Leserbrief an den Tagesspiegel, Berlin von Markus Erich-Delattre, vom 26.09.13

Sehr geehrte Redaktion,

und wieder greifen die Hüter der Brachen zum Lautsprecher. Ich erlaube mir folgenden Widerspruch zu übersenden. "Nach der Grundsatzentscheidung in Moskau bleiben für einen Wettbewerb zur konkreten architektonischen Ausgestaltung des Alexanderplatzes nur wenige Monate Zeit. Sechs Kollektive werden dazu eingeladen. Keiner der Entwürfe wird letztlich jedoch umgesetzt. Vielmehr wählt der Erste Sekretär der Berliner SED-Bezirksleitung, Paul Verner, aus den Entwürfen nach Gutdünken Elemente aus und bestimmt deren Verwirklichung. Die Betroffenen nennen das Verfahren sarkastisch PVC: Paul Verners Chefarchitektur. Die Stadtverordnetenversammlung Berlins erklärt den zügigen Wiederaufbau des Alexanderplatzes im Juni 1966 zum politischen "Schwerpunkt Nummer eins", denn pünktlich zum 20. Jahrestag der DDR im Herbst 1969 soll das Zentrum Ostberlins ein weithin sichtbares sozialistisches Gepräge haben. (...)

 

Obwohl Joachim Näther (gemeinsam mit Peter Schweizer) zum verantwortlichen Architekten für das Komplexvorhaben Alexanderplatz berufen wird, mischt sich Paul Verner immer wieder in Ablaufplanung und Gestaltungsfragen ein. Auf der Baustelle arbeiten in den folgenden Jahren zwischen 15.000 und 20.000 Arbeiter, das Bauvorhaben wird zum zentralen Prestigeprojekt der DDR. (...) Ähnliches spielt sich auf der anderen Seite des Bahnhofs ab,..." (Gernot Jochheim "Der Berliner Alexanderplatz", S. 182f Links-Verlag 2006). In der Tat ein lupenreiner demokratischer Diskussions- und Beteiligungsprozess. Hat der Autor Wolf Eisenkraut die Geschichte der Überformung schlicht einfach vergessen oder sind seine Sätze eher die logische Folge einer ideologischen Verblendung. Wolf Eisenkraut spricht über den Verlust des Ahornblattes, über den Verlust vieler wiederaufbaufähiger Bestandsgebäude - Kaufhaus von Alfred Messel, weitere Jugendstilhäuser der frühen Moderne, Minol-Haus der 20er Jahre Moderne, Jugendstil-Lehrervereinshaus... - über die Irrtümer und Fehler nicht weniger Planer in der Ära der Stadtfeindschaft verliert der Autor kein Wort. Für diese Bauten hat Wolf Eisenkraut wohl bis heute nichts übrig. Ich möchte Herrn Eisenkraut den Besuch der Berliner Ausstellung

"Geraubte Mitte - Die "Arisierung" des jüdischen Grundeigentums im Berliner Stadtkern" und der Hamburger Ausstellung "Ein seltsam glücklicher Augenblick" Krieg und Moderne" empfehlen.

Mit freundlichen Grüßen

Markus Erich-Delattre Hamburg-Altona