Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt über Wohnungsmangel, Nachverdichtung und Berlins Besonderheit
Der Tagesspiegel vom 26.01.2022 | Das Interview führte Reinhart Bünger
Sie sind seit vier Wochen im neuen Amt. Welche Baustelle in Berlin beschäftigt Sie aktuell am intensivsten, der Molkenmarkt?
Es sind sehr viele Projekte, deren Entwicklungen eine hohe Relevanz für die Stadtgesellschaft und für die Innenstadtentwicklung der Stadt haben. Dazu zählen der Checkpoint Charlie, die Signa-Häuser, der Hermannplatz an sich, der Alexanderplatz und auch der Jahn-Sportpark mit dem Jahn-Sportstadion – das sind Orte in Berlin, um die ich mich kümmern werde. Was ich auch als wichtiges Wirkungsfeld für mich entdeckt habe, ist die gemeinsame Landesplanung: Berlin mit seiner engen Verzahnung mit Brandenburg durch den Siedlungsstern.
Berlins historische Mitte hat Sie immer sehr umgetrieben. Wie geht es jetzt weiter?
Wir hatten gerade das Auftaktcolloquium für die Bebauung am Molkenmarkt. Im November 2021 wurden bereits zwei gleichberechtigte erste Preise gekürt und mit diesen beiden Büros von Planerinnen und Planern arbeiten wir nun, um am Molkenmarkt die Antworten für unsere Zeit zu finden.
Ihre Ernennung zur Senatsbaudirektorin hat für kontroverse Debatten gesorgt. Ihnen wird vorgeworfen, dass Sie in der Vergangenheit für die Privatisierung öffentlicher Immobilien eingetreten sind. Manche befürchteten einen Rückfall in die Zeit des Senatsbaudirektors Hans Stimmann. Sie seien sehr der Historie Berlins verpflichtet, ist auch zu hören. Was entgegnen Sie?
Ich bin nicht der Historie verpflichtet, aber ich wertschätze sie, so, wie viele meiner Kolleginnen und Kollegen. Und so hat auch die Bundesregierung in der Frage der Privatisierung nach der Wiedervereinigung aus der Geschichte die Lehre gezogen, indem sie 1994 in einem Gesetz beschlossen hat, dass die Opfergruppen des Naziterrors und der Mauertoten ihre Grundstücke wiederbekommen sollten. Das galt auch für die Berliner Mitte, wo nicht rückübertragen, sondern entschädigt wurde. Die Kritik, dass ich mich in einer
„ Planungsgruppe Stadtkern“ engagiert habe, verstehe ich nicht. Das ist ein Zusammenschluss von circa 50 Planerinnen und Planern, Architektinnen und Architekten, Historikerinnen und Historiker. Natürlich haben wir überlegt, wie man dieser historischen Mitte wieder Gestalt und Form geben könnte. Da ging es auch um den Rückbau der verkehrsgerechten Stadt, und wir haben über Instrumente nachgedacht, wie man dort Spekulation unterbinden kann. Als Senatsbaudirektorin stelle ich mich der Aufgabe, die Flächen gut zu nutzen: für innerstädtisches, vitales urbanes Wohnen und Arbeiten, für bezahlbares Wohnen, für soziale und kulturelle Einrichtungen, aber ohne Spekulationen.
Werden Sie das von Ihrer Amtsvorgängerin Lüscher etablierte Baukollegium beibehalten?
Das Baukollegium wird natürlich weitergeführt. Als Frau Lüscher dieses Gremium etabliert hat, wunderte man sich, weshalb es das in Berlin vorher noch nicht gab. Viel kleinere Städte hatten es schon längst. Wenn im Mai 2022 turnusmäßig das jetzige Baukollegium verabschiedet wird, suchen wir eine gute Besetzung für das neue Baukollegium.
Wie sehen Sie die Bürgerbeteiligung?
