Aktionsbündnis, Dehoga und Handelsverband wollen Teilschließung der Friedrichstraße stoppen
Morenpost vom 24.06.2022 von Julian Würzer

Berlin Der Verkehrsversuch auf der Friedrichstraße ist weiterhin umstritten. Während die grüne Senatsverkehrsverwaltung und der grün geführte Bezirk Mitte seit mehr als zwei Jahren eine dauerhafte „Flaniermeile“ ohne Autos auf dem rund 500 Meter langen Abschnitt forcieren, reißt die Kritik bei den Gewerbetreibenden aus der Friedrichstraße und den umliegenden Straßen nicht ab.

Aktionsbündnis äußert erhebliche Bedenken
Nun geht der Streit in eine neue Runde. Bis zum vergangenen Freitag konnte man Einspruch gegen die Teileinziehung der Friedrichstraße, also das Schließen des Straßenabschnitts für bestimmte Verkehre und damit indirekt auch gegen die von der Senatsverkehrsverwaltung vorgelegte Umgestaltung einreichen. Dem Bezirksamt Mitte zufolge sind bisher sieben Rückmeldungen zu der beabsichtigten Teileinziehung eingegangen, Einspruch gegen das Vorhaben kam etwa vom Aktionsbündnis „Rettet die Friedrichstraße !“ . Auch der Berliner Gaststättenverband Dehoga und der Handelsverband Berlin -Brandenburg haben eine Stellungnahme abgegeben, die der Berliner Morgenpost exklusiv vorliegt. Die Interessensverbände haben den Gewerbetreibenden zudem juristische Unterstützung zugesichert.

Anja Schröder, Inhaberin des Weinladens „Planet Wein“ an der Charlottenstraße, kritisiert seit einiger Zeit die Zunahme des Verkehrs auf der Charlottenstraße als Ergebnis des Verkehrsversuchs . Deshalb hat sie sich mit anderen Händlerinnen und Händlern sowie Interessensvertretungen zum Aktionsbündnis „Rettet die Friedrichstraße !“ zusammengeschlossen. Im Gespräch erzählt sie, dass sie erst eine Woche vor Ablauf der Widerspruchsfrist durch einen Tipp aus der Politik davon erfahren habe. Man habe schon gezielt nach der Bekanntmachung des Teileinziehungsverfahrens im Amtsblatt vom 20. Mai 2022 suchen müssen. In wenigen Tagen hätte das Bündnis einen mehrseitigen Einspruch zusammengetragen.

Darin äußert es „erhebliche“ Bedenken und fordert eine Lösung, die auch die Interessen der Anlieger berücksichtige. „Der aktuell rechtswidrige Zustand des gescheiterten Verkehrsversuchs, Flaniermeile Friedrichstraße ’ muss daher beendet und gemeinsam mit allen Betroffenen ein tragfähiges und vor allem rechtssicheres Verkehrskonzept gefunden werden“, heißt es in der entsprechenden Mitteilung, die das Aktionsbündnis am Mittwoch veröffentlichte.

Die Anrainer seien zwar bereit, den mit dem Berliner Senat begonnenen Dialog der vergangenen Monate fortzuführen. Allerdings sei keine Zeit für weitere „Schnellschüsse“ ohne Berücksichtigung der Menschen vor Ort. Zudem fordere man ein Gesamtkonzept, das neben der Friedrichstraße eben auch den Boulevard Unter den Linden und den Gendarmenmarkt miteinbeziehe. „Wenn wir den Einspruch nicht eingelegt hätten, fährt womöglich nie wieder ein Auto auf der Friedrichstraße “, sagt Schröder.

Verkehrssenatorin Jarasch will eine „Piazza“ auf der Friedrichstraße
Anfang Mai hatte Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) die Pläne zur Neugestaltung und den Abschlussbericht der Friedrichstraße vorgestellt. Damals sagte sie, dass der Abschnitt zwischen Leipziger und Französischer Straße bald einer italienischen „Piazza“ gleichen soll.

Ein Grund für die Neugestaltungen waren die Ergebnisse von Untersuchungen während des Experiments, die laut Jarasch größtenteils positiv ausgefallen seien. Etwa hätten Messungen gezeigt, dass die Luftschadstoffbelastung abgenommen und sich die Anzahl der Passanten während des Sommers 2021 im Vergleich der Zeit vor dem Beginn des Versuchs im August 2020 um 50 bis 60 Prozent erhöht habe.

Doch an diesen Zahlen üben der Handelsverband Berlin -Brandenburg und die Dehoga Berlin in ihrer Stellungnahme massive Kritik. In dem mehrseitigen Dokument, das von Dehoga-Chef Thomas Lengfelder und Handelsverbandschef Nils Busch-Petersen unterzeichnet ist, ist von „mangelnder und ungeeigneter Datenlage“ die Rede. Die Steigerung würde ein verzerrtes Bild zeichnen. Um es aus ihrer Sicht zu korrigieren, schreiben die Geschäftsführer, dass etwa im August 2020 überdurchschnittlich viele Menschen im Homeoffice gewesen seien, zudem seien wegen der Pandemie auch deutlich weniger Touristen in der Stadt gewesen.

Dafür führen sie Zahlen des Amts für Statistik Berlin -Brandenburg an. Waren es im August nur rund 1,6 Millionen Übernachtungen, sind im Vor-Pandemiejahr im selben Zeitraum noch mehr als 3,3 Millionen Übernachtungen gezählt worden. Ein Frequenzzuwachs im Jahr 2021 sei im Vergleich zum August 2020 deshalb schon zu erwarten, weil die Corona-Maßnahmen deutlich mehr zuließen.

Ferner verweisen sie auf eine Auswertung des Einzelhandelsexperten Comfort, der ein anderes Bild als das im Abschlussbericht dargestellte zeichnet. „Hier wird im Oktober 2021 gemeldet, dass Höchstfrequenz pro Stunde hier nur noch bei etwas über 3000 Passanten gegenüber fast 5000 Passanten im langjährigen Mittel liegt“, heißt es in der Stellungnahme. Ferner schreiben sie, dass rund ein Drittel der Gewerbetreibenden mit Anlieferungen Probleme hätten und die Verlagerung des Verkehrs eine deutliche Belastung für die Charlottenstraße darstelle .

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