Berlins Wirtschaftssenator Stephan Schwarz über Investoren, die Enteignungsdebatte und die Verkehrsplanung in der Innenstadt
Berliner Zeitung vom 25.02.2022 - Das Gespräch führten Elmar Schütze und Fabian Hartmann.

Kein neuer Berliner Wirtschaftssenator kommt um die Frage herum, ob er gelegentlich in der Schlafkammer neben seinem Büro in der Senatsverwaltung in Schöneberg übernachtet. Nein, natürlich nicht, sagt Berlins neuer Wirtschaftssenator Stephan Schwarz. Aber auch er kennt Anekdoten über den niedrigen Raum, in dem einst Elmar Pieroth seinen Wein gelagert haben soll. Ein Gespräch über plötzliche Wechsel im Lebensweg, „gute Arbeit“ und die Bullerbüisierung Berlins.

Herr Schwarz, Sie sind Unternehmer, kommen aus der Wirtschaft. Wie haben Sie Ihr eigenes Unternehmen beim Wechsel in die Politik hinterlassen, wie lief der Übergang?

Es ging vor allem sehr schnell. Es ist ein Glücksfall, dass es ein Familienunternehmen ist, das ich über 20 Jahre gemeinsam mit meinem Bruder geführt habe. Durch meinen Ausstieg hat sich der Charakter als Familienunternehmen nicht geändert. Mein Bruder steht jetzt an der Spitze, gemeinsam mit einem langjährigen Geschäftsführer. Wir mussten den Wechsel zwar in wenigen Wochen vollziehen. Aber ich denke, es ist gut geglückt.

Gibt es Geschäftsbeziehungen zwischen Ihrem Unternehmen und dem Land Berlin?

Die GRG ist ein über hundert Jahre altes Berliner Unternehmen, das immer auch Verträge mit dem Land Berlin hatte. Nach meinem Rückzug aus der Geschäftsführung der GRG am 20. Dezember 2021 treffe ich keinerlei operativen Entscheidungen in dem Unternehmen und bin lediglich Minderheitsgesellschafter.

Und wie vermeiden Sie künftig Interessenkonflikte?

In Wirtschaftsunternehmen und auch Landesunternehmen ist es vorgeschrieben, dass Beteiligungsverhältnisse von Organmitgliedern an Unternehmen, mit denen Vertragsbeziehungen bestehen, dem Aufsichtsgremium offengelegt werden, um mögliche Interessenkonflikte auszuschließen. Dies werde ich selbstverständlich ebenso handhaben.

Wird sich die GRG während Ihrer Amtszeit an Ausschreibungen beteiligen?

Das alleine entscheidet die Geschäftsführung der GRG. Als Minderheitsgesellschafter liegen diese Entscheidungen außerhalb meines Einflussbereiches. In meiner Funktion als Senator darf und werde ich an entsprechenden Vergabeverfahren nicht beteiligt werden.

Welche Veränderungen hat Ihr Wechsel in die Politik noch mit sich gebracht?

Im Grunde genommen habe ich mein Leben von heute auf morgen komplett umgestellt. Ich habe auch viele andere Funktionen in der Wirtschaft wahrgenommen – etwa als Aufsichtsrat bei der Berliner Volksbank, was mir sehr viel Freude bereitet hat. Aber ja: Der Wechsel kam für mich plötzlich. Es war in meinem Leben aber häufig so, dass ich mal die Rolle gewechselt habe. Und bisher hat es immer funktioniert.

Was unterscheidet die Welt der Wirtschaft von der Welt der Politik und der Verwaltung?

In der Wirtschaft ist es wichtig, gründliche und langfristige Entscheidungen zu treffen. In der Politik hat man häufig weniger Zeit, um sich in Probleme adäquat hineinzudenken. Entscheidungen müssen schnell getroffen werden, und man muss sich ein breiteres Meinungsbild einholen. An der Spitze eines Unternehmens vertritt man vorrangig dessen Interessen. Als Wirtschaftssenator reicht der Blick weiter, man ist für das ganze Bundesland mit all seinen Branchen und Unternehmen zuständig. Bei der Handwerkskammer habe ich die Erfahrung gemacht, für einen ganzen Bereich zuständig zu sein. Ich glaube, es ist ein Vorteil, dass ich nah an den Themen der Wirtschaft dran bin. Ich kenne die Sorgen und Nöte und weiß, warum bestimmte Dinge von der Politik eingefordert werden. Am Ende muss ich meine Entscheidung aber zum Wohl der gesamten Stadt treffen.

