Am Molkenmarkt prallen Städtebaukonzepte aufeinander. Entwürfe werden nun vorgestellt – und könnten verschiedener nicht sein
Der Tagesspiegel vom 16.01.2022 von Ralf Schönball und Teresa Roelcke

Das Projekt zählt zu den größten Umbauten der Innenstadt. Unweit des Fernsehturms, hinter dem Roten Rathaus, will der Senat am Molkenmarkt Hunderte Wohnungen schaffen, Platz für Restaurants, Cafés, Läden sowie Büros auf den Straßen der bisher autogerechten Stadt. Beton wird aufgerissen, neue Grünanlagen angelegt. Und es ist eines der ersten großen Vorhaben in der Stadtentwicklung , das Stilwillen und Doktrinen unter der umstrittenen neuen Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt aufzeigen könnte.

„Für den Molkenmarkt streben wir eine kleinteilige Bebauung mit vielfältiger Nutzung und sehr guter Architektur an“, steht im Koalitionsvertrag. Das ist die Abkehr von der städtebaulichen Linie, wonach größere, auf landeseigene Gesellschaften zugeschnittene Blöcke Vorrang haben, munkelte man in politischen Kreisen: Ausdruck des Wechsels an der Spitze der Verwaltung, der Staffelübergabe der Linken an die SPD.

Dazu passte der Aufruhr von Architekten, der die Berufung von Senatsbaudirektorin Kahlfeldt begleitete: Sie stehe für einen rückwärtsgewandten Städtebau , habe selbst Villen im Stil des vergangenen Jahrhunderts gebaut – für die bessere Gesellschaft, klingt da mit.

Gesetzt für das neue Quartier ist der Rahmen: Bislang kreuzten sich am Molkenmarkt die mehrspurige Grunerstraße, der Mühlendamm, Spandauer und Stralauer Straße: eine Landschaft aus Asphalt und Beton. Die Grunerstraße wird nun verschlankt und verlegt, Mühlendamm und Spandauer Straße direkt miteinander verbunden. Das schafft Platz für das neue Quartier: Wo Autos fuhren, sollen Häuser entstehen, verkehrsberuhigte Straßen das Areal aufteilen.

Damit ist der neue Molkenmarkt auch ein Pilotprojekt für die Verkehrswende: Die Autos sollen hier nicht mehr dominieren; stattdessen haben Fahrräder und Fußgänger Vorfahrt. Sogar eine neue Straßenbahnlinie soll Molkenmarkt und Alexanderplatz verbinden und zu Potsdamer Platz und Kulturforum weiterfahren. Baustart der Trasse laut Verkehrsverwaltung: „nicht vor dem Jahr 2026“.

Um den Städtebau konkurrieren noch zwei Büros: Bernd Albers Architekten sowie OS arkitekter mit cka Czyorra Klingbeil. Am Donnerstag präsentiert die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die Entwürfe in einer öffentlichen Zoom-Konferenz. Am 3. Februar und 28. April finden Bürgerwerkstätten statt. Bis zum Sommer müssen die beiden Sieger des Wettbewerbs die Ergebnisse der Werkstätten einarbeiten. Die Architektur der Häuser ist nicht entschieden. Die Entwürfe legen Struktur und Größe der Gebäude fest, wo Innenhöfe entstehen und Grünflächen, die Höhe der Bauten und wie sie genutzt werden. Wie die Gebäude und Grünflächen aussehen werden, das entscheiden weitere Wettbewerbe.

Dass die weitere Planung des Gebietes am Molkenmarkt beispielhaft für die städtebauliche Auseinandersetzung ist, die die Architektenschaft bewegt, zeigt sich an den ausgewählten Entwürfen. Der eine Entwurf stammt von einem eher mit historischen Anleihen sympathisierenden Architekten, Bernd Albers. Der andere von einer Arbeitsgemeinschaft, die schon aus dem Vorschlag des Baustoffs – Holz! – das neue große Thema der Architektur anstimmt: Klimagerechtigkeit, Regeneration, Kreislaufwirtschaft.

„Der Städtebau des Büros Albers ist historisierender, der Entwurf von OS arkitekter mit cka zeitgenössischer“, sagt Theresa Keilhacker. Das sei ihre „persönliche Sichtweise“, betont die Präsidentin der Architektenkammer. Am Werkstattverfahren zur Planung des Molkenmarktes ist Keilhacker mit der Initiative „Offene Mitte Berlin “ beteiligt. Sie wolle den Blick schärfen für die Grün- und Freiräume auf der straßenabgewandten Seite der Häuserzeilen. Die Chancen der „Schwammstadt“ gelte es zu nutzen, wo also kein Beton fließt, das Grün maximal zu nutzen, um Regen aufzufangen, Kühle und Feuchtigkeit sowie Biotope zu schaffen, Ausgleich für die steinernen Blöcke.

