Beim ersten Treffen des Bündnisses gegen die Wohnungsnot gibt es Streit statt Einigungen. Wie es nun weitergeht
Der Tagesspiegel vom 29.01.2022 von Ralf Schönball

Rund lief es nicht beim ersten Treffen von Wohnungsverbänden, Mietern und Vermietern, Bauwirtschaft und Gewerkschaften sowie Politikern. Auf die Frage, warum dieses neue „Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen“ am Freitag nicht viel Konkretes vereinbart habe, reagierte die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) gereizt. „Vergewissert“ habe man sich auf dieser Auftaktsitzung, „was der Auftrag ist für die kommenden sechs Monate“. Es seien „vier Sitzungstermine in der großen Bündnisrunde“ vereinbart. Eine Senatskommission werde eingerichtet und deren Aufgaben seien festgelegt worden. Und: „Am 21. Februar ist die nächste Sitzung.“

Dass die im Vorfeld bereits mit Teilen der Teilnehmer abgestimmte gemeinsame „Erklärung“, aus der der Tagesspiegel vorab berichtet hatte, am Freitag nun nicht herausgegeben wurde? „Ganz normal“, sagte Giffey. Alle am Tisch hätten eben Dinge, die sie einbringen wollten. Jetzt werde weiter an der Erklärung gearbeitet, die beim nächsten Treffen veröffentlicht werde. Es sei doch eine „positive Nachricht, dass innerhalb der ersten fünf Wochen der Senatstätigkeit die Gründung des Bündnisses erfolgt ist“.

Dass die Harmonie nicht nur im Bündnis, sondern auch im Senat brüchig ist, zeigte sich während des Treffens am Freitag ebenfalls sehr deutlich. Während die Regierende und ihr sozialdemokratischer Bausenator Andreas Geisel die Erklärung in mehreren Versionen unterschriftsreif mit einigen Teilnehmern vorbereitet hatten, wunderten sich andere am Tisch über das für sie unbekannte Papier, wie aus Teilnehmerkreisen zu hören war. Hinzu kommt, dass sich die Grünen und die Linken ohnehin skeptisch über den Kurs des neuen Senators für Stadtentwicklung , Bauen und Wohnen zeigen.

Die Konfliktlinie verläuft zwischen Andreas Geisel, der einen Schulterschluss mit der Bauwirtschaft anstrebt nach Hamburger Vorbild, sowie seinen Widersachern, die eher den landeseigenen Wohnungsbestand erweitern und Mieter besser schützen wollen. Dazu passten die Proteste von Mietaktivisten vor dem Roten Rathaus am Freitagmorgen, die das Eintreffen der geladenen Verbände und Politiker begleiteten. „Wir werden nicht zulassen, dass unser Volksentscheid in Geiselhaft genommen wird“, sagte der Mitinitiator des Volksentscheids „Deutsche Wohnen & Co enteignen“, Rouzbeh Taheri. Der Bausenator treffe sich „mit Lobbyisten der Immobilienwirtschaft für Hinterzimmerdeals“. Der Enteignungsinitiative, die von „mehr als einer Million Berlinern “ beim gleichnamigen Volksentscheid unterstützt worden sei, verweigere Geisel hingegen das Gespräch.

Danach klang es nach der Auftaktsitzung allerdings nicht. „Es geht darum, bezahlbare Wohnungen neu zu schaffen und den Bestand bezahlbar zu halten“, sagte Andreas Geisel. Das „Problembewusstsein“ sei bei allen Teilnehmern vorhanden. Dass Wohnungen für 14 Euro oder gar 18 Euro je Quadratmeter angeboten würden, sei „nicht in Ordnung“. Kaum eine Wohnung stehe in Berlin mehr zur Verfügung für denjenigen, der umziehen wolle. „Darum müssen wir uns kümmern“, sagte Geisel.

