottenburg. „Das House of One läuft prima, nur der Bau kommt nicht voran“, sagt er, lacht und schüttelt den Kopf angesichts der Fallstricke, in denen sich das Projekt verheddert hat.

Nachama ist einer der Initiatoren des Projekts. Drei Geistliche der drei beteiligten Religionen geben dem House of One ein Gesicht: Nachama für die jüdische, der evangelische Pfarrer Gregor Hohberg für die christliche und Imam Kadir Sanci für die muslimische Seite. Aber Beten hilft offenbar nicht gegen Bürokratie. So müssen etwa sämtliche Steine, aus denen der Bau errichtet wird, einer bestimmten DIN-Norm entsprechen. Das Haus soll nämlich aus Klinkersteinen errichtet werden. Die Beschaffung von Millionen hellgelber Ziegel eines speziellen Maßes soll nicht ganz einfach sein, hört man von Eingeweihten.

Nachama geht mit den Schwierigkeiten entspannt um. Als der Fotograf für ein Porträtfoto von ihm ein Modell des Baues von seinem Schreibtisch entfernen will, protestiert er scherzend. Am Ende werde das Ding gebaut. Ganz sicher, Nachama hat Sinn für Humor. Aber er kann den Fortschritt nur schwer beeinflussen. Das Model auf Nachamas Schreibtisch besteht aus vier Klötzen aus Holz. Drei davon stehen für die Gebetsräume der drei beteiligten Religionsgemeinschaften, der vierte für den gemeinsamen großen Saal. Zusammen ergeben sie das House of One im Miniaturformat.

Die Wirklichkeit ist komplexer. Das Vorhaben ist spendenfinanziert und der Untergrund, auf dem das Gebäude errichtet werden soll, schwammig. Genehmigungen brauchen lange, man muss Rücksicht auf benachbarte Bauten und Relikte im Untergrund nehmen – die Fundamente der historischen Petri-Kirche zum Beispiel. Das Gebäude soll nicht direkt auf dem historischen Kirchenfundament aufsetzen, sondern auf einem Ringfundament aus Beton, mit dem die Pfähle miteinander verbunden werden. Nachama winkt ab. „Das sind zum Glück keine Probleme, die ich lösen müsste“, sagt er. Schließlich ist er kein Ingenieur, sondern Rabbiner.

Andreas Nachama ist 72 Jahre alt, und er muss eine Vorliebe für schwierige Unterfangen haben. Aus dem jüdischen Berlin ist er nicht wegzudenken. Er war Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, in der traditionell viel gestritten wird, Mitglied im Direktorium des Zentralrats der Juden, Vorsitzender der Allgemeinen Rabbinerkonferenz. Parallel dazu hat der Historiker viele Jahre die Topographie des Terrors geleitet. Zurzeit versucht er als kommissarischer Leiter, das Abraham-Geiger-Kolleg nach Vorwürfen von Machtmissbrauch gegen die frühere Leitung neu aufzustellen. Das House of One hat er quasi geerbt, als der Rabbiner Tuvia Chorin, einer der drei Geistlichen im Projekt, in die Schweiz wechselte.

Das war in einer vergleichsweise friedlichen Zeit. Mit dem Überfall der Hamas auf Israel im vergangenen Herbst kam auch nach Berlin wieder ein Gefühl von Bedrohung. Jüdische Menschen fürchten Übergriffe. Im Gottesdienst wollen sie nicht mehr fotografiert werden. Viele verstecken Zeichen, die sie erkennbar machen: Kippa, Davidstern, hebräische Zeitungen.

Am 7. Oktober hatte Nachama noch wie üblich zum Morgengottesdienst eingeladen. Zum Gebet am Abend kam dann kaum noch jemand. Die Menschen verkrochen sich zu Hause und verfolgten die Nachrichtenlage. Nachama wollte an diesem Wochenende nach Tel Aviv fliegen. Das hat er dann gelassen. Stattdessen veranstaltete er Friedensgebete, eins nach dem anderen, zuerst gemeinsam mit Pfarrer Hohberg und Imam Sanci am House of One, später in der Synagoge am Lietzensee. Anfangs beteten sie täglich für den Frieden, mittlerweile geht es im Wochenrhythmus um Israel und Gaza. Jedes Mal stellen die Organisatoren eine der Geiseln der Hamas ins Zentrum ihrer Begegnung. Die beiden Bischöfe, Christian Stäblein von der evangelischen und Heiner Koch von der katholischen Kirche, sind einmal dagewesen, ebenso Abgeordnete und Menschen aus verschiedenen Institutionen. Sie wollen sich solidarisch zeigen.

Fragt man Andreas Nachama in diesen Tagen nach dem Konflikt im Nahen Osten, erzählt er eine Geschichte aus dem Jahr 1972. Damals habe ihm ein israelischer General weismachen wollen, dass die israelisch-ägyptische Grenze zu diesem Zeitpunkt am Suezkanal absolut sicher sei. Dann sei aber über genau diese Grenze der Jom-Kippur-Krieg gekommen. Nachama vergleicht die Situation damals mit der heutigen an der Grenze Israels zu Gaza. Die Akteure im Nahostkonflikt seien bis heute nicht so weit gekommen wie die ehemals verfeindeten Weltkriegsteilnehmer im Europa der 1950er- und 60er-Jahre. In Israel habe man sich an der Grenze zu Gaza sicher gefühlt. Bis die Terroristen kamen und einfach durchbrachen.

