Jan Eder, Hauptgeschäftsführer der IHK, plädiert für A100-Weiterbau – das würde die Innenstadt schonen
Tagesspiegel vom 25.07.2022 von Jan Eder

Mit der Ankündigung des Bundesverkehrsministeriums, die Planungen für den Weiterbau der A100 vorantreiben zu wollen, ist die Autobahn wieder im Zentrum der politischen Debatte der Hauptstadt angekommen. Umwelt- und Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) bezeichnete die Pläne als „Verkehrspolitik von vorgestern“. Das klingt zunächst nachvollziehbar – schließlich ist die Reduktion des Autoverkehrs erklärtes Ziel der Berliner Politik und für das Erreichen der Berliner Klimaziele ein wichtiger Baustein. Ist es also zeitgemäß, eine Autobahn durch Berlin zu bauen? Wie so oft liegen die Gründe für die Antwort im Detail – und blickt man tiefer in den Sachverhalt hinein, stellt man fest: Ja, Verkehrswende und Autobahnbau in Berlin, das kann tatsächlich zusammenpassen. Wie ist das möglich?

Naturgemäß richtet sich der Blick einer Industrie- und Handelskammer bei der Frage leistungsfähiger Verkehrsachsen vor allem auf den Wirtschaftsverkehr. Vorab: Natürlich sind auch in dieser Frage nicht alle Unternehmen in Berlin einer Meinung. Auch in der IHKVollversammlung, dem demokratisch gewählten Parlament der Berliner Wirtschaft, gibt es Stimmen pro und contra Weiterbau. Dass mehr Straßen auch mehr Straßenverkehr bewirken, ist dabei genauso ein Argument wie die Notwendigkeit von Straßenverkehr als Grundlage für sehr viele Geschäftsmodelle.

Im Alltag macht sich kaum jemand Gedanken darüber, wie all die notwendigen Dinge an ihren Platz kommen, aber ohne Straßenverkehr gäbe es leere Regale, kaputte Gebäude, verwilderte Parks, keine Pakete, keine Rettungswagen und übervolle Mülltonnen. Halten wir also fest, dass der Wirtschaftsverkehr auch in der mobilen Stadt von morgen verlässlich fließen muss. Aber braucht es dafür eine Verlängerung der Autobahn bis zur Frankfurter Allee? Und wie passt das mit der Verkehrswende zusammen?

Grundsätzlich gilt: Der Anschluss Lichtenbergs an die Stadtautobahn ist seit der Wiedervereinigung ein wichtiger Teil der Berliner Verkehrsentwicklungsplanung. Das bedeutet auch, dass alle Maßnahmen der letzten drei Jahrzehnte auf dieser Grundlage entschieden wurden. Dazu gehören Straßenrückbauten im Zentrum, wie der schmale Abschnitt der Leipziger Straße, die Invalidenstraße oder der Molkenmarkt am Roten Rathaus. Und auch im aktuellen Stadtentwicklungsplan Mobilität und Verkehr ist das Autobahnstück wieder enthalten. Dieser wurde erst im vergangenen Jahr von allen Koalitionsparteien beschlossen.

Auf dieser Basis werden nun im Zentrum deutlich schmalere Straßenbrücken und eine autofreie Allee Unter den Linden geplant. Zudem werden in diesem Jahrzehnt alle Berliner Hauptverkehrsstraßen breite Radstreifen erhalten. Dazu kommen viele neue Busspuren, lange Grünphasen für die Fußgänger, klimafreundliche Entsiegelung und vieles mehr. Die wesentliche Verkehrsberuhigung in der Innenstadt ist richtig und das Ziel, Verkehr vom Auto auf das Fahrrad zu verlagern, ist eine klimapolitische Notwendigkeit. Aber ohne die Stadtautobahn als Grundlage ist eine Verkehrsberuhigung nicht realistisch. Sie dient eben nicht für unnötigen Mehrverkehr, sondern der Verlagerung von unverzichtbarem Straßenverkehr auf eine Trasse.

Aus einer Metropole wie Berlin ist der Straßenverkehr schlicht nicht wegzudenken. Und wachsende Bevölkerung bedeutet genau wie wachsende Wirtschaft tendenziell mehr Verkehrsaufkommen. Es muss also darum gehen, den notwendigen Straßenverkehr möglichst effizient und sicher zu organisieren. Und es ist eben nicht effizient, wenn sich Lieferanten, Handwerker, Dienstleister, Baufahrzeuge oder Müllautos durch die City quälen oder um das Ostkreuz stauen.

Die westlichen Bezirke profitieren täglich von der Entlastung durch die Stadtautobahn, wo bis zu 200 000 Fahrzeuge am Tag unterwegs sind. Paris und London verfügen über geschlossene Autobahnringe, die den Verkehr der Innenstädte dauerhaft beruhigen. Aber in den östlichen Berliner Stadtbezirken fehlt das noch immer. Hier führen quasi alle Wege zum Alexanderplatz. Kein Wunder also, dass es dort immer enger wird. Auch deshalb können die Potenziale der Gewerbeflächen im Nordosten nicht voll genutzt werden. Das gilt auch für den BER und sein Umfeld, die über die Autobahn aus dem Westen gut erreichbar sind, während man aus Richtung Herzbergstraße, Landsberger und Märkische Allee umständlich am Ostkreuz vorbei muss. Das kostet viel Zeit und steigert die Kosten der Unternehmen. Zugleich führt es in den Wohngebieten zu viel Lärm und schafft an jeder Kreuzung Konfliktsituationen.

Der Autobahntunnel unter dem Ostkreuz, für den das Bundesverkehrsministerium nun die Planung beauftragt hat, würde die Stadtstraßen im Umfeld entlasten. Der Wirtschaftsverkehr und gerade der schwere Lkw- Verkehr könnten so unterirdisch gebündelt werden, was oberirdisch auch für mehr Sicherheit sorgt. Für die entscheidende Unterführung des Ostkreuzes wurden bereits die baulichen Voraussetzungen geschaffen. Der Bahnverkehr würde also nicht beeinträchtigt werden. Und natürlich gilt es, unabhängig von der A100 den ÖPNV schnell weiter auszubauen. Das ist aber kein Entweder – Oder.

Für ein Verkehrsnetz , das den Anforderungen des Klimaschutzes, der Berliner Bevölkerung und der Wirtschaft gerecht wird, unterstützen wir deshalb die Initiative des Bundesverkehrsministeriums. Für den innerstädtischen Rückbau von Straßen sind Außenringe wie die A100 Voraussetzung – oder Flugtaxis für Mensch und Ware.

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Jan Eder, 59, ist seit 2003 Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin. Sie vertritt über 302 000 Unternehmen in der Stadt mit rund einer Million Beschäftigten. Eder ist Jurist.

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