Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt wehrt sich gegen den Vorwurf, Berlin städtebaulich in die 1990er-Jahre zurückführen zu wollen.
Berliner Morgenpost vom 09.02.2022 von Isabell Jürgens
Seit Anfang dieses Jahres hat Berlin eine neue Senatsbaudirektorin. Die Berliner Architektin Petra Kahlfeldt hat das Amt von Regula Lüscher übernommen, die sich im Juli 2021 auf eigenen Wunsch in den Ruhestand versetzen ließ. Ihre Berufung löste heftige Proteste in der Berliner Architekten- und Planerszene aus. Die Ernennung der 61-Jährigen zur Senatsbaudirektorin sei „eine Kampfansage an eine soziale und ökologische Stadtpolitik“, schrieben ihre Kritiker in einem Offenen Brief, der in den Feuilletons der Republik für Furore sorgte. Seit gut einem Monat ist die umstrittene Planerin nun im Amt. Im Interview verrät die Architektin, wie sie mit der Kritik umgeht – und welche Ziele sie sich gesetzt hat.
Frau Kahlfeldt, Ihre Vorgänger galten jeweils als Verfechter einer bestimmten Richtung. Stimmann ging es um die Wiederherstellung des alten Stadtgrundrisses nach der Wiedervereinigung, Frau Lüscher dagegen wollte eher die Spuren der Nachkriegszeit erhalten. Wo liegt Ihr Schwerpunkt?
Petra Kahlfeldt Meine beiden Vorgänger hatten ganz unterschiedliche Aufgabenstellungen, die zunächst einmal historisch bedingt waren. Herr Stimmann hatte 1991 die ganz besondere Herausforderung, die beiden Stadthälften nach dem Fall der Mauer auch städtebaulich zu vereinen. Frau Lüscher, die 2007 übernommen hat, hatte andere Aufgaben auf dem Tisch, da ging es darum, die Planungen sowohl für die historische Mitte und auch für die City West zu konkretisieren. Jetzt haben wir das Jahr 2022, leben in einer deutlich gewachsenen Stadt, die zugleich beim Wohnungsbau richtig zulegen, die Coronafolgen bewältigen und sich für den Klimawandel rüsten muss. Natürlich werde ich dabei aber auch das Zentrum der Stadt nicht aus dem Fokus verlieren. Einer meiner Kollegen in der Verwaltung für Stadtentwicklung hat mir kürzlich gesagt, Berlin sei die einzige Stadt zwischen Kap Arkona und dem Erzgebirge, die es auch nach über 30 Jahren der Wiedervereinigung nicht geschafft hat, das Zentrum auszubauen.
Da höre ich heraus, dass Sie sich in der Tradition von Stimmann verorten? Frau Lüscher war ja gerade wichtig, die DDR-Moderne durchaus auch mit ihren abgeräumten Freiflächen abzubilden und zu erhalten.
Das eine schließt das andere doch nicht aus. Alle Zeitschichten haben die gleiche Berechtigung, sichtbar zu sein und sichtbar zu bleiben.
Bitte konkret: Wollen Sie das Marx-Engels-Forum unbebaut lassen oder dort die nach dem Krieg abgeräumte Stadt wiedergewinnen?
Ich mache es konkret am Thema Molkenmarkt . Im November letzten Jahres sind im Rahmen eines Wettbewerbsverfahrens zwei gleichberechtigte erste Preise gekürt worden, die jetzt weiter bearbeitet werden. Eine von diesen beiden Arbeiten will die Klosterstraße 44, ein großes, leerstehendes Bürogebäude in DDR-Plattenbauweise, erhalten. Der andere Entwurf hat dieses Gebäude weggenommen, um es mit einer neuen Bebauung zu ersetzen. Und nun haben wir in der Jury mehrheitlich beschlossen, dass dieses bauliche Zeugnis in der weiteren Bearbeitung sichtbar bleiben soll. Die Stadt ist ja bereits gebaut und an uns ist es jetzt, gerade auch unter dem ökologischen Aspekt, Abriss zu vermeiden.
Zurück zum Marx-Engels-Forum : Unter ihrer Vorgängerin wurde entschieden, dass diese Fläche der früheren Altstadt unbebaut bleibt und als Grünfläche aufgewertet wird. Entspricht das auch Ihrem Wunsch?
