Die Berufung von Petra Kahlfeldt zur Senatsbaudirektorin von Berlin löste heftige Kritik aus: Ihre traditionsorientierte Architekturauffassung sei nicht zeitgemäß. Im ersten Interview spricht sie über gute Stadtquartiere, Rekonstruktionen und das kleinste Haus, das sie je gebaut hat
Die Welt vom 20.01.2022 von Rainer Haubrich

Der Lichthof im Gebäude der Bauverwaltung am Köllnischen Park ist eine Attraktion für jeden, der sich für Berlins Stadtentwicklung interessiert: Zwei riesige Holzmodelle der Innenstadt stehen dort, dazu ein Modell aus DDR-Zeiten, das zeigt, wie man sich das sozialistische Zentrum vorstellte. Den Ausstellungsraum mit Glasdach entwarf im Jahr 2006 das Ehepaar Kahlfeldt. Jetzt gibt Petra Kahlfeldt als neue Senatsbaudirektorin dort ihr erstes Interview. Gerade einmal zwei Wochen ist sie im Amt.

WELT:

Frau Kahlfeldt, haben Sie schon einmal ein Gebäude aus Holz gebaut?

Petra Kahlfeldt:

Ja, ein ganzes Holzhaus, ein sogenanntes "tiny house" in Sachsen-Anhalt als kleinen Rückzugsort im Grünen. Über viele Jahre war mein Schwerpunkt die Transformation von Gebäuden, da hatte ich vielfältige Kontakte mit Holz.

Ich frage, weil man in der Debatte um Ihre Berufung den Eindruck gewinnen konnte, Erfahrung im Holzbau sei die wichtigste Einstellungsvoraussetzung für dieses Amt.

Holz ist eine nachwachsende Ressource, lokal vorhanden und durch seine ökologischen Eigenschaften ein Negativ-Emmissionen- Baustoff , der aktuell viele Innovationen generiert. Berlin hat sich ein großes Holzbauquartier vorgenommen auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tegel, das ist auf einem guten Weg. Dort soll ein Holz-Kompetenzzentrum entstehen, damit wir aus der Praxis wichtige Erkenntnisse gewinnen und diesen hochökologischen Baustoff besser kennenlernen.

Manche Kritiker sehen in Ihrer Berufung eine "Kampfansage an die ökologische und soziale Stadt".

Die soziale und ökologische Entwicklung von Städten und Gemeinwesen ist doch längst überall Realität. Sie ist seit langem in Gesetze und Prozesse gegossen, auf EU-Ebene, auf Bundesebene, auf Landesebene. Das Tempo der Gesetzesnovellierungen gerade im Bereich der Ökologie hat sich zuletzt enorm erhöht. Das bestimmt die Arbeit aller Architekten, und ich bin seit 35 Jahren Architektin. Ich weiß nicht, wie Kritiker auf so einen Vorwurf kommen.

Sie kennen die Debatten und Lager in Ihrer Zunft gut. Hat Sie die Heftigkeit der Kritik an Ihrer Berufung trotzdem überrascht?

Nicht die Heftigkeit, aber die Form und der Inhalt. Damit wurde dem Bild unseres Berufsstandes nicht gedient, das war beschämend. Und es hat das Amt der Senatsbaudirektorin beschädigt: In Zukunft wird sich jeder Kandidat und jede Kandidatin fragen, ob er oder sie die Kraft hat, als Zielscheibe von Diffamierungen und Unterstellungen in den Ring zu treten.

Ihre Vorgängerin, die Schweizerin Regula Lüscher, war 14 Jahre im Amt. Gibt es Ansätze in ihrer Arbeit, die Sie weiterführen wollen?

In der Stadtplanung haben wir es mit langen Planungszyklen zu tun, da übernimmt man automatisch viele Projekte der Vorgänger. Frau Lüscher hat sich aus meiner Sicht besonders um die Beratungs- und Planungskultur verdient gemacht. Ihre intensive Kommunikation mit allen Beteiligten hat einen neuen Akzent in Berlin gesetzt, da hat sie viel modernisiert. Nun geht es vor allem darum, die vielen angeschobenen Projekte auch schnell zu realisieren. Es muss jetzt gebaut werden.

Planen und bauen Frauen anders als Männer?