„Es gibt einen generellen Konflikt in der Stadt, die immer stärker verdichtet werden muss“, sagt Keilhacker. Es fehle oft an Sorgfalt bei der umweltgerechten Gestaltung der Landschaft rund um die aufgestockten oder erweiterten Stadtquartiere. Im Fall des Molkenmarktes sieht sie Vorteile beim Entwurf von OS/cka, der einen grünen Landschaftsraum vorsieht, der alle neu gebauten Blöcke durchzieht. Außerdem verzichte dieser Entwurf auf den Abriss eines großen Hauses an der Klosterstraße, den Albers vorsehe. Keilhacker lehnt Abriss grundsätzlich ab, wegen der ökologischen Folgekosten, der Vernichtung „grauer Energie“ und des neuen Eintrags von CO2 durch die Herstellung von Baustoffen für Neubauten. Hinzu kämen die „sozialen Kosten“ des Abrisses im Fall des Molkenmarktes: „Künstler nutzen den Altbau zurzeit, wenn das Haus verschwindet, werden auch sie verdrängt.“

Trennendes sieht Keilhacker auch im Umgang mit der Geschichte: OS/cka hätten die Klosterruine freigestellt und in ihrer Historizität belassen. Albers verstelle die Klosterruine mit historisierenden Elementen. Damit gehe das Risiko einer verwirrenden „Melange“ einher, weil die Unterscheidbarkeit von Altem und Neuem verwische. Diese Art von Simulation von Geschichte sieht sie kritisch.

„Dennoch: Es sind zwei gleichwertig erste Preise“, die jetzt in eine öffentliche Beteiligung gehen, sagt Keilhacker. Für den Molkenmarkt müssten nun die Entscheidungen „mit den Zielen des Koalitionsvertrags abgeglichen werden“. Darin sei die ökologische Wende im Städtebau sowie auch im Verkehr fest vereinbart.

Die BDA-Vorsitzende Julia Dahlhaus nennt die Grabenkämpfe um Architektur und Benennung der Senatsbaudirektorin „misslich und nicht im Sinne der Sache“. Der Verband habe in seinem Schreiben nur ein offenes Verfahren zur Besetzung des Postens gefordert, „das hatte nichts mit der Person Petra Kahlfeldt zu tun“.

Maßgeblicher als architektonische Traditionen oder Schulen findet sie am Molkenmarkt die Nutzung. Ein zu kleiner Zuschnitt der Bauflächen erhöhe die Kosten der Wohnfläche und begrenze die Klientel. Die Parzellenbemessung müsse so erfolgen, dass Wohnraum für eine gemischte Bewohnerschaft entsteht und neben Landesfirmen Baugemeinschaften und Genossenschaften bauen können.

In der Nachbarschaft des Molkenmarkts , in der Breiten Straße, hatte sich der Parzellenzuschnitt mit wechselnden Zuständigkeiten verändert: Unter Leitung des linken Stadtentwicklungsressorts sollte die WBM als landeseigene Wohnungsbaugesellschaft kostengünstigen Wohnungsbau errichten, was Einfluss auf die Parzellengrößen hatte.

Die Bauarbeiten für die veränderte Straßenführung sind in vollem Gange. Laut Verkehrsverwaltung läuft alles nach Plan, im vierten Quartal 2022 wird die neue Fahrbahn zur Leipziger Straße fertig.

„OS/cka schlagen eine Freizeitarchitektur wie am Meer vor, mit einzeln stehenden kleinen Klötzchen. Diese kleinen Klötzchen passen nicht hierher und ich halte sie städtebaulich für minderwertig“, sagt Benedikt Goebel. Er ist Stadthistoriker, SPD-Mitglied und seit 2011 Sprecher der „Planungsgruppe Stadtkern“ im Bürgerforum Berlin.

Goebel plädiert für ein „Leitbauten“-Konzept auf dem Molkenmarkt : Einzelne historisch belegbare Fassaden würden dabei wieder aufgebaut, der Rest der Architektur solle zeitgenössisch sein. Von den beiden Siegerentwürfen zieht er Albers vor, weil der sich optisch besser in die Umgebung füge. Der Berliner Architekt entwarf Gebäude, die das Bild Berlins prägen, das Marriott-Hotel und das Stresemann-Quartier nahe Potsdamer Platz. Von 1996 bis 1999 war er Obergutachter des Planwerks Innenstadt.

Auch für die 2018 eröffnete, „neue Altstadt“ in Frankfurt am Main hat Albers Gebäude entworfen. Diese Art der kritischen Rekonstruktion findet Stadthistoriker Goebel vorbildhaft – auch für den Molkenmarkt. Die neue Frankfurter Altstadt war aber auch Gegenstand einer heftigen Kontroverse. Laut Architekturprofessor Stephan Trüby geht die Idee zum Wiederaufbau auf den rechtsextremen Publizisten Claus Wolfschlag zurück. Es stelle sich die Frage: Ist dies ein dummer Zufall oder ein struktureller Anschluss an rechte Diskurse einer schönen Welt vor Weltkriegen und Nationalsozialismus?

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Im Herzen der Stadt. Wo der Mühlendamm die Spree quert, beginnt das Planungsgebiet Molkenmarkt . Die Straßen werden schmaler, das bietet Platz für viele neue Wohnungen am Parkplatz hinter dem Rotem Rathaus und auf Brachen gegenüber. Foto: Dirk Laubner

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