Noch eine Frage an den Unternehmer Stephan Schwarz: Wie groß ist generell der Einfluss von Politik auf unternehmerische Entscheidungen?

Ich glaube fest daran, dass die Rahmen, die die Politik setzt, wichtig sind. So gab es in den vergangenen Jahrzehnten drei wichtige Weichenstellungen für Berlin. Da ist natürlich der Hauptstadtbeschluss im Jahr 1991. Der hat dazu geführt, dass viele große Konzerne ihre Hauptquartiere oder zumindest Dependancen nach Berlin verlegt haben, weil sie die Nähe zur Politik brauchten und brauchen. Enorm wichtig war auch, dass in den Jahren der Sparpolitik unter Klaus Wowereit die Stärken gestärkt wurden. So ist zum Beispiel bei der Kultur relativ wenig gekürzt worden – was den Standort Berlin bis heute stärkt. Und dann ist da natürlich die gewaltige Wissenschaftsdichte. Die Universitäten aber zum Beispiel, auch die Charité mit ihrer international vernetzten Forschung, tragen zum wirtschaftlichen Erfolg der Stadt bei. All dies war möglich, weil die Politik an den entscheidenden Punkten eingegriffen und gefördert hat.

Wie würden Sie Ihre Rolle als Wirtschaftssenator in einer eher linken Koalition definieren?

Als Wirtschaftspolitiker bin ich lösungsorientiert. Mein Ziel ist eine funktionierende Wirtschaft – und zwar unabhängig von klassischen Schemata wie links oder rechts. Es geht darum, den Standort für Ansiedlungen attraktiv zu machen. Wir brauchen Wirtschaftswachstum, das kommt Unternehmen und Arbeitnehmern zugute. Dafür braucht es gute Rahmenbedingungen. Wir haben in Berlin alle Voraussetzungen: eine tolle Wissenschaftslandschaft, viel Kultur und den politischen Anspruch, und als offene und tolerante Stadt zu profilieren. Das sind progressive Themen, die auch der Wirtschaft helfen.

Aktuell befindet sich die Berliner Wirtschaft noch im Corona-Modus. Wie kommt sie aus der Krise?

Die Berliner Wirtschaft ist relativ gut durch die Krise gekommen. Im Jahr 2020 ist die Wirtschaft bundesweit um vier Prozent geschrumpft, in Berlin lag der Rückgang bei etwa drei Prozent. Im letzten Jahr lag das Wachstum schon wieder bei drei Prozent, ähnlich dürfte es auch in diesem Jahr sein, vermutlich liegen wir wieder vor dem Bund. Trotzdem braucht die Berliner Wirtschaft Unterstützung – und zwar zielgenau und differenziert. Es gibt Branchen, die es hart getroffen hat. Dazu zählt der Einzelhandel, der Tourismus, die Gastronomie. Wir haben uns stark für die Verlängerung der Überbrückungshilfe eingesetzt, die wird nun über den 31. März hinaus bis zum 30. Juni verlängert. Auch Kurzarbeit ist weiter möglich. Wir setzen uns in Berlin mit den einzelnen Branchen zusammen, um passgenaue Lösungen zu finden. Im Tourismus wären das beispielsweise Werbemaßnahmen oder Marketing-Unterstützung. Was mir wichtig ist: Berlin hat als Marke, als Tourismus-Standort, nicht gelitten. Wichtig ist, dass Menschen nicht nur nach Berlin reisen, sondern hier auch Kongresse, Messen, Veranstaltungen besuchen. Eine weitere große Herausforderung ist die Transformation der Wirtschaft, Stichwort Digitalisierung, Stichwort Nachhaltigkeit. Wir werden die Unternehmen bei Beratung und Vernetzung unterstützen. Wir haben uns außerdem das Ziel gesetzt, Berlin bis 2030 flächendeckend mit Glasfaser zu versorgen.