Was ich mir wünsche oder nicht wünsche, möchte ich gar nicht so in den Vordergrund stellen. Wir verfolgen alle die Debatte um die Berliner Mitte seit 30 Jahren und sie ist tiefgreifend geführt worden. Auf jeder Seite gibt es gute Argumente. Ich bin ja viele Jahre Teil der Planungsgruppe Stadtkern gewesen, einer Planungsgruppe aus 50 bis 60 Architekten, Verkehrsplanern , Historikern sowie Städtebauern. Wir haben uns intensiv mit dem Thema befasst.
Mit welchem Ergebnis?
Man könnte dort sehr wohl bauen, als Rückgewinnung des historischen Grundrisses der Stadtmitte. In einem aufwendigen Beteiligungsprozess wurde aber entschieden, dass diese Fläche unbebaut bleiben soll. Und die Senatsbaudirektorin hört natürlich auch auf die Stimme der Stadtgesellschaft.
Es bleibt also dabei: Hier entsteht eine Grünfläche. Im Moment haben wir aber, wie gesagt, ohnehin den Molkenmarkt viel mehr im Fokus.
Hier gibt es ebenfalls eine rege Stadtdebatte – insbesondere darüber, ob dort auch Private bauen dürfen und ob es angesichts der großen Baugrundstücke zu einer wirklich urbanen Vielfalt im geplanten Quartier kommt.
Es gab eine Wettbewerbsarbeit, die sich eng an dem alten Stadtgrundriss und seiner kleinen Parzellierung orientierte. Ich glaube, die Referenz war das Jahr 1885. Diese Arbeit wurde diskutiert – und für die heutige Situation als zu literarisch empfunden. Die Grundstückssituation heute ist ja eine andere.
Nämlich?
Da gibt es nicht viele, kleine, private Eigentümer, die genau ihre Parzelle bebauen, sondern große Flächenzuschnitte, die dem Land Berlin und dem Bund gehören. Aus der Lärmbelastung an der Grunerstraße ergibt sich zudem, dass dort eher Bürogebäude Sinn machen, die den Block im Inneren vor dem Lärm schützen, sodass dort Wohnhäuser errichtet werden können. Das ließe sich natürlich unter einzelnem Parzellen-Eigentum schwieriger herstellen. Das muss nun nicht auf Kosten der Vielfalt und Kleinteiligkeit gehen, aber die Jury befand die Arbeiten der beiden ersten Preisträger deshalb gelungener, weil sie mit den Möglichkeiten der Grundstücksrealitäten an dieser Stelle besser umgehen.
Sind denn die landeseigenen Degewo und WBM in der Lage, hier so vielfältig zu bauen , wie es an dieser Stelle erforderlich wäre?
Im Koalitionsvertrag steht, es soll kleinteilig, vielfältig und mit einer sehr guten Architektur dort gebaut werden. Ich glaube schon, dass kleinteilig und vielfältig auch mit einem Angebot an Bauherren und Bauherrinnen zu tun hat. Ich könnte mir sehr wohl vorstellen, dass Grundstücke per Erbpacht an Genossenschaften, Baugruppen oder private Stiftungen gehen, die dort auch einige der geplanten Wohnhäuser errichten. Das muss aber noch diskutiert werden. Solange das noch nicht entschieden ist, führen wir natürlich Gespräche mit den beiden landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften.
Schon bevor Sie Ihr Amt angetreten haben, wurde Ihnen in einem öffentlich gemachten Brief abgesprochen, dass Sie willens und in der Lage seien, sozial zu bauen. Sie seien vielmehr als Architektin von Villen und Luxuswohnanlagen in Erscheinung getreten. Wie geht man mit solchen Vorwürfen um?
(Lacht) Ich hatte ganz ehrlich gesagt das Gefühl, dass manche dieser Argumente auf meinem Rücken ausgetragen wurden, aber mit mir gar nichts zu tun hatten.
Haben sich denn die prominenten Unterzeichner HG Merz oder Matthias Sauerbruch mal persönlich bei Ihnen gemeldet?
