Zwischen Pariser Platz und Schloss haben viele große Architekten ihre Spuren hinterlassen. Guter Ausgangspunkt für eine Erkundung ist das Untergeschoss der Akademie der Künste.
Tagesspiegel vom 02.06.2022 von Udo Badelt

Feuchtfröhlich muss es zugegangen sein in diesem Kohlenkeller. Zumindest hat Regisseur B. K. Tragelehn später erzählt: „Ich war so besoffen, ich erinnere mich nicht mehr daran“. Daran – das waren zwei Faschingsabende in den Jahren 1957 und 1958, ausgerichtet von Studenten der Ost- Berliner Akademie der Künste. Erhalten geblieben sind uns von diesen Partys faszinierende Wandzeichnungen: Gläser, Flaschen, ein röhrender Hirsch, Akte im Stil von Picasso, gemalt von Werner Böttcher – und ein eingeritzter Spruch: „Stötzer ist eine Sau“. Bildhauer Werner Stötzer war in den 1990er Jahren selbst Vizepräsident der Akademie. Es waren wahrlich keine unbedeutenden Künstler, die sich hier verewigt haben.

Die Vergangenheit grüßt in frischen Farben

Heute diesen Keller zu besichtigen, fühlt sich ein bisschen an, als würde man durch die Höhle von Altamira oder durch die Vatikanische Nekropole unterm Petersdom wandeln. Der Ort strahlt etwas aus, Vergangenheit grüßt die Gegenwart in teils erstaunlich frischen Farben. „Das liegt am Kohlenstaub, der diese Bilder bedeckt und konserviert hat“, erklärt Carolin Schönemann, Sekretär der Sektion Baukunst, die durch den Keller führt. Sie besteht auf der männlichen Form des historischen Titels, den schon Theodor Fontane getragen hat. Generell ist die Berliner Akademie der Künste ein recht guter Ort, um sich der Architekturgeschichte des Boulevards Unter den Linden zu nähern, die immer auch mit den Bildenden Künsten verschränkt war. Auch wenn die Akademie selbst streng genommen nicht am Boulevard steht, sondern am Pariser Platz 4.

Das gläserne Haus hat eine komplexe Baugeschichte, geht im Kern auf ein Palais von 1735 zurück, das Ernst von Ihne (der auch die Staatsbibliothek weiter östlich entworfen hat) 1907 für die Akademie umbaute. In den 1930er Jahren musste diese schon wieder ausziehen, um Platz für einen Nazi-Architekten zu machen: Albert Speer nahm weitere Anbauten vor und entwarf als Generalinspektor im Auftrag seines Führers hier die Reichshauptstadt Germania. Praktischerweise musste der Chef, selbst verhinderter Architekt, von der Neuen Reichskanzlei nur einen kurzen Fußweg durch die Ministergärten zurücklegen, wollte er die Pläne begutachten.

"Vorne saßen die Grenzer, hinten die Kunststudenten"

Der Krieg ließ vom Vorderhaus wenig übrig, immerhin war eine Abfolge von Ausstellungssälen erhalten – die einzige historische Bausubstanz in Nachbarschaft zum Brandenburger Tor. Bis zum Mauerbau und sogar danach fand auch Kunstbetrieb statt, denn die Akademie besaß hier weiterhin eine Außenstelle. „Vorne hatten sich DDR-Grenzer eingerichtet, hinten die Studenten, zu denen immer hübsche Modelle kamen.“ Das soll Achim, der Heizer, erzählt haben, der 2018 starb. Carolin Schönemann kannte ihn noch persönlich.

Nach der Wiedervereinigung von Ost- und West-Akademie 1993 erhielt Günter Behnisch, der Architekt des Münchner Olympiastadions, den Zuschlag für einen Neubau. Er wollte komplett mit dem „preußischen“ rechten Winkel brechen, eine von Dekonstruktion geprägte Inneneinrichtung schaffen sowie ein lichtdurchflutetes Gehäuse, quasi eine Ummantelung der historischen Bauteile, die weiterhin sichtbar sein sollten. Das stieß auf den Widerstand von Senatsbaudirektor Hans Stimmann, denn der Pariser Platz sollte von Steinfassaden geprägt sein – eine Gestaltungssatzung, die sogar Frank Gehry respektierte, der mit der DG Bank das schönste Haus am Platz entworfen hat. Der 2005 schließlich doch eröffnete Akademieneubau von Behnisch hingegen wirkt heute als Fremdkörper, ein schwarzes Loch am Platz, denn Glas ist nun mal nicht transparent, sondern schlicht dunkel. Nur die Hälfte der Zeit, nämlich bei Nacht, kann man erahnen, was Behnisch – der übrigens am 12. Juni 100 Jahre alt geworden wäre – im Sinn hatte: dann, wenn das Innere hell erleuchtet ist.

Dennoch reiht sich die Akademie, wenn auch eher negativ, ein in die Kette bemerkenswerter Architektur entlang der Achse Unter den Linden. Sie wird im weitesten Sinne gerahmt von zwei Werken von Carl Gotthard Langhans: im Westen das Brandenburger Tor, im Osten den Turmaufsatz der Marienkirche. Flaniert man den Boulevard entlang und macht einen Abstecher in eine Querstraße, steht man vor dem Haus, in dem Johann Gottfried Schadow gewohnt hat, kein Architekt, aber ein Bildhauer und Schöpfer der Quadriga; das Haus wird heute vom Deutschen Bundestag genutzt.

An der Kreuzung mit der Friedrichstraße hat nur ein – für Berliner Verhältnisse – historischer Bau den Krieg überstanden: das Haus der Schweiz, 1934- 1936 von dem Appenzeller Architekten Ernst Meier im Nazi-gefälligen Stil errichtet. Direkt davor: Der vom Berliner Büro Hentschel/Oestreich entworfene neue U-Bahnhof Unter den Linden. Ihm musste eine lange Reihe Bäume weichen, noch immer klafft eine schmerzhafte Lücke in der Vegetation, in diesem Bereich wird „Unter den Linden “ seinem Namen nicht gerecht. Nach Neupflanzungen sieht es derzeit nicht aus, doch laut Bezirksamt Mitte sind sie geplant – zusammen mit einer völligen Neuaufteilung des Straßenraums, mehr Grün, entsiegelte Flächen.

Vorbei an der Staatsoper – nach Plänen von Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff errichtet, in den 1950er Jahren von Richard Paulick neu aufgebaut, ab 2009 von HG Merz restauriert – gelangt man schließlich in jenen Bereich am Ende des Boulevards, der das Herz der Freunde Karl Friedrich Schinkels höher schlagen lässt. Dort stehen Altes Museum und Friedrichswerdersche Kirche – und hoffentlich demnächst wieder die Bauakademie. Schinkel war auch Maler, Grafiker, Bühnenbildner, und die lange quasi natürlich vorhandene enge Bindung von Architektur und Kunst hat wohl keiner so sehr verkörpert wie er.

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