Es gibt seit Herbst 2020 einen Beschluss zur Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an Stadtentwicklungsprozessen. Daran halte ich fest. Unser Ziel ist eine effektive, zielgerichtete Beteiligung der Stadtgesellschaft. Aber wir müssen verbindlich sagen, in welcher Phase des Bauvorhabens Entscheidungen wirklich möglich sind – und wann nicht mehr. Es ist auch wichtig, wie man sich in den Prozessen begegnet und was mit den Ergebnissen der Beteiligungen passiert. Wir wollen eine Prozessplanungskultur etablieren, die für alle gut nachvollziehbar ist. Aber es soll weniger eine Beteiligung sein, die nur Raum für Gegnerkampagnen gibt. Natürlich kann es in solch einem demokratischen Prozess dazu kommen, dass keine gütliche, alle Interessen vereinende Übereinkunft getroffen werden kann oder Argumente in einer Interessensabwägung nicht zum Zuge kommen.
Was kann man von Ihrem Vorvorgänger Hans Stimmann lernen?
Die Wohnungsneubaufrage ist ganz, ganz obenauf. In den 1990er Jahren sind Wohnungen in Größenordnungen gebaut worden, die wir uns jetzt wieder vornehmen. Das ist Teil der Regierungserklärung. Ich sehe meine Aufgabe auch in der Politiktransformation: make it work. Die Quartiere, die im Stadtentwicklungsplan Wohnen ausgewiesen sind – bis 2030 sind es 17 Neubauquartiere, 14 Quartiere, die nachverdichtet werden, und die vielen, vielen Bauvorhaben, eingebettet in die bestehende Stadt, die wir erst ab 200 Wohneinheiten zählen. Das ist eine Herkulesaufgabe, die wir bewältigen wollen und auch müssen. Und zwar nicht nur quantitativ, das wäre deutlich zu kurz gesprungen, sondern auch vor allem qualitativ in Städtebau und Architektur.
Sie werden also nicht auf die Suche nach neuen Neubauquartieren gehen?
Eines meiner Steckenpferde sind die vielen Zentren in Berlin. Diese Quartiere sind die Textur der Stadt; die funktionierenden Nachbarschaften machen sie aus. Was für eine Vielfalt wir in Berlin haben – und damit sind nicht die kommerziellen Zentren gemeint, sondern die Ortskerne, wie etwa Friedenau mit dem Marktplatz vor dem Rathaus, Frohnau mit dem zentralen Grünraum oder die Viktoriastadt mit ihren Kiezen in Lichtenberg. Das ist ein Schatz, den Berlin hat. Ich habe mir vorgenommen, mich über diese Ortskern- und Stadtteilzentren mit den Bezirken zu unterhalten bei den Jours fixe. Die Bezirke werden ja zukünftig gemäß Koalitionsvertrag eigene Gestaltungsbeiräte haben. Ich finde, es ist wichtig für unsere Stadt, sie dort nachzuverdichten, wo sie bereits da ist. Es geht um einen Stadtumbau, der nachhaltig und zukunftsfähig ist.
Geplante Verdichtungen und die Ausweisung von Neubaugebieten sind umstritten. Die Bezirke haben das Planungsrecht. Seit Jahren wird um die Neubaupläne von Möbelmilliardär Krieger in Pankow gestritten. Nun hat man dort Kreuzkröten, aber keine Wohnungen.
Das Pankower Tor ist vielleicht ein ganz gutes Beispiel, um über die Zusammenarbeit von Bezirk und Senat zu sprechen. Das ist ein großes Bauvorhaben, es geht um große Konversionsflächen und komplexe Planungsverfahren. Und es gibt eben auch unterschiedliche Prioritätensetzungen. Da ist nicht nur der Abstimmungsbedarf enorm. Ich sehe das als Herausforderung für alle Beteiligten. Dass die Zusammenarbeit zwischen dem Senat und den Bezirken grundsätzlich besser werden könnte, ist angekommen.
Also sollte der Senat über solche Großprojekte entscheiden?