Nein. Aber viele Kolleginnen und Kollegen, die klarstellen wollten, dass sie den ersten offenen Brief, der ja noch nichts mit meiner Person zu tun hatte, mit unterschrieben haben, weil sie sich eben auch gewünscht hätten, dass das Berufungsverfahren für den Posten anders läuft. Den zweiten Brief, in dem es um die Kritik an meiner Person ging, haben ja nicht mehr Hunderte, sondern nur noch ein knappes Dutzend unterschrieben.
Wird das die künftige Zusammenarbeit nicht erschweren?
Architektinnen und Architekten sind sehr leidenschaftliche Menschen, da geht es schon mal heftiger zu. Und ich bin von Natur aus kein nachtragender Mensch.
Was sagen Sie zu dem Vorwurf, Sie stünden für Privatisierung und würden uns zurückführen in die 1990er-Jahre?
Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Ich habe für private Bauherren genauso wie für öffentliche Bauherren geplant. Und zwar nicht nur säulengeschmückte Villen, wie mir unterstellt wird. Mein Schwerpunkt war der Umbau, die Transformation von bestehenden Gebäuden, so etwa der Umbau des ehemaligen Kasinos der Preußischen Landwehr zum Museum für Fotographie oder die Sanierung der Philharmonie. Ich habe wirklich gar keine Idee, wie die Kritiker darauf gekommen sind, dass ich jetzt die Privatisierungsinitiative lostreten will. Manche Unterzeichner haben sich ja auf die bereits angesprochene Planungsgruppe Stadtkern berufen. Aber auch dort haben wir ganz lebhaft über Instrumente nachgedacht, mit denen man Spekulation an solchen Orten unterbinden kann.
Aber der Gruppe ging es schon darum, öffentliche Flächen zu privatisieren?
Richtig, aber in der Ära des Senatsbaudirektors Stimmann hat ein Bundesgesetz, das Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen und über staatliche Ausgleichsleistungen für Enteignungen, bestimmt, dass Grundstücke an die Opfer des Nationalsozialismus und an die Opfer der Mauertoten zurückzugeben sind oder diese entsprechend entschädigt werden müssen. Das war also zunächst ein Bundesgesetz, das vollzogen werden musste. Und dass es für eine kleinteiligere, möglichst vielfältige Bebauung in der Mitte auch von Vorteil ist, wenn nicht allein die öffentliche Hand baut, habe ich ja bereits am Beispiel Molkenmarkt erläutert.
Also lässt sich daraus keine Tradition ablesen, in der Frau Kahlfeldt steht?
Nein, überhaupt nicht. Und mir geht es auch nicht darum, alles zurückzudrehen, was in den Jahren der Senatsbaudirektorin Lüscher entschieden wurde.
Frau Lüscher hat das Baukollegium ins Leben gerufen. Werden Sie dieses Gremium beibehalten?
Ja, in jedem Fall.
Besetzt mit Ihren Experten?
Ja, das liegt aber in der Natur der Sache. Die Experten werden turnusgemäß alle fünf Jahre neu berufen. Und dieser Turnus endet jetzt im Mai 2022.
Haben Sie da schon eine Idee, wen Sie da in die Gruppe reinholen?
Wir werden eine gute, abgestimmte Wahl treffen, die dann vom Berliner Senat auch noch bestätigt werden muss. Dazu kann ich jetzt noch nichts sagen.
Ihre Vorgängerin hat auch einen Hochhausplan für Berlin vorgelegt. Wird es da Änderungen geben?
In den Hochhaus-Leitlinien sind keine konkreten Standorte ausgewiesen worden. Es wurde lediglich gescannt, ob bestimmte Orte generell geeignet sind für den Bau von Hochhäusern, ob etwa die Infrastruktur ausreichend für so eine Bebauung ist oder ein Zentrumsbezug besteht. Das sind vernünftige Grundlagen.
Außerdem gibt es Festlegungen über ein Höhenlimit sowohl am Alexanderplatz als auch rund um den Breitscheidplatz. Finden Sie die auch richtig?
Der Masterplan für den Alexanderplatz aus den 1990er-Jahren sah ja einen Kranz aus Hochhäusern in einer Höhe von 150 Meter vor. Diese Höhe wurde inzwischen auf 130 Meter reduziert. Das ist in etwa die Höhe des Park Inn-Hotels, das ja, anders als im ursprünglichen Masterplan vorgesehen, nicht abgerissen wurde. Daraus ergeben sich neue, nachvollziehbare Höhenbegrenzungen.