Zu den Wachstumstreibern der Berliner Wirtschaft gehören Start-ups. Welchen Mehrwert haben diese Unternehmen für Berlin?

In der letzten Dekade sind 80.000 Arbeitsplätze in diesem Bereich entstanden. Wir haben inzwischen drei Dax-Unternehmen, die aus Gründungen entstanden sind. Vor zehn Jahren hätte man sich eine solche Entwicklung nicht vorstellen können. Berlin ist einer der großen Player auf der Welt, was Risikokapital anbelangt. Im letzten Jahr haben wir 10,5 Milliarden Euro eingesammelt. Wir spielen in einer Liga mit den großen Regionen der Welt. Im Tourismus messen wir uns mit London und Paris, nicht mit Rom und Madrid. Das hätte ich mir auch nicht träumen lassen. Berlin hat eine hervorragende Entwicklung in den letzten Jahren durchgemacht. Um die ökologische Transformation der Wirtschaft hinzubekommen, brauchen wir aber weiter Innovatoren – und das sind kreative Unternehmerinnen und Unternehmer, Menschen mit Gründergeist.

Die Landesregierung hat sich „gute Arbeit“ auf ihre Fahnen geschrieben. Dazu zählen hohe Mindestlöhne, ein Vergabegesetz, aber auch Betriebsräte. Start-ups sind nicht gerade bekannt dafür, ein Hort der Mitbestimmung zu sein. Wie halten Sie diesen Widerspruch aus?

Ich glaube nicht, dass Ihr Eindruck stimmt. Oft sind es gut bezahlte Arbeitsplätze, die hier entstehen. Was richtig ist: Tarifbindung findet man bei kleinen, jungen Unternehmen oftmals nicht. Es ist aber ein grundsätzliches Problem: Die Tarifbindung lässt nach, die Tarifpartner, sowohl Arbeitgeberverbände als auch Gewerkschaften, werden schwächer. Auch die Bereitschaft, sich gewerkschaftlich zu organisieren, hat abgenommen. Das ist bedauerlich, aber es ist ein gesellschaftlicher Trend.

Ein Thema, das den Senat auch in dieser Legislatur beschäftigen wird, ist die mögliche Enteignung großer Wohnungsunternehmen. Was würde ein positives Ergebnis – also eines, das dem Volksentscheid folgt – für den Wirtschaftssenator Schwarz bedeuten?

Die Koalition hat sich auf einen Prozess verständigt. An dessen Ende wird es Vorschläge geben. Ich will keine Entscheidung vorwegnehmen. Wir müssen es aber sehr ernst nehmen, dass knapp 60 Prozent der Wähler für den Volksentscheid gestimmt haben. Es wäre aber zu hypothetisch jetzt zu sagen: Am Ende steht Entscheidung X – wie stehe ich dazu? Ich bin mir sicher, dass wir in der Koalition eine gute Lösung finden, die auch verfassungsrechtlich abgesichert ist. Wichtig ist mir: Wir sind ein Rechtsstaat und bewegen uns innerhalb rechtlicher Grenzen. Und wir müssen für Investoren ein interessanter Standort bleiben.

In der letzten Legislatur haben vor allem Grüne und Linke immer wieder eine gewisse Feindseligkeit gegenüber Investoren an den Tag gelegt. Erinnert sei an den Google Campus in Kreuzberg oder die IAA. Wie gehen Sie mit solchen Konflikten in der Koalition um?

Die Koalition hat ein sehr klares Bekenntnis abgegeben. Im Koalitionsvertrag heißt es explizit, dass Unternehmen in dieser Stadt willkommen sind. Das war nicht zufällig. Dieser Satz hat mich davon überzeugt, dass die Koalition das Richtige will. Es ist nicht nur von einer Willkommenskultur für Unternehmen die Rede, sondern auch davon, dass Unternehmer als Partner wahrgenommen sind. Und das überzeugt mich. Das ist ein wichtiger Anspruch, den die drei Partner hier zum Ausdruck gebracht haben, das ist eine gute Arbeitsgrundlage. Und Konflikte gibt es immer, wenn es um Ansiedlungen geht – nicht nur in Berlin.

