Vor 30 Jahren hat Wilhelm von Boddien den Förderverein Berliner Schloss gegründet. Jetzt wird er 80 Jahre alt.
Berliner Morgenpost vom 27.02.2022 - Von Isabell Jürgens
„Ich habe mich mein Leben lang vor runden Geburtstagen gedrückt – das wird auch diesmal so bleiben“, sagt Wilhelm von Boddien, der am heutigen Sonntag 80 Jahre alt wird. Dabei hätte von Boddien in diesem Jahr sogar doppelten Grund, sich feiern zu lassen: Vor 30 Jahren gründet er den Förderverein Berliner Schloss, mit dem er maßgeblich dafür sorgte, dass in Berlins historischer Mitte ein teilrekonstruiertes Schloss steht.
Eigentlich habe er vorgehabt, die Seele baumeln zu lassen und mit seiner Frau in ihr kleines Häuschen nach Spanien zu fliehen, erzählt von Boddien. Doch das habe seine Frau nicht zugelassen. „Sie hat darauf bestanden, dass wir in Berlin feiern – wie genau, damit will sie mich überraschen“, sagt er. Vielleicht gehe es ja zu „Curry 36“ an den Mehringdamm in Kreuzberg, das wäre ganz nach seinem Geschmack: „Bloß nichts Aufwendiges und keine Reden“.
Wilhelm von Boddien wird 80: Gefeiert wird in Berlin
Soviel Unterstatement überrascht, schließlich gilt der unermüdliche Förderer der Berliner Schlossrekonstruktion Unterstützern wie Gegnern als Freund barocker Schönheit. In Berlin soll also gefeiert werden, soviel steht immerhin fest. Hier ist von Boddien gerade ohnehin wieder sehr häufig, zur Absprache mit seinem Verlag und weil er in seiner kleinen Wohnung in Schöneberg besser an seinem neuen Buch arbeiten kann als in seinem Hauptwohnsitz in Hamburg.
Das Buch sollte eigentlich schon zu seinem 80. Geburtstag erscheinen, wurde aber nicht rechtzeitig fertig, unter anderem kam ihm ein Schlaganfall dazwischen, von dem er sich aber gut erholt habe: „Der liebe Gott wollte mich noch nicht, er möchte offenbar, dass ich noch weitermache.“ Denn auch sein Werk am Schloss sei noch nicht vollbracht. Das Portal IV sei zwar fertig, müsse nun aber noch behutsam mit Säulen und Reliefs ausgestattet werden. Unvollendet sei auch seine Arbeit als Spendensammler für weitere Rekonstruktionsvorhaben am Gebäude: „Auf dem Dach fehlen noch 27 Figuren, acht davon sind bereits in Auftrag gegeben“, sagt er.
Vom Landmaschinenhändler zum hauptamtlichen Schloss-Idealisten
Zurück zu seinen Memoiren. Titel und Untertitel stehen bereits fest: „Der Wiederaufbau des Berliner Schlosses. Erinnerungen eines Idealisten.“ Die Geschichte des Kaufmannes von Boddien ist tatsächlich erzählenswert. Als Wilhelm Dietrich Gotthard Hans Oskar von Boddien am 27. Februar 1942 in Stargard im früheren Pommern geboren wurde, wächst er in Reinbek bei Hamburg auf, schließt eine kaufmännische Lehre ab, übernimmt die Landmaschinenfirma seines Vaters, gründet eine Familie und lebt bis zur Wiedervereinigung eher medienunauffällig als Geschäftsführer der Boddien Land- und Kommunaltechnik GmbH.
Mit der Wiedervereinigung jedoch nimmt das Leben des Vaters von fünf Kindern eine krasse Wende. Der Endvierziger startet in ein neues Leben, in dem er nun unbeirrbar ein ganz großes Ziel verfolgt: in der neuen Hauptstadt Berlin das 1945 bei Bombenangriffen schwer beschädigte und 1950 auf Geheiß von Walter Ulbricht, dem Generalsekretär der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) gesprengte Schloss wieder aufzubauen.
