Bau stößt im Zusammenhang mit anderen Vorhaben am Humboldt Forum auf Widerstand. Jetzt wankt auch der Senat
Berliner Morgenpost vom vom 07.05.2022 von Isabell Jürgens

Ein Grüppchen Interessierter hat sich am Donnerstagabend am Schloßplatz versammelt und schaut durch die Gitter eines Bauzaunes am Spreekanal, hinter dem bereits hüfthoch Wildkräuter wuchern. Die massive, steinerne Uferwand, die im gesamten Kanal unter Denkmalschutz steht, fehlt dagegen. Genau dort, erklärt ihnen Timo Herrmann von bbz Landschaftsarchitekten, sollten jetzt eigentlich die Bauarbeiten an einer Freitreppe im vollen Gange sein, auf deren Stufen die Menschen im Jahr 2024 sitzen und den Sonnenuntergang auf der Westseite des Humboldt Forums direkt am Wasser genießen können.

Doch daraus wird nichts, sagt Christian Unger von der Deutsche Stadt- und Grundstücksentwicklungsgesellschaft (DSK), die im Auftrag des Landes als Projektentwicklerin fungiert: „Die Treppe ist komplett aus sämtlichen Terminen herausgefallen.“

Um zu erklären, warum das so ist, müssen Herrmann und Unger weit ausholen. Ende 2019 hatte der Senat mit der Ausweisung des Stadtumbaugebiets „Umfeld Spreekanal“ den Bau einer Freitreppe zum Kanal im Bereich des Humboldt Forums beschlossen, um so einen attraktiven öffentlichen Aufenthaltsraum am Wasser zu schaffen. Gefördert wird der Bau vom Bund mit 3,78 Millionen Euro, Berlin übernimmt 3,48 Millionen Euro.

Die 38 Meter breite Treppe als Teil des größeren Schloßplatzes, der ebenfalls nach dem Entwurf des Büros bbz Landschaftsarchitekten gestaltet wird, soll direkt neben dem im Bau befindlichen Einheitsdenkmal liegen. Und genau deshalb hatte es von Anfang an Ärger um das Projekt gegeben.

Denn das Vorhaben stößt bei den Initiatoren des Berliner Freiheits- und Einheitsdenkmals und ehemaligen Bürgerrechtlern auf Widerstand. Unter anderem der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD), der DDR-Bürgerrechtler Günter Nooke (CDU) sowie der Autor und Regisseur Günter Jeschonnek sahen darin eine „ bauliche Verachtung des Denkmals, das an das glücklichste Ereignis der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert erinnert“, wie sie 2021 in einem offenen Brief darlegten. Zudem haben die Architekten des Einheitsdenkmals vom Büro Milla & Partner gegen die Treppenanlage und zwei Fahrradabstellplätze vor dem Verwaltungsgericht geklagt, weil sie die Würde des im Bau befindlichen Denkmals als „unzumutbar verletzt“ ansehen. Die Entscheidung des Gerichts steht noch aus.

Für Jan Edler, Vorsitzender des Vereins Flussbad Berlin, der den Ortstermin organisiert hat, ist klar, dass es bei der ablehnenden Haltung um viel mehr als die Treppe geht: „Eigentlich sind wir gemeint, es geht darum, dass Flussbad zu verhindern, weil das als störend empfunden wird.“ Dabei, so Edler weiter, sei die Treppe gar nicht als Badeeinstieg in den Kanal geplant. Tatsächlich endet sie auf Wunsch des Landes Berlin 70 Zentimeter über dem Wasserspiegel, bestätigt Architekt Herrmann. Wie auch auf der Ostseite des Humboldt Forums werde also lediglich das Ufer zugänglich gemacht.

Einen weiteren Befürworter der Freitreppe hat Jan Edler am Donnerstagabend auch noch eingeladen. Hans-Dieter Hegner, Bauvorstand der Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss – und damit sozusagen der Schlossherr auf dem Schloßplatz – versichert, er würde sich wünschen, dass die Treppe „so schnell wie möglich“ kommt. So wie jetzt, mit dem fehlenden Stück Uferwand, könne es jedenfalls nicht bleiben.

Kosten haben sich um 400 Prozent erhöht

Warum das Land Berlin sich von seinem einstigen Wunschprojekt nun zunehmend distanziert, hat nicht zuletzt mit den Kosten zu tun. Diese hätten sich, teilte Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) im März dieses Jahres den geschockten Mitgliedern des Stadtentwicklungsausschusses im Abgeordnetenhaus mit, von 1,5 Millionen Euro, die 2015 beziffert wurden, bis Oktober 2021 auf 7,2 Millionen – beziehungsweise um 400 Prozent – erhöht.

Doch dabei werde es nicht bleiben, sagte Geisel weiter. Weil die erforderlichen Genehmigungen zum Bau der Freitreppe immer noch nicht vorliegen, werde es noch deutlich teurer. Seine Behörde rechne mittlerweile mit einem niedrigen zweistelligen Millionenbetrag.

Und nicht nur um diese Summe geht der Streit. Ungeklärt ist auch noch, wer die Freitreppe und den dazugehörigen Aufzug nach Fertigstellung unterhalten soll. Obwohl die Planungen längst fertig sind, liegen für die Freitreppe bislang weder die erforderlichen Genehmigungen aus dem Hause der Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) noch des Bezirks Mitte vor. „Es gibt also noch viele offene Fragen, die einer Realisierung der Freitreppe im Wege stehen“, sagt Geisels Sprecher Martin Pallgen auf Nachfrage der Berliner Morgenpost.

Das führe in der Summe zu weiteren Verzögerungen und damit zu weiter steigenden Kosten. Im Haushaltsentwurf 22/23 seien zwar entsprechende Mittel eingeplant. „Allerdings muss man angesichts der ausstehenden Genehmigungen, der Realisierungshürden und stetig steigender Baukosten die Frage nach der Sinnhaftigkeit solcher Projekte stellen“, stellt der Sprecher der zuständigen Senatsbehörde das Projekt nun ganz offen infrage.

Bei Projektentwickler Christian Unger sorgt sowohl die Kostenberechnung, die er für überzogen hält, als auch die drohende Absage an das Bauvorhaben durch das Land Berlin für Kopfschütteln: „Wenn das passiert, wird der Bund die Fördermittel von 3,78 Millionen Euro streichen“, gibt Unger zu bedenken. Zudem müsse Berlin die abgetragene Kanalwand wieder aufbauen: „Am Ende wird das genauso teuer, wenn nicht sogar teurer als die Freitreppe“, so die Prognose des Projektentwicklers.

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