Bisher arbeitete die Professorin an Villen und sprach sich für Rekonstruktionen aus. Dass gerade sie auf Regula Lüscher folgt, deutet auf eine stadtpolitische Kehrtwende hin. Die jüngsten personellen Weichenstellungen der SPD enttäuschen.
swiss-architect.com vom 5. Januar 2022 von Elias Baumgarten
«Mit der Neubesetzung der Senatsbaudirektion nach offenbar parteipolitischen Kriterien wurde eine Chance vertan, dieses für die Entwicklung der Stadt so wichtige Amt mit dem Rückhalt der Fachöffentlichkeit zu besetzen.»
Bund Deutscher Architektinnen und Architekten Berlin
Städtebau in Deutschland ist eine Herkulesaufgabe. Für Berlin gilt das noch in erhöhtem Masse: 200000 neue Wohnungen werden dort bis 2030 benötigt, denn über 3,9 Millionen Menschen werden dann in der Stadt leben. Gleichzeitig muss das Bauen unverzüglich umweltschonender werden: Bis 2030 sollen, verglichen mit 1990, 67 Prozent der Treibhausgasemissionen eingespart werden. Und 2050 schliesslich soll das Bauen klimaneutral sein. Für Architektur und Stadtentwicklung bedeutet das eine kolossale Herausforderung. Und als wäre sie zu meistern nicht schon schwierig genug, muss dies in einem denkbar ungünstigen gesellschaftlichen und politischen Klima gelingen. Das Vertrauen in die Politik und staatliche Institutionen ist in Deutschland auf einem Tiefpunkt. Es herrscht starkes Misstrauen sowohl gegenüber der Kompetenz als auch dem ethischen Verhalten von Politikerinnen und Politikern. Auch verlaufen immer tiefere Risse durch die Gesellschaft, soziale Ungleichheit und damit verbundene Spannungen wachsen zusehends. Zudem ist die wirtschaftliche Lage unseres hochverschuldeten Nachbarlandes schlecht, durch die Pandemie spitzt sich die Situation weiter zu. Bei vielen Deutschen nährt all das die Sehnsucht nach einer scheinbar heilen Vergangenheit, nach besseren Tagen. Das schlägt sich auch in der öffentlichen Debatte um Architektur und Städtebau nieder. Überall im Land wünschen sich Menschen Rekonstruktionen. Die Politik gibt diesem Drang über Parteigrenzen hinweg nach. Das international bekannteste Projekt ist die «Neue Altstadt» in Frankfurt. Mit der aktuellen Bauproduktion hingegen sind viele Deutsche unzufrieden. Zeitgenössischer Architektur schlägt bisweilen pauschale Ablehnung entgegen.
Kein Staatssekretärsposten wie jeder andere
Kurzum, die Schlüsselposition der Berliner Senatsbaudirektorin beziehungsweise des -direktors zu übernehmen, ist eine extrem schwierige Aufgabe. Neben einer starken Haltung und der passenden Expertise, also etwa hinsichtlich des ökologischen Bauens, der Gestaltung von Beteiligungsprozessen oder der Nachverdichtung, braucht es viel diplomatisches Fingerspitzengefühl. Denn es muss gelingen, Menschen an einen Tisch zu bringen, die eigentlich gar nicht mehr miteinander reden wollen, und der nötigen Umgestaltung der Stadt Rückhalt in der Bevölkerung zu verschaffen. Darum wurde im Vorfeld der Neubesetzung in einem offenen Brief an Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) gefordert, der Senat solle eine unabhängige Berufungskommission einsetzen, der auch Experten aus den Bereichen Architektur und Stadtentwicklung angehören – ein ähnliches Auswahlverfahren hatte es zuvor bereits in Hamburg gegeben. Über 600 Architekturschaffende, Entwickler, Landschaftsarchitekten, Städteplaner, Kulturschaffende, aber auch Verbände und Hochschulen aus ganz Deutschland haben das Papier unterzeichnet. Unterstützung erhalten sie übrigens auch aus der Schweiz: ETH-Professorin Karin Sander hat den Brief genauso unterschrieben wie S AM-Direktor Andreas Ruby.
Doch so richtig die Forderung aufgrund der strategischen Wichtigkeit des Postens war, so wahrscheinlich war leider auch, dass die Politik sie geflissentlich ignorieren würde. Denn die Auswahl von Staatssekretären obliegt allein den zuständigen Senatoren. Aus deren Perspektive handelt es sich um wichtige Vertrauenspersonen, die ihre politischen Ziele teilen und durchsetzen sollen. Sich bei der Auswahl helfen zu lassen und sich den Rückhalt der Fachwelt zu sichern, wäre vielleicht geschickt, doch eben auch unbequem. Und so hat Andreas Geisel (SPD), Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, die Architekturprofessorin Petra Kahlfeldt zur neuen Senatsbaudirektorin gemacht. Eine Entscheidung, die manche freut, den Bürgerverein Stadtbild Deutschland etwa, viele aber wütend macht.