Berliner Schloss: Die Fassaden-Simulation bringt den Durchbruch
War das ehrgeizige Unterfangen Ausdruck einer typische Midlife-Crisis? „Nein“, winkt von Boddien ab, er habe damals ganz einfach die Chance gewittert, sein seit einer prägenden Schülerfahrt in die geteilte Stadt „intensiv betriebenes und von der Familie belächeltes Hobby“ – nämlich das Berliner Schloss – auf ein bis dato unvorstellbares Fundament zu heben, es im wahrsten Sinne des Wortes wiedererstehen zu lassen. Ihm gelingt es, Mitstreiter um sich zu scharen und mit der weltweit aufsehenerregenden Fassaden-Simulation der Hohenzollernresidenz auf dem Schloßplatz im Sommer 1993 nicht nur viele Bürger von der Idee des Wiederaufbaus zu überzeugen, sondern vor allem auch die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten.
Das Projekt polarisiert von Anfang an
2002 beschließt der Deutsche Bundestag den Neubau des Schlosses mit rekonstruierten Fassaden auf drei Seiten – zu einem Zeitpunkt, als der Palast der Republik, zu DDR-Zeiten Sitz der Volkskammer und zugleich als Veranstaltungsort ein Palast des Volkes, aufgrund der Asbestbelastung zwar schon jahrelang geschlossen, aber noch nicht abgerissen ist. Vor allem deshalb gibt es auch Gegenwind, das Projekt polarisiert, wird von den Gegnern als anachronistisch und revisionistisch empfunden.
Der umstrittene Abriss des Palastes der Republik erfolgt 2006, ein Jahr, bevor der Bundestag das Budget freigibt und festlegt, dass Deutschlands teuerstes Kulturprojekt nach der Wiedervereinigung nicht mehr als 552 Millionen Euro kosten darf (eine Summe, die 2011 auf 595 Millionen Euro hochkorrigiert wird); 440 Millionen davon soll der Bund übernehmen, 32 Millionen die Stadt Berlin . Die 80 Millionen für die Rekonstruktion der historischen Fassaden sollen dagegen ausschließlich durch Spenden hereinkommen. Für Wilhelm von Boddien, inzwischen längst hauptberuflich Geschäftsführer des Fördervereins Berliner Schloss, ist klar: „Das ist die Aufgabe, der ich mich mit ganzer Kraft widmen will.“
Warnung vor dem nackten Betonkoloss
Dass es tatsächlich gelingen wird, die erforderliche Summe einzuwerben, daran werden in den Folgejahren immer wieder Zweifel laut. 2014, ein Jahr nach der Grundsteinlegung, warnt etwa die damalige Bauministerin Barbara Hendricks (SPD) in einer Vorlage an den zuständigen Bundestagsausschuss, Risiken bestünden hinsichtlich der rechtzeitigen Verfügbarkeit von Spenden, weil von den zugesagten 80 Millionen Euro erst etwa 20 Millionen eingegangen seien. Am Schluss werde der Steuerzahler die Finanzlücke schließen müssen, damit das Preußenschloss nicht als nackter Betonkoloss dasteht, davon sind die Kritiker des Projekts ohnehin fest überzeugt. Dass am Ende aber sogar 110 Millionen Euro zusammenkommen und weit mehr als die drei Außenfassaden rekonstruiert werden, damit haben aber wohl auch die Befürworter des Projektes nicht gerechnet.
Diskussion um die Legitimation nimmt wieder Fahrt auf
Im Sommer 2021 wird das Humboldt Forum im Berliner Schloss endlich eröffnet. Dass die Diskussionen um die Legitimation des Gebäudes damit nicht beendet sind, überrascht von Boddien nicht. „Natürlich ist mir klar, dass nicht alle jubeln und bin zugegebenermaßen verärgert über so manchen aktuellen Artikel. Aber das ist eben Berlin – und das Schloss kann ja schließlich niemand mehr umpusten“, sagt er und lacht. Was ihn aber doch getroffen hat, wie er dann einräumt, ist die Heftigkeit, mit der die Debatte, die in der langen Bauphase beinahe eingeschlafen war, mit der Eröffnung wieder Fahrt aufnimmt. Denn darin geht es bei Weitem nicht nur um den Umgang des Humboldt Forums mit seinen kolonialen Sammlungen.
