Mehrere Straßen im Stadtgebiet stehen vor einer Umgestaltung. Das sorgt mancherorts für Diskussionen
Morgenpost vom 26.06.2022 von Jessica Hannack und Lea Hensen

Berlins Straßen stehen vor Veränderungen. Tausende Kilometer neuer Radwege – so sieht es der Berliner Radverkehrsplan vor – sollen bis 2030 entstehen, dazu kommen gut Hundert Kilometer an Radschnellwegen, die sich quer durch die Stadt ziehen. Zudem hat sich die rot-grün-rote Koalition vorgenommen, Busse durch mehr eigene Spuren zu beschleunigen, neue Straßenbahnstrecken zu bauen und die Trams möglichst auf eigenen Trassen zu führen. Auch der Wirtschaftsverkehr soll neue Lieferzonen erhalten, dafür wird sich absehbar der Parkraum entlang von Straßen reduzieren und Platz machen für eine andere Nutzung, beispielsweise auch durch Sitzmöbel wie Parklets.

Das Konfliktpotenzial ist, angesichts der begrenzten Fläche und der vielen Verkehrsteilnehmer , die alle ihren Raum einfordern, groß. Und so gibt es nicht nur Streit um die Umgestaltung der Kantstraße. Auch an anderen Orten in Berlin wird darüber gestritten, wie Straßen künftig aussehen sollen und wie der öffentliche Raum gegliedert wird. Eine Auswahl an Straßen, die erneuert werden sollen und für Diskussionen sorgen:

Friedrichstraße : Die Gestaltung weniger Orte spaltet die Berlinerinnen und Berliner so sehr, wie die der Friedrichstraße in ihrem autofreien Abschnitt mit dem mittigen, gelb markierten Radweg. Seit der Einführung des Verkehrsversuchs , offiziell unter dem Namen „Flaniermeile“, gibt es Proteste dagegen. Gewerbetreibende berichteten von wegbleibenden Kunden und Staus in Nebenstraßen. Verkehrsverwaltung und der Bezirk Mitte, beide grün-geführt, verwiesen dagegen auf Befragungen von Passanten, die die Sperrung für den Autoverkehr mehrheitlich begrüßten.

Und so wurde entschieden: Die Sperrung für den Kfz- Verkehr bleibt dauerhaft bestehen, ein notwendiges Teileinziehungsverfahren dafür läuft. Ist das Verfahren abgeschlossen, soll die Gestaltung der Friedrichstraße überarbeitet und der Abschnitt zur reinen Fußgängerzone werden. Der Radverkehr soll künftig nicht mehr durch die Friedrichstraße verlaufen, sondern über die Charlottenstraße geführt werden. Zufrieden sind viele Anlieger damit nicht, sie fordern ein weiträumigeres Verkehrskonzept für Mitte. Der Streit geht weiter: Das Aktionsbündnis „Rettet die Friedrichstraße “ hat Einspruch gegen die Teileinziehung eingelegt.

Schönhauser Allee: Sieben Jahre wurde am Umbau der Schönhauser Allee geplant, bis im vergangenen April schließlich das finale Vorhaben präsentiert wurde. 150 Parkplätze entfallen demnach insgesamt auf beiden Fahrbahnseiten im Bereich zwischen den U-Bahnhöfen Eberswalder Straße und Schönhauser Allee ersatzlos zugunsten von 2,50 Meter breiten Radwegen. Auf einer Fahrspur sind weit ausgedehnte Lieferzonen angedacht, zu bestimmten Tageszeiten sind Autos und Straßenbahnen damit gemeinsam auf einer einzigen, zweiten Fahrspur unterwegs. Der Fahrgastverband Igeb befürchtet deshalb, dass Trams künftig vermehrt im Stau stehen, zudem wird kritisiert, dass Fußgänger die neuen Radwege – zusätzlich zu den Fahrspuren – überqueren müssen, um zur Haltestelle zu gelangen.

