Die Frage, ob die A100 zur Storkower Straße ausgebaut werden soll, bewegt Berlin. Nun ist die Diskussion neu entfacht.
Berliner Morgenpost vom 03.04.2022 - von B. Bath und J. Hanack

Die Neue Bahnhofstraße in Friedrichshain liegt mitten im Szene-Kiez. Wer die Dauerbaustelle Ostkreuz hinter sich lässt und Richtung Nordosten geht, passiert eine Reihe Altbauten, flaniert auf breiten Bürgersteigen an bunten Restaurants und Kneipen vorbei. Die Straße misst im Querschnitt vielleicht 15 Meter, zumindest bevor sie die Boxhagener Straße kreuzt, ist sie nicht allzu stark befahren. Die Vorstellung, dass unter ihrem Pflaster in Zukunft eine Autobahn verlaufen soll, ein unterirdischer Doppelstocktunnel mit je drei Fahrstreifen von rund 25 Metern Breite, erfordert vor allem eins: viel Fantasie.

Genau dieser Doppelstocktunnel soll nun geplant werden. Am Dienstag hat die Autobahngesellschaft des Bundes die Planungsleistungen für den 17. Bauabschnitt der A100, von Treptow bis zur Storkower Straße, ausgeschrieben . Die Nachricht hatte Daniela Kluckert , parlamentarische Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium (FDP), zuvor in der Berliner Morgenpost verkündet und damit Berlin in Aufruhr versetzt . Zu hören war Entsetzen ebenso wie große Freude, vor allem aber wurden viele, einschließlich Berlins Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), von der Ankündigung überrascht. 

Während die CDU von einer „guten Nachricht für die Berlinerinnen und Berliner “ sprach, hat Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) dem Ausbau der A100 eine deutliche Absage erteilt. „Das wird nicht passieren“, sagte Jarasch am Sonnabend auf dem Parteitag der Grünen. Die überraschende Ankündigung des Bundesverkehrsministeriums zeuge von einer „unfassbaren politischen Blindheit“. Berlin stehe zu seinem Beschluss, den Ausbau nicht weiter zu verfolgen. „Der Verkehrsminister sollte lieber ein Tempolimit auf Autobahnen erlassen.“ Im betroffenen Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg wurde auch gegen die Pläne protestiert. Grüne, Linke und SPD brachten einen Dringlichkeitsantrag in die Bezirksverordnetenversammlung ein, mit dem Titel: „Mobilitätswende beschleunigen statt Autopolitik von vorgestern machen: #A100Stoppen“.

A100 in Berlin : Vorplanung für den Abschnitt stammt aus dem Jahr 1999

Der Weiterbau der A100 spaltet die Stadt schon lange. Bereits der im Bau befindliche 16. Abschnitt vom Dreieck Neukölln zum Treptower Park war – und ist – umstritten. Vor mittlerweile 13 Jahren organisierten Gegner einen ersten großen Protest gegen den Autobahn- Bau, 2011 platzten die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Grünen, weil keine Einigung über die Verlängerung nach Treptow erzielt werden konnte. In der aktuellen Legislatur hat sich der rot-grün-rote Senat eigentlich darauf verständigt, Planung und Bau des 17. Bauabschnitts nicht voranzutreiben, weshalb dieser nun auch prüfen will, ob es Möglichkeiten gibt, den Weiterbau zu verhindern. In Landeskompetenz liegt die Entscheidung über die Autobahn-Verlängerung aber nicht mehr – seit 2021 plant, baut und erhält die Autobahngesellschaft des Bundes die A100.

Die Pläne für den Ausbau der A100 reichen bis ins Jahr 1999 zurück. Die Vorplanung für die Strecke bis zur Frankfurter Allee ist nach wie vor auf diesem Stand. Lediglich für das letzte Stück, den Abschnitt nördlich der Frankfurter Allee mit Anbindung an die Storkower Straße gibt es eine verkehrliche Untersuchung aus dem Jahr 2014. Seither haben die Planungen geruht, 2016 wurde die Verlängerung aber noch in den Bundesverkehrswegeplan 2030 aufgenommen. Dort ist der 17. Bauabschnitt als „laufend und fest disponiert“ eingeordnet worden. Darauf beruft sich auch das Bundesverkehrsministerium mit Blick auf die aktuelle Ausschreibung.