Die Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss als Betreiberin und Bauherrin des Humboldt Forums und Wilhelm von Boddien als deren wichtigster Spendensammler sehen sich mit vehementer Kritik an der Rekonstruktion des Goldenen Kreuzes und der Bibelverse an der Kuppel konfrontiert. Diese stünden für abendländisch-christliches Dominanzgebaren, dass einer den Weltkulturen gewidmeten Institution wie dem Humboldt Forum nicht gut anstünde, lautet ein auf zahlreichen Podiumsveranstaltungen immer wieder vorgebrachter Vorwurf. „Wenn man sich entschieden hat, die Fassaden und die Kuppel wieder originalgetreu auszugestalten, kann man nicht später einfach eine Geschichtsbereinigung vornehmen, auch wenn das manche gerne hätten.“ Doch damit nicht genug: Auch die von Boddien eingesammelten Spenden, beziehungsweise deren Spender, geraten nun in den Fokus.
Frage nach der politischen Gesinnung der Geldgeber
Im November 2021 berichtet der Berliner Architekt und Publizist Philipp Oswalt über frühere antidemokratische und antisemitische Äußerungen des 2016 verstorbenen Juristen und Bankiers Ehrhardt Bödecker und weist auf weitere Kleinspender „aus rechtslastigen Milieus“ hin. Der Artikel löst eine wahre Empörungswelle in nahezu sämtlichen Medien aus. Die Bödecker zu Ehren angebrachte Plakette im Eosander-Portal – dort sind alle Großspender namentlich aufgeführt – wird schließlich abgenommen, die Stiftung sieht sich zudem genötigt, sich in einer Erklärung „ausdrücklich“ von Spenderinnen und Spendern zu distanzieren, „die in Teilen rechtes Gedankengut propagieren, gegen unsere demokratische Grundordnung und unsere Überzeugungen für eine vielfältige Gesellschaft agieren“.
Für Wilhelm von Boddien ein schlimmer Vorgang. Plötzlich hätten sich die rund 45.000 Spenderinnen und Spender in die rechte Ecke gestellt gesehen. Und an ihn wird die Forderung herangetragen, er möge doch bitteschön auch die Namen der anonymen Spender offenbaren. Das aber, sagt Boddien, dürfe er schon aus Datenschutzgründen nicht. Noch entscheidender aber sei: „Wir sind immer noch eine Demokratie und ich kann doch nicht ernsthaft die politische Gesinnung der Geldgeber abfragen“, sagt er mit Nachdruck. Natürlich wurme es ihn aber, wenn Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke) ins gleiche Horn stoße und öffentlich äußere, die Spender seien Spinner, die „dafür Geld auf den Tisch legen, um sich ein Denkmal für die Ewigkeit zu setzen“.
„Ich hatte Tränen in den Augen“
All das, so sagt er, werde in seinem Buch zur Sprache kommen. Aber vor allem auch die vielen positiven Begegnungen und Erlebnisse, die er in den vergangenen 30 Jahren rund um das Berliner Schloss sammeln durfte. Und die schönen Momente überwögen schließlich, so von Boddien, der nicht lange überlegen muss, welches denn sein schönstes Erlebnis war.
Das sei nach der Eröffnung der Höfe im Schloss Anfang Juni 2021 gewesen, als er sein Fahrrad durch das Südportal in den wunderschönen Schlüterhof schob, wo rund 80 Leute an den Tischen des Restaurants saßen: „Zwei der Besucher standen plötzlich auf und fingen an zu klatschen. Am Ende standen alle Menschen und haben mir applaudiert. Ich hatte Tränen in den Augen vor Rührung.“ Das sei die schönste Auszeichnung für ihn gewesen, die schwerer wiege als das Bundesverdienstkreuz am Bande und das Bundesverdienstkreuz erster Klasse, die ihm im Laufe der Jahre verliehen wurden: „Denn genau das ist es ja, was ich mir wünsche, dass die Menschen froh und glücklich sind mit dem Schloss.“