Anh-Linh Ngo zum Beispiel, Chefredaktor und Mitherausgeber der wichtigen deutschen Architekturzeitschrift Arch+, wertet sie als «Kampfansage an eine soziale und ökologische Stadtpolitik». Zusammen mit dem Architekturprofessor Philipp Oswalt und weiteren namhaften Mitstreitern fordert er, die «Ad-hoc-Ernennung» rückgängig zu machen.
«Petra Kahlfeldt ist eine Kollegin, die einfach ein Architekturbüro geführt hat, die in gewissem Umfang an diversen Hochschulen gelehrt hat und in einigen Jurys gesessen hat. Sie ist eine sehr freundliche und kommunikative Person, hat aber keinerlei Erfahrung mit komplexeren partizipativen Prozessen oder Verwaltung auf städtischer oder Landesebene.»
Matthias Sauerbruch (Sauerbruch Hutton, Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen) im Interview mit der Welt
Zurück in die Vergangenheit
Doch warum die Entrüstung? Unmut erregen Petra Kahlfeldts Haltung und die Arbeiten des Büros, das sie bisher gemeinsam mit ihrem Mann führte. Die beiden gestalten vor allem Villen von fragwürdiger architektonischer Qualität, aber auch, das sei nicht verschwiegen, interessantere Umbauten und grosse Neubauten. Aus ihrem Werk spricht eine gewisse Wertschätzung für die Baugeschichte. Entsprechend hat die neue Senatsbaudirektorin in der Vergangenheit auch öffentlich Position bezogen, zum Beispiel für die Rekonstruktion der Berliner Stadtmitte. Sie gilt als Vertraute von Regula Lüschers Vorgänger Hans Stimmann, Berlins erstem Senatsbaudirektor nach der Wende. Dieser ist in Deutschland wegen Privatisierungsprojekten und seinen strengen architektonischen Vorgaben umstritten. Man wirft ihm vor, er habe zur «Versteinerung» Berlins entscheidend beigetragen. Ein besonderes Flair für ökologische und soziale Nachhaltigkeit und eine zukunftsfähige Baukultur zeigte Petra Kahlfeldt hingegen noch nicht.
«Berlin hätte durch die Wiederbebauung der historischen Mitte die Gelegenheit, seine Vergangenheit neu zu bedenken – einschliesslich der in der Öffentlichkeit nahezu vollständig vergessenen 500 Jahre vor dem Dreissigjährigen Krieg. Das Projekt einer historischen Vergewisserung durch den Wiederaufbau der historischen Mitte ist kein Vergangenheitsprojekt, sondern ein Zukunftsprojekt, ein Projekt der Darstellung Berlins als Stadt der Toleranz und Nachhaltigkeit. Dazu gehören Orte und Institutionen, die dieser Darstellung dienen, dazu gehört aber auch ein städtebauliches Programm, in das diese Orte und Institutionen eingebettet sind.»
Petra Kahlfeldt 2018 in einem Statement für die Stiftung Preussischer Kulturbesitz
Enttäuschte Hoffnungen
Noch hat Petra Kahlfeldt keine Amtshandlungen vorgenommen. Es ist unfair, sie bereits zu verurteilen, auch wenn ihre bisherigen Bauten und Positionierungen wenig Gutes verheissen. Doch: Die Probleme, die in Berlin zu lösen sind, und die sehr begrenzte Zeit, die dafür zur Verfügung steht, dulden keine halbgaren Entscheidungen. Es war daher falsch, die wichtige Position ohne fachkundige Hilfe zu vergeben. Wäre die neue Senatsbaudirektorin – wie von grossen Teilen der deutschen Architekturszene gewünscht – in einem transparenten Verfahren gekürt worden, könnte sie nun sehr wahrscheinlich mit stärkerem Rückhalt mehr erreichen.
Die Personalie ist als wichtige Weichenstellung sicherlich eine bewusste politische Entscheidung. Dass nach Regula Lüscher, die sich unter anderem für ökologisch nachhaltige Bauten einsetzte, eine Architektin zum Zug kommt, deren Haltung jener von Lüschers Vorgänger Stimmann nahekommt, deutet auf eine stadtpolitische Kehrtwende hin. Für viele deutsche Architekturschaffende ist das eine herbe Enttäuschung. Nach den Wahlen im vergangenen Jahr hatten sie neuen Schub für eine zukunftsfähige Baukultur erwartet. Doch nach der Besetzung des neuen Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen mit der Berufspolitikerin Klara Geywitz (SPD), die bisher kaum Affinität zum Fachgebiet zeigte, hat diese Hoffnung nun einen weiteren empfindlichen Dämpfer erlitten. Und auch die Zurückhaltung der in Berlin wie im Bund mitregierenden Grünen, die offensichtlich die Bedeutung des Bauens für den Klimaschutz noch nicht verstanden haben, dürfte viele desillusionieren.