Nachama ist ein Geschichtenerzähler. Er schlägt einen Bogen bis nach Berlin . Wie schnell der weit entfernte Konflikt in der deutschen Hauptstadt angekommen ist, hat ihn überrascht. Menschen feierten auf der Sonnenallee den Überfall der Terroristen. „Das war ein bitteres Erwachen“, sagt Nachama.

Mit mehr Dialog eine „blühende Region“

Eine Woche nach dem Hamas-Überfall kam Ayman Mazyek nach Charlottenburg. Der Präsident des Zentralrats der Muslime ist für eine relativierende erste Stellungnahme zum Hamas-Überfall vielfach kritisiert worden. Aber für Andreas Nachama sind die Erwartungen an Muslime zu hoch. Man könne ja auch fragen, wo gerade jetzt die lauten Stimmen jüdischer Gemeinschaften zu den Vorgängen in Gaza blieben, sagt er. Nachama hatte Mazyek eingeladen, und der sagte zu. Das zumindest funktionierte. Ganz anders im Nahen Osten. Die Schwierigkeiten der verschiedenen Akteure, sich zusammenzutun, lassen Nachama ratlos zurück. „Was könnte das für eine blühende Region sein?“, sagt er nachdenklich.

In Deutschland dagegen überrascht ihn kaum noch etwas. Die Existenz rechtsextremer Netzwerke, durch die Plattform Correctiv aufgedeckt, bestärkt ihn zum Beispiel in einer Gewissheit. Für Nachama ist klar, dass diejenigen, die Süßigkeiten auf der Sonnenallee verteilen, und jüdische Gemeinschaften wie andere Minoritäten im selben Boot sitzen. Konfrontiert mit den gleichen Schwierigkeiten und Feinden. Das habe sich nur noch nicht überall herumgesprochen, sagt Nachama. Wie sinnfrei sei es, sich untereinander zu bekriegen, wenn die Feinde doch ganz woanders säßen, in der Villa Adlon zum Beispiel, wo das Netzwerk-Treffen stattfand. Ignoranz ärgert ihn.

Insoweit stellt sich auch Andreas Nachama die Frage, was ein Projekt, eine Institution wie das House of One in einer konfliktreichen Lage beitragen kann. Was kann ein in Stein errichtetes Symbol überhaupt bewegen? Nachama hat darauf eine klare Antwort: eine ganze Menge, sagt er.

Für ihn beginnt das Wunder von Harmonie bereits im Planungsprozess . Im gemeinsamen Entwickeln von Ideen. Auch das Begleiten des Projekts in der Realisierung findet er nicht kompliziert. „Das sind nur Ingenieurprobleme, das Miteinander ist nicht schwierig. Wie wir miteinander umgehen, das ist wunderbar. Das Stein-auf-Stein-Legen funktioniert halt nicht“, sagt Andreas Nachama. Am Ende werde dort aber ein Haus stehen. Juden, Christen und Muslime würden dann jeweils in ihrer eigenen Tradition in den Gebetsräumen beten und gemeinsam eine Verantwortung tragen – allen baulichen Schwierigkeiten zum Trotz.

Es geht für ihn um den Frieden in der Stadt, aber auch ganz banal um den Erhalt dieses Hauses. Harmonie und Verständnis entsteht Nachama zufolge im Gespräch. Nachama ist ein Freund einer Lösung des Großen im Kleinen. Jetzt muss das Haus nur noch fertig werden.

Immerhin hat die inhaltliche Arbeit des House of One ja bereits begonnen – auch ohne reales Gebäude. Nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei zum Beispiel wurde gemeinsam gebetet. Die drei Geistlichen beten auch zusammen öffentlich für Frieden in der Ukraine. Es gibt einen Podcast und gemeinsames Fastenbrechen im Ramadan. Die Organisation schickt Referenten in Schulen. Kürzlich war Nachama mit den beiden anderen Geistlichen in den Wilhelmstadtschulen in Spandau, um mit Schülern zu diskutieren. Die drei stellten dort ihr Projekt vor. Aber recht schnell ging es anschließend um Aktuelles und Politisches – auch um die aktuellen kriegerischen Verwicklungen.

In der Zwischenzeit ist eine Kopie des Projekts in einer ehemaligen Kathedrale in Georgien bereits fertig. Aber Nachama wirkt frei von Neid. „Der Ball wurde aufgenommen und weitergespielt. Das ist doch schön“, sagt er. „Es wird immer gesagt, die Religionen können nicht miteinander, aber das ist falsch. Das ist die Politik, die nicht miteinander kann. Es liegt am Nationalismus und dem Drang, sich Gebiete zu unterwerfen.“ Dagegen setzt Nachama die Strahlkraft seines Projekts. Symbolprojekte könnten etwas beitragen, findet er. Auf dem Bauplatz an der Leipziger Straße zieht derweil der Frühling auf. Moos wächst in den Spalten und auch ein paar kleine Blumen.

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