Dass die Planungen so lange ruhten, bedeutet auch, dass die Datengrundlage für den Autobahnabschnitt zum Teil überholt ist. „Zur Voruntersuchung aus 1999 haben sich die Randbedingungen verändert“, heißt es in der Leistungsbeschreibung zur weiteren Planung , wobei darin auf einen Vorteil verwiesen wird: „Mit der zwischenzeitlich erfolgten Aufgabe des Containerbahnhofs an der Frankfurter Allee kann die Trasse jetzt unmittelbar neben den Ringbahngleisen geführt werden und erhält dadurch einen größeren Abstand zur Wohnbebauung Deutschmeisterstraße.“ Dennoch scheint klar, dass die Wohnbebauung zur Herausforderung wird.

Den Prognosen nach wird es bis 2025 dauern, bis eine Linienführung für den 17. Bauabschnitt feststeht. Ein Jahr vorher, Ende 2024, soll der 16. Bauabschnitt fertig werden. „Die derzeit laufenden Arbeiten liegen im geplanten Zeitplan“, heißt es von der Autobahn GmbH, wobei man beim Spatenstich im Mai 2013 noch von einer Fertigstellung zum Jahreswechsel 2021/2022 ausgegangen war. Seither haben sich auch die Kosten deutlich erhöht, von 473 Millionen Euro auf 650 bis 700 Millionen Euro. Die Kostenschätzung für den 17. Bauabschnitt stammt ebenfalls aus 2013 und dürfte damit überholt sein. Damals ging die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung von 531,2 Millionen Euro aus. Jetzt heißt es von der Autobahngesellschaft nur: „Auch für den 17. Bauabschnitt werden aufgrund aufwändiger Ingenieurbauwerke vergleichsweise hohe Neubaukosten pro Kilometer anfallen.“

Oliver Igel (SPD), Bezirksbürgermeister von Treptow-Köpenick, setzt auf den Weiterbau, findet die Fortsetzung der Planungen „konsequent und richtig“. Igel befürchtet, dass es ansonsten zu einem Verkehrskollaps im Treptower Norden kommt. „Es geht mir nicht darum, das Problem nur zu verschieben“, sagt er mit Blick nach Lichtenberg. Durch den 17. Abschnitt könne das Verkehrsprojekt sinnvoll zu Ende geführt werden, Wirtschaftsverkehre sowie Verkehr vom und zum BER würden gebündelt und Anwohner nicht weiter belastet.

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Das sind die Knackpunkte des Streckenverlaufs

Folgt man dem Streckenverlauf aus den alten Planungen , geht es vom Ende des 16. Bauabschnitts aus über die Spree – mit einem ersten Knackpunkt: Zwischen der Elsenbrücke, deren Ersatzneubau 2028 fertig werden soll, und der Bahnbrücke ist für eine Autobahnbrücke nicht genug Platz. Es könnte ein Teilabriss der neuen Elsenbrücke drohen.

Danach führt die Strecke an der Halbinsel Stralau vorbei. Dort wohnt Tobias Trommer mit seiner Familie. Trommer engagiert sich seit 15 Jahren gegen den Ausbau der A100 und hatte im April 2009 den ersten großen Protest organisiert, als das Planfeststellungsverfahren für den 16. Bauabschnitt lief. „Damals wussten die meisten noch gar nicht, dass eine Autobahn gebaut wird. Durch den Protest ist es ein stadtweites Thema geworden“, sagt er. Wie auch heute habe eine richtige Information der Bürger durch die Politik gefehlt. Der 17. Abschnitt würde ihn als Anwohner auch direkt betreffen. „Wenn die Autobahn gebaut wird, kommt man zu Fuß oder mit dem Fahrrad nicht mehr von der Halbinsel runter“, befürchtet er.