Planen und Bauen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, da ist es gut, wenn sie von Frauen und Männern gleichermaßen verantwortet wird. Ich bin sehr froh, dass es viele Frauen in den planenden Berufen gibt und freue mich immer, wenn ich Frauen auf der Baustelle sehe. Ob es da wirklich Unterschiede gibt? Ich kann das nicht erkennen.

Manche glauben, dass bei Männern mehr ihr Ego im Vordergrund steht und Frauen kooperativer sind.

Mit diesen Schlagworten kann ich wenig anfangen. Ich kenne viele sehr gut kommunizierende Männer - und Frauen mit großen Egos.

Ihre drängendste Aufgabe ist der Wohnungsbau. Es soll schnell gehen und billig sein. Muss man da auch Hässlichkeit in Kauf nehmen?

Der Senat hat sich beim Wohnungsneubau sehr viel vorgenommen. Es sind in Berlin 17 neue Stadtquartiere in Planung und 14 Quartiere, die nachverdichtet werden. Zum Glück haben wir jetzt drei Staatssekretäre in der Senatsverwaltung, die sich um Bauen und Wohnen und die Interessen der Mieterinnen und Mieter kümmern. Es gibt einen festgelegten Planungsprozess, der Qualität sichern soll. Dazu gehören sehr anspruchsvollen Leitlinien, die sich an den erfolgreichen Kiezen Berlins orientieren. Es sollen dichte, sozial und funktional gemischte Stadtquartiere mit einer guten Infrastruktur und kurzen Wegen gebaut werden, damit echte Nachbarschaften entstehen - und keine Schlafstädte mit hingestellten Gebäuderiegeln.

Sie haben mitgewirkt am traditionsorientierten Wiederaufbau der historischen Innenstädte von Frankfurt am Main, Potsdam und Lübeck. Manche Kritiker monieren, dass unter den Initiatoren auch extrem rechte Personen waren. Es seien restaurative, "rechte" Räume entstanden.

In den genannten Städten wurde über Jahrzehnte um die angemessene Haltung und Architektur gerungen. Dass bei so vielen Beteiligten und in so langen Zeiträumen auch Menschen mitreden, die dieser Diskussion nicht guttun, kann man leider nicht immer ausschließen. All diese Entscheidungen wurden von gewählten Abgeordneten getroffen, sie entstanden in einem demokratischen Prozess.

Sie waren Mitglied der Jury im Wettbewerb um den Wiederaufbau des Berliner Schlosses. Ist der Neubau von Franco Stella so geworden, wie Sie sich das vorgestellt hatten?

Die Jury hat Franco Stella einstimmig den ersten Preis verliehen, weil sein Entwurf konzeptionell bei weitem am überzeugendsten war, vor allem bei der Durchlässigkeit zwischen Schlossplatz und Lustgarten. Aber schon in der Jury gab es Stimmen, die auf eine Überarbeitung der strengen Ostfassade drängten. Stella sieht sich dort in der Tradition des italienischen Rationalismus. Er hat sich so entschieden. Vielleicht ist es an zukünftigen Generationen, das noch einmal neu zu bewerten.

Wann beginnt der Wiederaufbau von Schinkels Bauakademie gegenüber dem Schloss? Sollte sie äußerlich originalgetreu rekonstruiert oder zeitgenössisch interpretiert werden?

Das ist ein Bauvorhaben des Bundes, das Land Berlin ist nur einer von vielen Beteiligten. Der Gründungsdirektor der Bundesstiftung Bauakademie, Guido Spars, steht im engen Kontakt mit allen Akteuren. Die frühere Bausenatorin Katrin Lompscher wünschte sich "So viel Schinkel wie möglich". Das ist auch mein Motto.

Können Sie drei Neubauten in Berlin nennen, die Sie im vergangenen Jahr begeistert haben?

Ich will keine einzelnen Projekte herausheben. Was mich an Berlin begeistert, ist die Vielzahl und die Vielfalt - im Neubau, aber auch im Umbau bestehender Gebäude. Die Stadt hat ein unglaubliches Potenzial. Wenn wir uns am Leitbild der europäischen Stadt orientieren und urbane, kompakte Quartiere bauen , dann ist die Architektur des einzelnen Hauses gar nicht so wichtig. Ich finde Projekte gelungen, wenn sie einen langfristigen Wert haben, wenn man sie umnutzen kann, wenn sie auch in ihrer gestalterischen Qualität Bestand haben. Etwas Anderes können wir uns ökologisch auch gar nicht mehr leisten.

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