Nun entstehen aber Hochhäuser, die deutlich höher sind, an der Peripherie, etwa auf dem Areal der Knorr-Bremse in Marzahn oder an der Sonnenallee in Neukölln. Wo gibt es denn da einen nachvollziehbaren Zusammenhang?
Ich war ja da bei den Abwägungen damals nicht dabei, aber ich kann mir das erklären. Gerade in der historischen Mitte und auch in der City West stehen sehr viele Monumente und Denkmale, gibt es viele geplante und zu erhaltende Sichtbeziehungen, die man nicht beeinträchtigen möchte. Wenn Sie neben ein bestehendes Gebäude ein sehr viel Höheres bauen, dann verändert sich dadurch auch die Wirkung der Bestandsgebäude.
In der City West sind, so hat es jedenfalls Frau Lüscher festgelegt, 119 Meter das Limit. Damit ist der vom Stararchitekten Helmut Jahn entworfene 250 Meter-Turm an der Nürnberger Straße also endgültig vom Tisch?
Das Projekt am Europa Center müssen wir uns noch mal ganz genau anzuschauen. Das wird jetzt in Kürze erfolgen und dann wird man mehr dazu sagen können.
Aber Sie sind gegen einen so hohen Turm?
Ja, es hat eine Berechtigung, dass es gerade in den historischen oder älteren Zentren nicht so hohe Häuser geben sollte. Einzelne Hochpunkte, wo sie aus gutem Grund auch vorgetragen werden können, sind gut. Aber Berlin ist eine horizontale Stadt. Das sollte für den größten Teil auch so bleiben.
Was ist Ihre Hauptaufgabe in den kommenden Jahren?
Die Hauptaufgabe besteht darin, Brückenbauerin zu sein für die Zielkonflikte, die es ganz ohne Zweifel zwischen guter Gestaltung, den ökologischen Belangen und der Notwendigkeit nach einer Stadterweiterung gibt. Die Ziele sind ja klar benannt im Pariser Abkommen. Klimaneutralität ist integraler Bestandteil gerade für das Bauen. Das bedeutet eben auch, dass die begrenzte Ressource Boden genauso wie die Ressource der Rohstoffe für das Bauen zu schonen, Abrisse zu vermeiden oder im Sinne des „urban mining“ durchzuführen sind. Wir werden die Bauordnung anpassen und es wird wirksamere Förderungen geben. Ein weiterer Schwerpunkt wird die Planung und Verzahnung Berlins entlang der bestehenden Entwicklungsachsen mit Brandenburg sein. Daran arbeiten sowohl die Kollegen in Berlin als auch in Brandenburg. Von einer gemeinsamen Weiterentwicklung haben alle Beteiligten etwas, denn zwischen den Entwicklungsräumen des Siedlungssterns werden die Regionalparks ausgebaut, auch mit den Mitteln Berlins qualifiziert.
Zur Person
Petra Kahlfeldt, 1960 in Kaiserslautern geboren, studierte Architektur an der TU Berlin und arbeitete anschließend in verschiedenen Berliner Architekturbüros. 1987 gründete sie mit ihrem Mann Paul Kahlfeldt das Büro Kahlfeldt Architekten. 2001 bis 2003 war sie Vorsitzende des Bundes Deutscher Architekten in Berlin und zwischen 2000 und 2014 Mitglied im Landesdenkmalrat der Stadt Berlin. Seit 2008 ist sie Kuratoriumsmitglied im Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin -Brandenburg, seit 2015 Mitglied im Beirat der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) sowie Mitglied diverser Gestaltungsbeiräte, darunter etwa in Lübeck und Potsdam.
Zudem war sie Mitglied diverser Kommissionen, etwa für den Bau des Berliner Humboldforums/ Berliner Schloss , Wiederaufbau der Altstadt Dom Römer in Frankfurt am Main, Potsdamer Mitte am Alten Markt und Siemensstadt². Sie ist Professorin für Baukonstruktion im Bestand an der Berliner Hochschule für Technik. Im Dezember 2021 wurde sie unter Senator Andreas Geisel (SPD) zur Senatsbaudirektorin ernannt. Seit Januar 2022 ruht deshalb ihre Tätigkeit als Architektin für das Büro Kahlfeldt Architekten.