Leserbrief zum Artikel vom 20.087.2023 im Tagesspiegel
Katrinka Delattre, 22763 Hamburg, 20. August 2023

Sehr geehrte Redaktion,

das triviale Fortschrittsdenken und blinde Vertrauen in eine technische Zukunft der 30er Jahre ("Charta von Athen") ermöglichte den sinnlosen Abriss vieler historischer Stadtviertel, Gebäude, den Bau der autogerechten Stadt. In Berlin war die historische Mitte vor 1933 bunt und kuturell vielfältig (Rahel Varnhagen, Moses Mendelssohn, Henriette Herz, Alfred Messel usw.).

Ich unterstütze daher das Engagement von Benedikt Goebel "für" eine Wiedergewinnung der alten Berliner Mitte durch eine kleinteiligere Neubebauung. Diese könnte durchaus mit neuem Stadtgrün verknüpft werden. Das technische Denkmal Fernsehturm kann verändert oder langfristig räumlich versetzt werden. Warum nicht in die Allee der Kosmonauten. In der Altstadt war der Fernsehturm von Anfang an völlig deplatziert. Breite Autoschneisen können verengt werden. So wäre ausreichend Platz für kleinteilige Neubauten plus grüne Freiflächen - der Berliner Lustgarten als Vorbild. In Hamburg - regiert von SPD und Grünen - wird die Innenstadt schrittweise nach den Grundgedanken von Jan Gehl Planer*innen  (Kopenhagen) kritisch rekonstruiert - Wiederaufbau der Hauptsynagoge, Colonnaden 72, Gänsemarkt, Mönckebergstr., Umbau eines Parkhauses als Versuch, sozialer Wohnungsbau nach Drittel-Mix-Regelung usw.

Zur Kritik an der "Gleichsetzung". "Bauhaussiedlung Auschwitz" titelte die "Jüdische Allgemeine" vom 23.07.2012, Autor Michael Wuliger. Ausgehend von Jean Louis Cohen "Architecture in Uniform" (2012) wurde die wenig bekannte Rolle des Bauhausschülers Fritz Ertl, der im KZ Auschwitz als stellvertretender Leiter der SS-Zentralbauleitung tätig war, thematisiert. Volkwin Marg (Gmp Architekten, Planer*innen) und Jörn Düwel (Hafen-City-Universität Hamburg) realisierten 2013 in der "Freien Akademie der Künste Hamburg" die Ausstellung "Ein seltsam glücklicher Augenblick", Weltkrieg und moderne Stadtplanung - u.a. Ernst Neufert als Chefplaner von Albert Speer für den seriellen und autogrechten Wiederaufbau der zerstörten Städte - Jörn Düwel "Zwischen Traum und Trauma" Dom publisher 2013.

2015 diskutierte Frankreich über Le Corbusier und seine Begeisterung für den Faschismus und frühen Nationalsozialismus in Deutschland. !948 sprach Walter Ulbricht (SED) über die "jüdischen Kapitalisten" die die SED enteignen würde, wenn es die Nazis nicht schon getan hätten. 

An o.g. fachwissenschaftlichen Beiträge knüpft Benedikt Goebel m.E. zu Recht an.

Mit freundlichem Gruß

Katrinka Delattre