Bereits heute, sagt Trommer, sei die Anbindung für seine Familie ohne Auto nicht einfach. „Wir müssen oft zum Bahnhof Ostkreuz oder zum Treptower Park, und die Wege werden immer schwieriger“, sagt der Posaunenlehrer. Vor allem für Kinder gebe es Angsträume, das könnte mit der Autobahn noch schlimmer werden, befürchtet Trommer. Und er sorgt sich vor weiteren Auswirkungen. „Eine Autobahn trennt die Kieze, links und rechts davon gibt es Studien zufolge eine Verslumung“, sagt er. Dazu komme der Lärm, die Stadtnatur müsse für den Bau weichen. Obwohl er auch Argumente für die Autobahn sieht, überwiegen für ihn deutlich die negativen Punkte. Anstelle A100-Weiterbaus, meint er, sollte man deshalb lieber das bestehende Straßennetz verbessern, „und Alternativen zum Auto ausbauen, damit die Menschen weniger darauf angewiesen sind“.

Ein Stück hinter der Halbinsel Stralau liegt das Ostkreuz. Nach bisherigem Stand soll die A100 dort in den Doppelstocktunnel abtauchen, für den beim Umbau des Bahnhofs schon ab 2012 vorbereitende Maßnahmen getroffen worden sind. Der Tunnel würde dann nach Norden unter der Neuen Bahnhofstraße durchführen, um auf Höhe des Wiesenwegs nach Osten zu schwenken. Im sogenannten Lichtenberger Gleisdreieck rund um die Wartenbergstraße könnte die A100 wieder oberirdisch werden.

A100-Ausbau könnten den Abriss vieler Wohnhäuser nötig machen

An der Wartenbergstraße 22 wohnt Ruwen Wieman in einem Hausprojekt. Mit Freunden hat er das fünfstöckige Wohnhaus 2016 gekauft und renoviert. Die rund 20 Bewohner der „Wartenburg“ streiten seit Jahren mit dem bezirklichen Bauamt , das ihnen das Nutzungsrecht für das Haus abgesprochen hat. Laut Bezirksamt handelt es sich bei der Gegend um ein Gewerbegebiet, für das es kein Wohnrecht gebe. Ende September sollen die Hausbewohner ausziehen, über die Gültigkeit der Entscheidung wird derzeit vor Gericht gestritten. Wieman aber ist sich sicher, dass hinter all dem der A100-Ausbau steckt. „Die Trasse würde das Lichtenberger Gleisdreck und damit unser Haus direkt tangieren, zwei Nachbarhäuser wurden schon abgerissen“, sagt er. Insgesamt seien rund 15 Häuser in dem Gebiet betroffen.

Die A100 würde auch in der benachbarten Wilhelm-Guddorf-Straße direkt neben den Wohnhäusern verlaufen, um dann die Frankfurter Allee zu überqueren, wo sie über das Flachdach des Ringcenters II führen soll. Dahinter verliefe sie erneut durch Wohnviertel und den Lichtenberger Stadtpark. Verkehrsstadtrat Martin Schaefer (CDU) sieht für den Abschnitt deshalb nicht nur in Fragen des Klimaschutzes Klärungsbedarf. „Uns fehlt auch die Fantasie, wie das in Sachen Lärmschutz funktionieren soll“, sagt er. Kurz vor der geplanten Abfahrt an der Storkower Straße würde die Autobahn die Carl-von-Linné-Schule streifen. „Die Schule würde dann ihre Fenster direkt auf die Fahrbahn öffnen“, sagt Schaefer. Der CDU-Politiker ist trotz der Hürden nicht per se gegen die A100 und betont, dass der Osten eine bessere Anbindung braucht. Aber: „Ob das Projekt vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um Verkehrswende und Klimakrise das richtige Signal ist, weiß ich nicht.“

„Da wäre die Zeitersparnis am Tag sicher eine Stunde“

Für Stefan Mattes dagegen ist die Position zum Weiterbau der A100 klar. Der Inhaber der Firma BSB Saugbagger und Zweiwegetechnik steht auf dem Sandboden seines Gewerbegebietes in Friedrichsfelde-Ost und erklärt seine Sicht. Es gehe nicht um einen Disput, sondern um die besten Argumente, sagt er. Betrachte man alle Aspekte wie Ökologie, Verkehrs - und Versorgungssicherheit, könne die Schlussfolgerung nur sein, dass weitergebaut werden muss.

