Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) hat den Abschlussbericht zum autofreien Abschnitt vorgestellt. Scharfe Kritik aus Hotellerie, Gastronomie und Handelsverband
Berliner Morgenpost vom 04.05.2022 von Lea Hensen

Fußgängerzone oder gar „Piazza“: Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) hat am Montagabend offiziell den Abschlussbericht zur Umgestaltung der Friedrichstraße vorgestellt. Am Dienstag hat sie ihn veröffentlicht. Wie die Berliner Morgenpost bereits vorab berichtet hatte, soll der seit August 2020 provisorisch eingerichtete autofreie Abschnitt zwischen Französischer Straße und Leipziger Straße dauerhaft nur noch von Passanten genutzt werden. Dafür wird die Flaniermeile noch einmal umgestaltet, auch, um Aspekte zu verbessern, die von Anfang an kritisiert worden sind. „Ganz von Null anfangen möchten wir aber nicht“, betonte Jarasch.

Der Verkehrsversuch der autofreien Zone lief von August 2020, bis Oktober 2021 wurden begleitend Untersuchungen durchgeführt. Die Ergebnisse der Untersuchungen seien insgesamt positiv, sagte Jarasch. Der Fußverkehr habe sich demnach um 50 bis 60 Prozent erhöht. „Aber es gibt einen deutlichen Nachbesserungsbedarf.“ Der Radweg auf der Flaniermeile habe verhindert, dass Fußgänger diese noch besser nutzten. Sie hätten sich stattdessen hauptsächlich auf den Gehwegen bewegt.

Radverkehr soll in die parallel verlaufende Charlottenstraße

Jarasch stellte den Anrainern ein Verkehrskonzept vor, das als Grundlage für weitere Planungen dienen soll. Demnach soll der Radverkehr, der bislang über den gelb markierten Streifen in der Mitte der Straße führte, über die parallele Charlottenstraße laufen, die zur Fahrradstraße wird. „Das bedeutet nicht, dass dort keine Autos mehr fahren dürfen, aber sie sollen nur noch Gast sein“, sagte Jarasch. In der Straße soll für Radfahrende Vorrang und für Autos Tempo 30 gelten. Auch Durchgangssperren für Autos seien auf Höhe der Tauben- und Mohrenstraße denkbar. Taxistände aus der Jäger- und Mohrenstraße sollen an die Französische Straße und Markgrafenstraße verlegt werden. Die Markgrafenstraße könnte zudem zu einer Einbahnstraße werden. Der Autoverkehr wird dann großräumig über Glinka-, Mauer- und Wilhelmstraße gelenkt. Für den Busverkehr könnte es Busspuren geben.

Indem sie die Charlottenstraße zur Fahrradstraße erklärt, greift die Senatsverwaltung den größten Kritikpunkt auf. Der Autoverkehr in dem Gebiet sei durch die autofreie Zone in der Friedrichstraße zwar insgesamt weniger geworden und habe sich nicht vollständig in die Nebenstraßen verlegt, so Jarasch. In der Charlottenstraße habe er sich aber verdoppelt: „Das ist nicht verträglich.“ Eine Befragung habe ergeben, dass mehr als 70 Prozent der Passanten die Flaniermeile als gut bewerten. Mehr als 80 Prozent würden eine dauerhafte Verkehrsberuhigung begrüßen. Die meisten Befragten hätten sich gewünscht, dass der Fußgängerverkehr noch mehr betont wird.

Lösungen braucht es nun vor allem für Nachtbusse, Schienenersatz- und Zulieferungsverkehr. Jarasch kündigte an, die neuen Regelungen schnellstmöglich anzuwenden. Der Bezirk Mitte werde die Einrichtung der Fahrradstraße in der Charlottenstraße priorisieren. Derzeit läuft aber noch das sogenannte Teileinziehungsverfahren, das den Straßenabschnitt auf der Friedrichstraße für bestimmte Verkehre schließt. „Mein Wunsch ist eine Piazza, so wie man sie aus Italien kennt“, sagte Jarasch. Allerdings können Senatsverwaltung und Bezirk sämtliche Maßnahmen derzeit nur mit angezogener Handbremse umsetzen, weil der Senat die Haushaltsverhandlungen noch nicht abgeschlossen hat.

Die Flaniermeile war von Beginn an umstritten. Vor allem Händler leiden unter der autofreien Zone, weil sie die Erreichbarkeit ihrer Geschäfte einschränke. 15 Gewerbetreibende sollen ihre Läden wegen Umsatzeinbußen bereits geschlossen haben. Gerrit Buchhorn, Geschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbands Berlins, kritisierte die von der Senatsverwaltung vorgenommenen Untersuchungen als nicht repräsentativ. „Die nächsten Schritte müssen wohlüberlegt sein und nicht an den Gewerbetreibenden vorbei gehen“, sagte er.

Auch Nils Busch-Petersen, Geschäftsführer des Handelsverbandes Berlin -Brandenburg, zweifelt die Aussagekraft der Daten an, die zum Teil während des Lockdowns erhoben worden seien. Mit der Einrichtung der Charlottenstraße als Fahrradstraße werde zudem eine zentrale Zubringerstraße zu den Parkhäusern versperrt. Anja Schröder, Inhaberin des Weinladens „Planet Wein“ an der Charlottenstraße, sagte: „Ich glaube, niemand hat noch Zeit für weitere Versuche.“ Ausschließlich Fahrradfahrende durch die Charlottenstraße fahren zu lassen, sei sinnvoll, allerdings nur möglich, wenn die Friedrichstraße wenigstens als Einbahnstraße für den Lieferverkehr und für die Zufahrt zu Hotels und Parkhäusern geöffnet werde. „Warum planen wir nicht die von der Verkehrssenatorin gewünschte Piazza auf dem Gendarmenmarkt ?“, sagte Schröder.

Besucherzahlen um 33 Prozent zurückgegangen

Das Aktionsbündnis „Rettet die Friedrichstraße “, dem unter anderem der Wirtschaftskreis Mitte und die Interessengemeinschaft Gendarmenmarkt angehören, fordert den Stopp des Verkehrsversuches und ein Tourismuskonzept, das den Lieferverkehr einbezieht und zeigt, wie künftig Autos, Taxis, Touristenbusse oder öffentliche Busse ohne Stau durch die historische Mitte kommen. Mit Verweis auf eine Datenauswertung der Plattform „PlaceSense“ sieht es die Flaniermeile als gescheitert an, weil die Besucherzahlen seit Einführung um 33 Prozent zurückgegangen seien.

Die Berliner CDU fordert ein Gesamtkonzept für die historische Mitte . Oliver Friederici, verkehrspolitischer Sprecher der CDU, sagte im Hinblick auf die Ausweitung der Begrenzung des Autoverkehrs: „Es wird nicht besser, wenn Frau Jarasch einen Fehler in der Friedrichstraße mit einem Doppelfehler korrigieren will.“ Die Flaniermeile sei gescheitert.

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