Der Senat erläutert, wie es mit der Straße weitergeht. Anlieger fordern, endlich über eine bessere Gestaltung nachzudenken. Heute sehe es dort „peinlich“ aus.
Berliner-Zeitung vom 31.03.2022 - von Peter Neumann

Die Uhr tickt. Ein paar Monate noch, dann ist ein rund 500 Meter langer Abschnitt der Friedrichstraße in Mitte dauerhaft für Autos tabu. Die Verwaltung arbeitet daran, dort den Kraftfahrzeugverkehr unbefristet auszuschließen. „Das Teileinziehungsverfahren könnte im Spätsommer abgeschlossen werden“, sagte Jan Thomsen, Sprecher von Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne). Nun werden Forderungen immer lauter, sich professioneller als bisher um die Gestaltung zu kümmern. „Es muss einen internationalen Wettbewerb für die Friedrichstraße und Unter den Linden geben. Experten von außen müssen sich darüber Gedanken machen, wie dieser Teil unserer Hauptstadt gestaltet, wie der Verkehr dort bewältigt werden soll“, verlangte Guido Herrmann vom Anliegerverband Die Mitte.

Es geht um den Abschnitt zwischen der Leipziger und der Französischen Straße, der versuchsweise vor rund anderthalb Jahren für Autos gesperrt wurde. In der Mitte der Fahrbahn wurde ein vier Meter breiter Radfahrstreifen markiert. Links und rechts davon wurden Sitzgelegenheiten und Vitrinen platziert. 65 Bäume gehörten anfangs ebenfalls zum Bild. Weil sie allerdings mit ihren Wurzeln die Kübel zu sprengen drohten, mussten sie inzwischen verschiedenen Bezirksämtern zum Einpflanzen übergeben werden.

Schon der U-Bahn- Bau setzte den Unternehmen an der Straße zu

Der Verkehrsversuch, der von der heutigen Mobilitätsverwaltung und dem Bezirk Mitte organisiert wurde, stößt beim Anliegerverband Die Mitte auf heftige Kritik. „Es war der falsche Zeitpunkt, das wird immer deutlicher“, sagte Guido Herrmann, Vereinsvorsitzender und Verwaltungsleiter des Friedrichstadt-Palasts, der Berliner Zeitung. Der Verkehrsversuch begann während der Pandemie, „in der unsere Mitglieder schon genug andere Probleme hatten“. 170 Akteure, darunter Unternehmen aus dem Einzelhandel, der Gastronomie und der Immobilienbranche, gehören dem Verband an. Ihnen hatten schon die jahrelangen Beeinträchtigungen während des U-Bahn- Baus in der benachbarten Straße Unter den Linden arg zugesetzt.

„Einen Teil der Friedrichstraße auf Gedeih und Verderb für Kraftfahrzeuge zuzumachen, ohne eine echte Bürgerbeteiligung, das hätte ich nicht erwartet“, so der Vereinschef. „Den politisch Verantwortlichen ging es darum, zu demonstrieren, dass man sich den Stadtraum an einer prominenten Stelle vom Autoverkehr zurückholt. Doch wenn am Ende der politische Fortschritt nur darin besteht, Autos zu vertreiben, dann ist das ein bisschen wenig.“

Die Gestaltung des autofreien Abschnitts entspräche nicht dem Rang und der Bedeutung, die dieser Teil des östlichen Stadtzentrums einnimmt, bemängelte Herrmann. „Was da gemacht worden ist, erscheint uns nicht nachhaltig zu sein. Gelbe Markierungen, Gewächshäuser, eingehende Bäume, das ist Ironie pur“, sagte er. „Die Glaskästen, Showcases genannt, stehen zum Teil leer. Es regnet hinein, Scheiben sind kaputt“, berichtete Vereinssprecher Conrad Rausch. „Die gelben Folien der provisorischen Straßenmarkierungen haben sich zum Teil im Regen gelöst. Das ist schon peinlich. Wir können nur hoffen, dass nicht allzu viele Fotos die Runde machen.“

Vor allem der Radfahrstreifen stößt auf Kritik. „Wir sind keine Autolobby. Man hat versucht, uns das vorzuwerfen und uns in diese Ecke zu schieben. Aber wir sind auch keine Fahrradlobby“, stellte Guido Herrmann klar. „Inzwischen wurden den Radfahrern Geschwindigkeitsbegrenzungen verordnet. Das war vielleicht mal kurz lustig, aber zu einem positiven Image trägt das nicht bei“, sagte er. „Man muss sich entscheiden: Will man die Straße autofrei oder als Flaniermeile? Das ist nicht dasselbe, denn Radfahrer sind auch Verkehrsteilnehmer. Und längst nicht alle Radfahrer verhalten sich so rücksichtsvoll, wie dies erforderlich wäre.“

Berlin hat ein Zentrum – und das ist Mitte“

„Wir haben nie gesagt, dass die Friedrichstraße eine Durchgangsstraße bleiben soll. Doch eine Fahrradstrecke ist ebenfalls nicht gewollt. Ein Radweg allein ist noch kein Stadtraum“, so der Vereinsvorsitzende. „Denkbar wäre, den Abschnitt zu einer Einbahnstraße zu machen. Auf jeden Fall brauchen wir ein anderes Verkehrskonzept. Denn der Verkehr ist nicht weg, er drängelt sich in der Charlottenstraße.“ Allerdings ist nun klar: Autos werden auf diesem Abschnitt niemals mehr fahren dürfen.

20220331 Friedrichstr P8220083Nun müsse endlich die Gestaltung in den Vordergrund rücken, so Sprecher Conrad Rausch. „Uns geht es darum, die Aufenthaltsqualität wieder zu verbessern. Für die, die dort arbeiten oder einkaufen, für die Touristen.“ Nicht nur ein Gestaltungswettbewerb sei notwendig, das Thema müsse innerhalb der Verwaltung auch prominenter verankert werden. „Wir können nicht wegdiskutieren, dass es sich um ein gesamtstädtisches Thema handelt“, gab Guido Herrmann zu bedenken. „Dass es für diesen Teil von Mitte eine zentrale Zuständigkeit, zum Beispiel in der Senatskanzlei, geben muss, darüber sprechen wir seit 20 Jahren. Berlin hat ein Zentrum, und das ist Mitte.“

„Die Option eines Gestaltungswettbewerbs in der Folge des Verkehrsversuchs ist bereits seit langem Bestandteil der Überlegungen, die hier keiner Professionalisierung bedürfen“, entgegnete Verwaltungssprecher Jan Thomsen. Denkbar wäre ein zweistufiges Vorgehen, mit einem Ideenwettbewerb für die Friedrichstraße und ihren Nahbereich sowie einem Realisierungswettbewerb für die Friedrichstraße im autofreien Abschnitt. „Der richtige Zeitpunkt für einen Gestaltungswettbewerb kommt erst nach Abschluss des Teileinziehungsverfahrens.“ Hieß es bislang, dass es bis Ende Juni abgeschlossen sein soll, ist nun von Spätsommer 2022 die Rede. „Vorbehaltlich rechtlicher Schritte“, wie Thomsen einschränkt.

Flaniermeile oder Fehlplanung? Ein Abschnitt der Friedrichstraße ist seit Ende August 2020 für Kraftfahrzeuge gesperrt. Sitzgelegenheiten wie dieses Parklet und Blumenkübel stehen auf der Fahrbahn. Foto: Gerhard Hoya

Die Berliner Zeitung im Internet: www.berliner-zeitung.de