Mattes hat auf seinem Gelände schweres Gerät geparkt, unter anderem acht sogenannte Saugbagger. Die Maschinen können bei Bauvorhaben so vorsichtig die Erde entfernen, dass Leitungen und Baumwurzeln erhalten bleiben. Deutschlandweit ist die Technik gefragt, auch bis Australien und Kanada exportiert die Firma. Der Transport von Friedrichsfelde in die weite Welt verursacht einiges an Verkehr. „Fünf Lkw am Tag sind es bestimmt“, sagt Mattes. Für den Transport arbeitet der Firmenchef mit Spediteuren zusammen. Mit ihren Lastwagen würden die Fahrer in der Regel nach Wedding fahren und dann über die Ostseestraße auf die Autobahn, alternativ auch quer durch die Stadt und dann in Tempelhof auf die A100. Auf den Routen durch die Innenstadt sei die Unfallgefahr mit anderen Verkehrsteilnehmern größer, sagt Mattes. Die Fahrer haben ihm zufolge einen hohen Stresspegel, müssen Touren aufwendig planen und Pausen im dichten Verkehr einhalten. Mattes ist sicher, dass der Verkehr weiter zunimmt, weil sich die Menschen mehr und mehr beliefern lassen und Berlin weiterwächst.

Der Firmeninhaber ist mit seiner Meinung nicht allein. Kurzerhand hat er vor ein paar Tagen in den umliegenden Gewerbegebieten nachgefragt, welche der Firmen für den A100-Weiterbau sind. Allein die Transportunternehmen würden mehrere Hundert Lkw täglich bewegen – natürlich seien sie alle dafür, dass bis zur Storkower Straße weitergebaut wird. „Da wäre die Zeitersparnis am Tag sicher eine Stunde“, sagt Mattes und verweist darauf, dass es allein in Lichtenberg gut 20.000 Unternehmen gebe.

Experte zweifelt, ob ein Weiterbau jemals kommt

Nicht alle sind sich aber sicher, ob es, selbst bei fortgeführter Planung, zum tatsächlichen Weiterbau zur Storkower Straße kommt. Auch Thomas Richter, Professor für Straßenplanung und Straßenbetrieb an der Technischen Universität (TU) Berlin, zweifelt daran. Er hat mit Partnern seit Anfang der 1990er-Jahre ein Architekturbüro, das auch Autobahnen plant. Sein letztes Projekt war der Weiterbau der A281 in Bremen. „Wir sind damals 2004 beauftragt worden mit der Entwurfsplanung. Jetzt haben wir 2022, und ich gehe davon aus, dass dieses Jahr noch gebaut wird“, sagt er. Ähnlich lange könnte es bei der A100 dauern. Richter verweist darauf, dass die Autobahn GmbH deutschlandweit viele Projekte hat, einige davon deutlich mehr akzeptiert als in Berlin. „Von daher wird die Autobahngesellschaft das Verfahren zum Weiterbau der A100 nun zwar starten und das Planfeststellungsverfahren machen. Aber ob das erfolgreich sein wird, sei mal dahingestellt und selbst wenn, bin ich mir sicher, dass in den nächsten zehn Jahren nicht gebaut wird“, erklärt Richter.

Aber er sagt auch: Baut man nicht weiter, habe das ebenso Konsequenzen. Wie Treptow-Köpenicks Bürgermeister Igel befürchtet Richter ein Verkehrschaos vor der Spree, lässt man die A100 dort enden. „Man müsste schauen, ob gegebenenfalls eine andere Elsenbrücke nötig wäre, um den Verkehr zur anderen Spreeseite zu bringen“, so der Experte. So oder so: 2024 wird die A100 zumindest zwischenzeitlich in Treptow enden. Wie der Verkehr dann gelenkt werden soll, müssen Bund und Land noch erarbeiten.

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