Ich finde es gut, dass die Bezirke eine Souveränität haben. Es gibt genügend Beispiele dafür, dass bezirkliche Planungsämter um fachliche Unterstützung bitten und unsere Planungsabteilungen helfen. Und dann findet das die Bezirksverordnetenversammlung nicht gut. Das ist misslich! Das sollte dann auch eindeutig geklärt sein – es braucht eine verwaltungsinterne Abstimmung, wie man miteinander arbeitet. Ich sehe es positiv, dass der Senat nicht ohne triftigen Grund Wohnungsbauprojekte an sich zieht. Wir wollen alle, dass die Berliner Verwaltung besser wird. Deshalb wird der Senat an einer Verwaltungsreform arbeiten, auch das wurde bereits angestoßen.
Das Zusammenspiel von Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Verkehrsverwaltung scheint verbesserungswürdig. Für das neue Quartier Buch – Am Sandhaus gibt es zum Beispiel keine Planung für die Verkehrsanbindung, aber das Ziel, hier 2000 Wohnungen zu bauen – und Fahrradparkhäuser. Trotzdem werden die Neu-Sandhäusler vermutlich ihr Auto benutzen.
Das Quartier am Sandhaus benötigt eine Verkehrsanbindung. Vor allem durch den Öffentlichen Nahverkehr. Es gibt einen S-Bahnhof Buch. Man ist gut beraten, von Buch aus nicht mit dem Auto zu fahren. Das müssen die Menschen vielleicht auch lernen.
Das neue Schumacher-Quartier in Tegel soll zum Vorzeigeprojekt für Holzbauweise werden. Haben Sie schon mit den Berliner Forsten gesprochen?
Das Schumacher-Quartier ist als reines Holzquartier geplant – mit wissensgenerierenden Institutionen drumherum: die Holzbauhütte etwa, das Kompetenzzentrum Holz. Erforschen, bauen, evaluieren – nur so kommen wir weiter. Über den Holzpreis brauchen wir nicht zu sprechen, der ist horrend. Aber wir bauen ja auch nicht gleich morgen. Auf der anderen Seite gibt es intensive Gespräche von TXL Projekte und den Berliner Forsten: Holz gibt es schon. Die Forsten haben ihre Kooperation signalisiert. Das muss vergaberechtlich noch geklärt werden. Ziel ist, dass wir mit lokalem Holz bauen.
Bauen wird immer teurer, auch fehlen Fachkräfte. 400.000 Wohnungen sollen jährlich bundesweit neu gebaut werden. Die Baugenehmigungszahlen in Berlin sind gegenüber 2020 rückläufig. Ganz anders als im Bund. Fehlt es an der richtigen Förderung?
In Berlin gibt es seit 2014 ein Wohnungsbauförderungsgesetz. Das ist ein Instrument, das man nun auch für mittlere Einkommen ausdifferenzieren wird. Das Problem in Berlin ist gar nicht, dass keine Wohnungen gebaut werden könnten. Ich sehe eine große Aufgabe darin, diejenigen zu ermuntern, zu bauen, die bereits eine Baugenehmigung haben. Da müssen wir alle die Ärmel hochkrempeln und die genehmigten Vorhaben angehen.
Das Handelsblatt urteilt über Berlin: „Ideologische Politik und verkrustete Verwaltung verhindern, dass in Berlin ausreichend Baugrundstücke ausgewiesen werden. Das treibt die Preise – Investoren und Wohnungssuchende weichen ins Umland aus“. Sehen Sie das auch so?
Das ist eben Berlin. Ich meine nicht die „verkrustete Verwaltung“ – dann würde ich vielen engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Unrecht tun. Für Berlin ist typisch, dass Menschen und Gruppen sehr vital ihre Interessen vortragen. Übergeordnete Interessen stoßen dann eben auch auf Anwohnerinnen und Anwohner, Bürgerinitiativen und Verbände. Das sind Zielkonflikte. Die muss unsere Gesellschaft austragen. Für viele Menschen ist es erstrebenswert, für ihren Lebensmittelpunkt Berlin zu wählen, und wir müssen verhindern, dass sie hier keine Wohnung finden. Davon hat die Stadt auch nichts.
Petra Kahlfeldt ist seit Dezember Senatsbaudirektorin in der Verwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen. Zuvor leitete sie mit ihrem Mann ein Architekturbüro.