Torstraße: Ab Anfang 2024 ist auch der Umbau eines ersten Abschnitts der Torstraße vorgesehen, wo den jetzigen Planungen zufolge ebenfalls Parkplätze entfallen werden. „Die Straßenaufteilung der Torstraße wird zukünftig zugunsten der Radfahrenden erfolgen: Die Gehwege werden in ihrer Breite erhalten, der Raum für den ruhenden Verkehr wird reduziert, um den erforderlichen Platz für Radverkehrsanlagen zu schaffen und die Aufenthaltsqualität zu steigern“, heißt es von der Senatsmobilitätsverwaltung. Bislang gibt es entlang der Straße keine Radwege. Dafür wird die Zahl der Fahrspuren für Autos pro Richtung von zwei auf eine reduziert. Auf der Nordseite kommt eine 2,50 Meter breite Liefer- und Ladezone hinzu.

In einer Online-Bürgerbeteiligung im Frühjahr sorgte vor allem der Verlust der Parkplätze für Kritik. Die Antwort: „Ein Erhalt der bestehenden Parkplätze entspricht unter Abwägung aller Interessen der Betroffenen nicht den verkehrspolitischen Zielen Berlins .“ Stattdessen wolle man bei der Verteilung des Raums gleichermaßen auch Fußgänger und Radfahrer berücksichtigen. Kritisch sieht es aber auch der ADAC, dass berlinweit Parkplätze verschwinden sollen. „Fakt ist, dass wir auch auf lange Sicht keine Reduktion des Parkbedürfnisses haben werden“, sagt Edgar Terlinden, verkehrspolitischer Sprecher des ADAC Berlin -Brandenburg, der dabei auf die Zulassungszahlen von Pkw in Berlin verweist: Sie waren zuletzt auf gut 1,2 Millionen gestiegen, auch durch zunehmende Neuzulassungen bei alternativen Antrieben. Die Gefahr, so Terlinden, ist damit auch, dass es durch Parkplatzsuchende und Ausweichverkehr zu höheren Belastungen in Nebenstraßen kommt. „Nebenstraßenverkehr birgt aber ein immens hohes Unfallrisiko“, sagt er.

Dörpfeldstraße: Rund ein Jahrzehnt lang stritten die Adlershofer über den Umbau der Dörpfeldstraße. Die BVG plant dort ab 2025 den zweigleisigen Ausbau der Tram, der Bezirk Treptow-Köpenick wollte die Gelegenheit nutzen, um die Hauptstraße im Berliner Südosten zu einer attraktiven Geschäftsstraße mit breiteren Bürgersteigen zu machen. Auf einer Straße, die an ihrer schmalsten Stelle nur 15 Meter breit ist, und auf der sich alle Verkehrsteilnehmer eine Fahrbahn teilen, ein Problem. Aufbauend auf einem Gutachten eines Verkehrsexperten der Universität Wuppertal wurde schließlich ein Kompromiss gefunden: Autos und Lieferverkehr dürfen in Zukunft nicht mehr in der Straße halten. Als Ausgleich sollen in den Querstraßen Ladezonen und Kurzzeitparkplätze entstehen. Radfahrer bekommen einen beidseitigen, 1,50 Meter breiten Schutzstreifen, der von der Fahrbahn durch eine gestrichelte Linie getrennt ist. Und siehe da: Als der Kompromissvorschlag in einer Online-Veranstaltung vorgestellt wurde, stimmten ihm fast 90 Prozent der Teilnehmer zu.

Handjerystraße: Streit gibt es auch in Tempelhof-Schöneberg, wo die Handjerystraße zur Fahrradstraße werden soll . Während der Bezirk Radfahrern damit Vorrang einräumen will, haben Anwohner Protest gegen die Planung eingelegt. 1200 Unterschriften hat eine Bürgergruppe in dieser Woche an das Bezirksamt übergeben. Die Mitglieder befürchten eine Raser-Strecke für Radfahrer, sodass vor allem Kinder gefährdet sein könnten. Um das Vorhaben zu stoppen, gibt es laut Bezirk aber keinen Spielraum: Die Anordnungsphase für die Fahrradstraße läuft. Eine Umplanung zum jetzigen Zeitpunkt sei damit fachlich nicht möglich, hieß es.

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