Eine der beiden Varianten zur Entwicklung des Molkenmarktes könnte deutlich teuer werden. Die Stadtentwicklungsverwaltung vermeidet eine Positionierung zu den Baukosten
Tagesspiegel vom 31.05.2022 von Teresa Roelcke

Das neue Quartier am Molkenmarkt soll günstigen Wohnraum schaffen im Herzen der Stadt – so stand es im Sommer 2021 in der Auslobung des städtebaulichen Wettbewerbs. Trotzdem will die Stadtentwicklungsverwaltung nicht ausschließen, sich für den wohl deutlich teureren der beiden aktuell noch im Rennen befindlichen Entwürfe zu entscheiden. Das geht aus der Antwort der Stadtentwicklungsverwaltung auf eine schriftliche Anfrage der Linken-Abgeordneten Katalin Gennburg hervor. Ob dann tatsächlich die „breiten Bevölkerungsschichten“, die die Auslobung vorsieht, am Molkenmarkt wohnen werden, könnte durch hohe Baukosten infrage stehen.

Knackpunkt in der Antwort der Senatsverwaltung ist, dass sie sich auf die Komplexität der Entwicklung „städtebaulicher Gesamtlösungen“ beruft, während die handfesten Finanzierungsfragen anscheinend auf die Zeit nach der Juryentscheidung für einen der beiden Entwürfe im Juli verschoben werden sollen. „Anforderungen an kostensparende Bauweisen “ würden erst für die kommenden Architektur- und Freiraumwettbewerbe „differenziert festgelegt“, so die Stadtentwicklungsverwaltung . Dann werde es auch einen „präzise vorzugebenden Kosten- und Finanzierungsrahmen“ geben.

Diese Aussagen der Senatsverwaltung sind insofern heikel, als die Ausschreibung des städtebaulichen Wettbewerbs ein Konzept fordert, mit dem kostensparend und flächeneffizient gebaut werden kann. Konkret heißt das: „Die Gebäudeerschließung soll barrierefrei mit möglichst wenigen Treppenhauskernen erfolgen.“ Denn Treppenhäuser schlucken Raum, der auch zu Wohnraum werden könnte, und sie sind teuer im Bau.

Aber genau im Punkt der Treppenhäuser unterscheiden sich die beiden Entwürfe, die noch im aktuellen Verfahren sind, grundlegend: Das Team von OS arkitekter/cka will große Bereiche über wenige Treppenhäuser erschließen, die es ermöglichen, die Grundrisse drumherum bei Bedarf flexibel umzugestalten. Das Team um Silvia Malcovati und den jüngst verstorbenen Bernd Albers sieht hingegen auch sehr schmale Häuser vor, bei denen teilweise nur zwei Wohnungen pro Etage von je einem Treppenhaus erreichbar sind. Die vielen Treppenhäuser würden diesen Entwurf daher wohl deutlich teurer machen.

Auch wenn die konkrete Architektur also erst in späteren Wettbewerben zur Debatte steht: Eine Vorentscheidung darüber, wie effizient die Flächen genutzt werden und wie viele Treppenhäuser es geben soll, fällt bereits jetzt, im städtebaulichen Verfahren, und kann nicht, wie die Senatsverwaltung in ihrer Antwort suggeriert, einfach auf später vertagt werden.

Bei einem Zwischenkolloquium im April wies auch Christoph Beck, Geschäftsführer der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Degewo, die einen Teil des Quartiers entwickeln soll, auf die Schwierigkeiten hin, die sich aus der Vielzahl der Treppenhäuser im Entwurf von Albers/Malcovati ergebe. Er sehe ein „Problem wegen der Wirtschaftlichkeit und dem Flächenverlust, der durch die vielen Erschließungskerne entsteht“.

Ob die Senatsverwaltung dieses Problem auch sieht, möchte sie nicht klar beantworten: Es handele sich beim „aktuellen Entwurf des Teams Albers/Malcovati um einen Zwischenstand innerhalb eines laufenden Planungsverfahrens.“

Katalin Gennburg, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linken, wittert ein taktisches Manöver: „Ich fürchte, dass die Senatsverwaltung versucht, die Frage nach den Kosten aus dem Werkstattverfahren herauszuhalten – und die Jury sich dann für den weit teureren Entwurf des Teams von Silvia Malcovati entscheidet, die der Linie von Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt nahesteht.“ Falls dies geschehen sollte, bezweifelt Gennburg, „dass am Molkenmarkt tatsächlich der angekündigte bezahlbare Wohnraum entsteht“.

Sollte die Entscheidung tatsächlich zugunsten des Entwurfs von Albers/Malcovati fallen, käme wohl ein beträchtliches Kostenproblem auf die Bauherrinnen zu – denn mit WBM und Degewo sind es zwei landeseigene Unternehmen, die das Quartier am Molkenmarkt entwickeln sollen. Folglich sind sie an den Budgetrahmen der Landeseigenen gebunden.

Die Senatsverwaltung scheint daher bereits zu überlegen, wie sich höhere Baukosten finanzieren ließen: In der Antwort auf Gennburgs Anfrage ist von Förderprogrammen die Rede, die eventuell einen „Ausgleich zwischen hohen Qualitätsanforderungen und dem für kostengünstigen Wohnungsbau gesetzten Finanzierungsrahmen“ ermöglichen könnten.

Gennburg fürchtet, dass am Molkenmarkt darüberhinaus praktiziert werden könnte, was der Chef der Gesobau im April ins Gespräch gebracht hatte: dass die landeseigenen Wohnungen verkaufen könnten, um Mietwohnungen querzufinanzieren. Diese Option, dass „Eigentumswohnungen auf landeseigenen Flächen zur Refinanzierung der ausufernden Kosten gefordert werden“, fände sie allerdings inakzeptabel, so Gennburg.

Ausgeschlossen ist es trotzdem nicht: Auf Tagesspiegel-Anfrage gibt die Senatsverwaltung zwar an, dass es im Einbringungsvertrag mit der WBM nicht vorgesehen sei, Teile der von der WBM entwickelten Objekte anschließend durch Erbpachtverträge zu vergeben (ein Einbringungsvertrag mit der Degewo wurde weiterhin nicht geschlossen).

Ganz so klar klingt die Antwort aber nicht, wenn man danach fragt, ob eine Umwandlung in Eigentumswohnungen vertraglich möglich sei. Hier verweist sie lediglich darauf, dass der Einbringungsvertrag „auf der Anwendung der Kooperationsvereinbarung zwischen dem Land Berlin und den städtischen Wohnbaugesellschaften“ und deren Ergänzungsvereinbarungen basiere.

Hält die Verwaltung auf dieser Basis eine Umwandlung in Eigentumswohnungen für möglich? „Die Variante einer Querfinanzierung für den Sozialen Wohnungsbau ist nach Notwendigkeit und Möglichkeit zu prüfen, genauso wie andere Vorschläge zur Begegnung der Baukosten - und Grundstückswertesteigerungen auch. Dies ist noch nicht erfolgt.“

Noch nicht erfolgt ist auch die Entscheidung über Baukosten, Bezahlbarkeit und Sozialverträglichkeit der Wohnungen am künftigen Molkenmarkt. Aber sie fällt wohl in den nächsten Wochen.

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