Als eine der vorerst wenigen konkreten Maßnahmen des Bündnisses kündigte er die Analyse der 300 wichtigsten Neubauvorhaben in Berlin an. Ziel sei es, mögliche Probleme bei festgefahrenen Bauvorhaben zu identifizieren und zu beheben. Gelinge dies nicht auf den vorgeschalteten drei „Arbeitsebenen der Fachressorts“, soll die neu eingerichtete Senatskommission eingreifen. „Den Vorsitz übernehme ich“, sagte die Regierende Bürgermeisterin Giffey.

Besetzt ist die Kommission mit den Senatoren für Finanzen, Wirtschaft, Umwelt und Soziales. Anlassbezogen würden die Bürgermeister des jeweiligen Bezirks, in dem das Bauvorhaben liegt, herangezogen. Bis zum März soll die Übersicht über 300 wichtige Projekte in Berlin vorliegen. Diese sollen digital aufbereitet und in ein „Monitoring-Tool“ eingespeist werden. So soll gleichsam in Echtzeit der Fortschritt der Bauten nicht aus dem politischen Blick geraten – und wo es hakt, werde politische Unterstützung angeboten werden, so Giffeys Versprechen.

Geisel will außerdem mehr bereits genehmigte Wohnungen „in die Fertigstellung bringen“. Von den 66 000 genehmigten Wohnungen der letzten drei Jahre würden 38 000 derzeit gebaut – unklar sei, warum die anderen 28 000 nicht realisiert werden. Dies soll geklärt und, wo nötig, geholfen werden.

Klar ist nach dem Auftakttreffen auch, dass die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften zusammen rund 30 Prozent der „gewünschten Menge“ an Wohnungen bauen können, sagte Giffey. „Das ist eine gute Nachricht.“ Andererseits bedeute dies auch, dass Genossenschaften ihren Teil zum gewünschten Neubau von Wohnungen beitragen müssten – sowie „private Akteure“. Und zwar „nicht nur zum Erreichen der Neubauziele, sondern auch zum Schutz der Mieter im Bestand“.

Geisel hatte dazu im Vorfeld des Treffens einen Mietverzicht der Wohnungsunternehmen für einige Jahre ins Gespräch gebracht. Mit einem ähnlichen Coup, einer freiwilligen Mäßigung bei Mieterhöhungen, hatten Vonovia und Deutsche Wohnen im vergangenen Jahr versucht, Ängste vor deren Zusammenschluss zum Immobiliengiganten zu zerstreuen. Der Chef von Vonovia, Rolf Buch, saß am Freitag mit am Runden Tisch. Konkretes zum Mietverzicht war nach der ersten Sitzung nicht zu einem Mietenmoratorium zu hören.

Kritiker sehen darin ein Manöver, dem erfolgreichen Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ den Wind aus den Segeln zu nehmen. Giffey sagte dazu, es gebe „verschiedene Instrumente“, wie man das gemeinsame Ziel von ausreichend bezahlbaren Wohnungen in Berlin erreichen könne. „Die Expertenkommission kümmert sich um den Volksentscheid“, der Runde Tisch schaffe die Rahmenbedingungen für den Neubau. Die Aufgaben seien gleichsam auf verschiedene Gremien verteilt.

Dass die Mieten trotzdem zugleich auch ein Thema des Bündnisses bleiben, zeigt die Gründung von drei Arbeitsgruppen. Eine davon soll sich mit der Mietenentwicklung und dem Mieterschutz befassen. Eine zweite Expertenrunde befasst sich mit dem Neubau und der Modernisierung von Wohnungen, die dritte Runde mit dem Städtebau und der energetischen Ertüchtigung des Bestandes. Franziska Giffey rief im Städtebau einen „Qualitätsanspruch“ aus: Berlin solle trotz der Neubauoffensive „nicht die Brennpunkte der Zukunft“ schaffen, sondern lebenswerte Stadtquartiere.

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