Google und die IAA waren nur einige Beispiele, es gab mehr ...

Also: Die meisten wollen, dass sich die Lebensbedingungen verbessern, sich das Einkommen erhöht. Das geht nur über Wirtschaftswachstum. Auch hohe Steuereinnahmen gibt es nur, wenn es den Unternehmen und ihren Mitarbeitern gut geht. Dynamik ja, aber bitte nicht in meinem Hinterhof. Wir kennen diese Diskussionen. In Berlin hatten wir in den letzten Jahren vielleicht ein bisschen mehr Dynamik als in anderen Regionen. Daher führen wir auch ein paar Diskussionen mehr. Mir ist aber wichtig, dass wir die Probleme ideologiefrei auf Sachebene aushandeln. Natürlich gibt es einen Konflikt zwischen Gewerbe und Wohnen. Wir haben uns das ehrgeizige Ziel gesetzt, 20.000 Wohnungen im Jahr zu bauen . Gleichzeitig wollen wir die Berliner Mischung wahren, also ein ausgewogenes Verhältnis zwischen beiden. Auch Gewerbe leidet unter Verdrängung und Gentrifizierung. Es ist meine Aufgabe als Wirtschaftssenator, auch diese Perspektive in die Diskussion einzubringen. Am Ende gewinnen die besseren Argumente.

Ihr Koalitionspartner möchte mehr Bullerbü wagen. Autos sollen raus aus der Innenstadt, Fahrräder Vorfahrt haben. Ist die zur Fahrradrennstrecke mit angeschlossener Flaniermeile umgebaute Friedrichstraße für Sie insofern ein Vorbild?

Bullerbü ist für mich kein Ideal für eine moderne Metropole. Und was die Friedrichstraße anbelangt: Sie hat unter Corona nochmal besonders gelitten und steht vor großen Herausforderungen. Ich würde aber nicht vom derzeitigen Zustand ausgehen und sagen: Das wird so bleiben. Das wird es mit Sicherheit nicht. Wir sind noch immer in der Krise, der Einzelhandel leidet enorm. Die Friedrichstraße hat noch Projektcharakter, es soll eine zweite Stufe geben. Es ist ein Projekt, das nicht nur unter verkehrspolitischen, sondern auch unter städtebaulichen und wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten betrachtet werden sollte. Das heißt, dass auch Gewerbetreibende mit in die Entscheidung einbezogen werden müssen.

Ist es eine gute Idee, den Autoverkehr aus der Innenstadt zu drängen?

Berlin ist eine Stadt, die in der Nachkriegszeit aufs Auto ausgerichtet wurde, auch städtebaulich. Heute würde keiner mehr so eine Stadt bauen. Daher ist es richtig, dass über Alternativen nachgedacht wird. Ich selbst habe viele Jahre in Paris gelebt und gesehen, mit welchem atemberaubenden Tempo diese Stadt umgebaut worden ist. Übrigens so, dass es auch die Pariser überwiegend gut finden. Es gibt eine intensive Kooperation zwischen den Handwerkskammern in Berlin und Paris, die wir sehr intensiv genutzt haben. Die Gewerbetreibenden fanden es auch gut. Der Stadtumbau ging einher mit einem Auf- und Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel. In Paris würde kein Mensch auf die Idee kommen, bestimmte Strecken mit dem Auto zu fahren. Das muss auch unser Ziel sein. Dabei müssen wir den Gewerbeverkehr immer im Blick behalten. Auch hier ist Paris ein Vorbild. Sie haben ihr Konzept eng mit Kammern und Verbänden abgestimmt und dann den Verkehr so umgebaut, dass es für alle gut funktioniert. Auch in Berlin werden wir auf den Wirtschaftsverkehr nicht verzichten können, das muss immer mitgedacht werden – im Sinne einer vitalen Wirtschaft.