Die neue Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt muss Berlin zukunftsfest machen – und: schöner! Eine Debatte ist entbrannt, ob sie die Richtige ist. Ein Weiter-so darf es nicht geben
Berliner Zeitung vom 15.01.2022 von Maritta Tkalec
Wie soll Berlin in zehn Jahren aussehen? Wenn die Sommer immer heißer werden und die Niederschläge immer weniger berechenbar? Wenn immer mehr alte Menschen – viel mehr Frauen als Männer übrigens – unterzubringen sind? Wenn die Großkaufhäuser pleite, die Büropaläste verwaist und Verbrennerautos ausgesperrt sein werden?
Den Großstädten, auch Berlin, steht eine Zeitenwende bevor. Doch der deutsche Städtebau erweckt nicht den Eindruck, als habe er das Unausweichliche verstanden. Klimagerechtes Bauen verlangt den Blick in südlichere Städte: Sonnenschutz, Verschattung, Grün, Kühlung möglichst ohne zusätzlichen Energieaufwand. Das sind andere Häuser als jene hierzulande modischen mit Glasfassaden, die sich wie Treibhäuser aufheizen und mit klimakatastrophalem Effekt gekühlt werden müssen. Außerdem gehen die Baumaterialien zur Neige: Ja, selbst der Sand ist bald alle. Man kann nicht mehr leichthin Häuser abreißen und überbauen, wie zum Beispiel im Berlin der Kaiserzeit alle 20 Jahre geschehen, weil sich die Bedürfnisse änderten. In den Jahren der Citywerdung Berlins nach der Reichsgründung 1871 verschwanden etwa die bürgerlichen Wohnhäuser aus der Stadtmitte; auf immer größeren Parzellen entstanden immer wuchtigere Bauten für Banken, Ministerien, Büros, Kaufhäuser. Das ist der Status quo. Die Digitalisierung macht ihm den Garaus. Das ist eine Chance! Endlich können wieder Menschen in der City wohnen. Aber dafür sind die vorhandenen Gebäude umzubauen.
Bisher wird in der Regel dem Wohnungsmangel durch Neubau auf der grünen Wiese – also mit noch mehr Flächenversiegelung – begegnet. Jetzt erlaubt das Homeoffice mit schnellem Internet auf dem Lande, nicht nur die Metropole zu entlasten ohne neue Pendlermassen in Bewegung zu setzen, sondern zugleich die darbenden Umland-Kleinstädte mit ihrem enormen Wohnungsleerstand zu beleben. Bisher aber verhalten sich Metropolenmoloch und brandenburgisches Umland außerhalb des Speckgürtels wie Wolf und Schaf. Der eine will fressen, der andere fühlt sich als Fraß.
Für viele alternde Menschen ist die Stadt mit ihrer Infrastruktur, vor allem der medizinischen, attraktiver als das Land, so schön es aussieht. Aber auch in der Stadt kann es nicht bei den vorhandenen Möglichkeiten bleiben: Für die neuen Alten werden viel mehr WG-taugliche Häuser aller Varianten gebraucht. Vor den üblichen Altenheimen fürchten sich die meisten potenziellen Insassen angesichts des nahenden Schicksals. Vielleicht eignen sich insolvente Hotels und leere Bürogebäude für einen Umbau.
Umbau ist offenkundig die Forderung der Zeit. Infrastruktur, Verkehr – so vieles verlangt Anpassung. Ein Weiter-so des Vollstellens von Flächen mit monotonen Betonkästen, das kann es nicht sein.
Warum sollte das mit der renommierten Architektin Petra Kahlfeldt nicht gelingen? Sie hat in vielen deutschen Innenstädten erfolgreich alten Bauten neues Leben gegeben. Ein Traum wären grüne Häuser. Ist es wirklich unbezahlbar, an Fassaden Pflanzen als Klimawehr zu postieren? Das Alexa würde erträglicher, wenn es bewuchert wäre wie die Markthalle im Zentrum von Avignon, wo es im Sommer gern mal 40 Grad heiß wird und Wände voller Pflanzen wohl tun, körperlich wie ästhetisch.
Die Senatsbaudirektorin steht im Rang eines Staatssekretärs für Stadtentwicklung für Bauen und Wohnen. Sie ist per definitionem zuständig für die kommunalen Bauaufgaben und die übergeordnete Planung Berlins. Sie erarbeitet stadtentwicklungspolitische Strategien und setzt Rahmenbedingungen für Wettbewerbe und Partizipationsverfahren. Ihre Macht ist groß, wenn sie im Einvernehmen agiert mit den politischen Spitzen – dem Bausenator, jetzt wieder Andreas Geisel, und der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey. Dann steht sie stark da, wenn sie die Interessen Berlins gegen die des Bundes zu vertreten hat (wie im Falle von Großprojekten wie dem Museum der Moderne am Kulturforum, auch „Grüttoleum“ genannt, weil sich Staatskulturministerin Monika Grütters dafür stark machte), oder wenn sie das Gemeinwohl schützen muss vor den Sonderinteressen eitler Architekten, knausriger und geschmacksunsicherer Investoren oder auch vor der eigenen Bauverwaltung .
Petra Kahlfeldts Vorvorgänger Hans Stimmann wusste seine Machtfülle zu nutzen: In der überhitzten Nachwendezeit, als Investoren und Architekten auf die Berlin -Mitte-Edelbrachen drängten, lief jeder Entwurf über Stimmanns Tisch; so manches hochfliegende Projekt (Hochhäuser!) hat er „kleingearbeitet“, wie er es selber beschrieb. Später klagten die einen: Der hat Großes verhindert. Die anderen seufzten dankbar: Der hat Schlimmeres verhindert. Jedenfalls galten Regeln, die sich an der historischen Substanz orientierten: Traufhöhe 22 Meter, Gebäudefront an der Straßenflucht, steinerne Fassaden, mindestens zwanzig Prozent Wohnanteil.
Als das Amt in heutiger Fasson 1951 in West- Berlin eingeführt wurde, lag der Schwerpunkt auf dem kommunalen Wohnungsbau. Die Stadt musste um ihres Überlebens willen im Bausektor eingreifen, denn der private Bereich lag kriegsbedingt noch handlungsunfähig darnieder. Seit mehr als zehn Jahren gibt es jedoch kaum noch kommunalen Neubau. Das limitierte den Einfluss des Amtes.
Aber fertig ist Berlin natürlich nie. Vor Jahren wurde diskutiert, ob man den Posten des Senatsbaudirektors nicht abschaffen sollte. Jetzt scheint er wichtig wie lange nicht. Der zwischen SPD, Grünen und Linken geschlossene Koalitionsvertrag verheißt „einen Aufbruch in der Bau -, Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik “.
Petra Kahlfeldt hat viel zu tun. Und bevor sie ihre wichtige Arbeit überhaupt aufgenommen hat, steht sie schon im Mittelpunkt heftiger stadtpolitischer Debatten. In einem offenen Brief kritisierten mehr als 600 Architekturpraktiker und -theoretiker das Ernennungsverfahren. Auch die Berliner Zeitung am Wochenende schaltete sich in die Diskussion ein: mit einem Text des Verlegers Holger Friedrich, der auch eine Einladung an die Stadtgesellschaft war, sich konstruktiv an der Debatte zu beteiligen. In den folgenden Beiträgen wird nun durchaus leidenschaftlich diskutiert – über die Personalie und über die Zukunft der Stadt.