Wilhelm von Boddien wird 80. Mit einer Attrappe hatte sein Werben für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses angefangen
Berliner Zeitung vom 25.02.2022 von Nikolaus Bernau 

Vor ziemlich genau dreißig Jahren begann in Berlin die Debatte über ein Experiment, von dessen Scheitern die Meisten eigentlich fest überzeugt waren: Die dann am 1. Juli 1993 eingeweihte Schlosskulisse vor dem bereits geschlossenen Palast der Republik. Geworben werden sollte damit für den Nachbau der Fassaden des 1950 auf Befehl der SED gesprengten Berliner Schlosses. Der Hamburger Kaufmann Wilhelm von Boddien initiierte dieses Projekt – bis dahin ein unbekannter Schlossenthusiast, der seither zur Person der Berliner Geschichte wurde. Kein Essen teurer als das mit dem Spendensammler von Boddien, wurde schon in den 1990ern gelästert. Am Sonntag feiert er seinen 80. Geburtstag – und wenn die Zeitumstände andere wären, wäre das wohl ein erstklassiges gesellschaftliches Ereignis.

Bemerkenswert flexibel

Von Boddien entwickelte damals eine Idee des Berliner Architekten Frank Augustin und des Schlosshistorikers Goerd Peschken weiter: Sie hatten vorgeschlagen, vor den gewaltigen Glas- und Stahlbau des Palastes der Republik ein Gerüst mit den Außenmaßen des Berliner Schlosses zu stellen, um an diesen Prachtbau zu erinnern. Er machte aus dieser skrupulös-intellektuellen Idee, die alle Geschichtsschichten des Ortes integrierte, ein scharf in eine Richtung weisendes Argument: Der Palast wurde von der preußisch-gelben Schloss-Kulisse regelrecht überstrahlt. Über mehr als zwei Jahrzehnte wurde die Architekturdebatte auf „historisch“ oder „modern“ reduziert. Eine klassische Werber-Strategie, die alle dialektischen Zwischentöne ausschloss und schon gar die Frage, was eigentlich hinter dem halben Meter Beton, Ziegel und Putz geschieht. Von Boddien war da bemerkenswert flexibel: Ob Bundespräsidialamt, Europäisches Haus, Hotel und Shoppingmall, Haus der Bundesländer oder Außenministerium – immer sagte er: Geht. Solange die Fassade nur barock wird. Sogar ein Kulturzentrum war möglich.

Der fast immer umgängliche und freundliche Boddien und sein Förderverein wurden oft kritisiert. Doch gelang es ihnen, mehr als 100 Millionen Euro zu sammeln. Eine Riesenleistung. So wie auch die Kulisse durchaus das Potenzial hatte, die Debatte um die Zukunft der Berliner Innenstadt zu demokratisieren: Dank ihrer konnten auch die Nicht-Fachleute über die Stadtgestalt mitreden, weit mehr als etwa bei der Frage des Eingangsbaus auf der Museumsinsel, den vielen Geschäftshausbauten, der Planung für das Museum des 20. Jahrhunderts, für die solche Eins-zu-Eins-Modelle nicht gebaut wurden. Aber dies demokratisierende Potenzial verpuffte, nicht nur am Widerstand von Staat und Investoren, die sich ungerne in ihre Planungen reinreden lassen: Auch von Boddien wollte keine wirkliche Reform der Debattenkultur, er blieb der Schlossfassadenenthusiast, der sein Projekt durchsetzen wollte.

Debatten über die vielfältige Geschichte des Ortes weicht er systematisch aus, genauso wie denen über die symbolische Bedeutung, welche die Formen der Fassaden einst hatten und heute haben können. Derzeit zeigt sich das im Streit um die Kuppelinschrift, die heute mit ihrer Behauptung, nur diejenigen könnten das Heil erringen, die an Jesus Christus glauben, als Affront gegen den Auftrag des Humboldtforums wirkt, die Kulturen der Welt gleichberechtigt zusammenzubringen. Boddien tritt zwar dafür ein, die Inschrift zu belassen – doch deren ideologischer Gehalt interessiert ihn kaum, allenfalls als Zeugnis der Bedeutung des Christentums. Eigentlich geht es ihm aber nicht um die Geschichte, sondern um die Form.

Vereinfachung der Geschichte

Dass die Entscheidung, nur die barocken Fassaden des Schlosses nachzuschöpfen, eine extreme Vereinfachung der preußischen Geschichte ist – die Zeit zwischen etwa 1685 und 1712 ist eine der wenigen ihrer Abschnitte, die nicht mit Kriegen belastet sind – konnte er deswegen immer ästhetisierend als Feier des „Genies“ von Andreas Schlüter verteidigen: Die Renaissanceflügel an der Spree seien zu uneinheitlich und verwinkelt gewesen, um sie nachbauen zu können. Und dass er sogar übelste Kompromisse wie den schrecklichen Cafe-Dachaufbau oder die kalte Spreefassade zuließ – nun ja, sie beweisen ja seine Grundthese: „Die“ Moderne kann „es“ eben nicht, es müssen Barockfassaden her.

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