Von Kreuzberg nach Mitte führt die Wilhelmstraße – trotz Sehenswürdigkeiten wird sie oft übersehen.
Morgenpost vom 05.08.2022 von Dirk Teuber

Verlaufen ist auf diesem Spaziergang von Kreuzberg nach Mitte nicht möglich. Die Wilhelmstraße führt schnurgerade nach Norden. Beginnend am U-Bahnhof Hallesches Tor gehen wir zunächst Richtung Westen, bis wir auf die Kreuzung Mehringdamm Wilhelmstraße treffen. Rechts beginnt die Wilhelmstraße, die nach wenigen Metern am Willy-Brandt-Haus, der SPD-Zentrale, vorbeiführt und von der die Stresemannstraße abgeht, die zum Tempodrom führt und später am Potsdamer Platz mündet. Derzeit ist im architektonisch herausstechenden Gebäude die Ausstellung „Fragmente des Krieges“ zu sehen, in der drei Fotografinnen ihre bedrückenden Impressionen aus der Ukraine zeigen.

Noch hat die Straße den typischen 1970er-Jahre-Charme Kreuzberger Architektur mit zahlreichen Spätverkäufen und Imbissen im Erdgeschoss. Einzig der bemalte Altbau des Tommy-Weisbecker-Hauses, einem selbstverwaltetem Wohnkollektiv, sticht heraus.
Die breite Straße besitzt an dieser Stelle keinerlei Charme, 1990er-Jahre-Neubauten treffen auf die letzten Ausläufer Kreuzbergs. Dass die Wilhelmstraße früher einmal eine der wichtigsten Repräsentationsstraßen Preußens war, an der viele der Regierungsgebäude und Ministerien standen, ist noch nicht ersichtlich.

Die Zahl der Touristen nimmt zu, die Gebäude werden monumentaler

Erst mit der links auftauchenden, von Bäumen zugewachsenen Grünfläche Höhe Anhalter Straße ändert sich das Bild. Das liegt an den zahlreichen Touristen, die sich die Topographie des Terrors an der Niederkirchnerstraße ansehen. Denn hier standen im Dritten Reich die Zentralen der Geheimen Staatspolizei, der SS und des Reichssicherheitshauptamts. Die frei zugängliche Schau besuchen mehr als eine Million Gäste jährlich.

Da wirken die Bratwurststände an der Ecke und der Aussichtsballon einer großen Tageszeitung etwas befremdlich, aber Berlin war ja schon immer eine Stadt der Gegensätze. Linker Hand taucht das gewaltige Gebäude des Finanzministeriums auf, das sich mehrere hundert Meter bis an die Leipziger Straße erstreckt. Der Monomentalbau war das einstige Reichsluftfahrtministerium, heißt heute Detlev-Rohwedder-Haus und hat an der Front der Leipziger Straße auch einen kleinen Vorplatz, den Platz des Volksaufstandes von 1953. Sehenswert ist dort das bunte Mosaik vom „Aufbau der Republik“ aus DDR-Zeiten.

Jetzt ist Großstadtflair spürbar, auch wenn die Wilhelmstraße zwischen Leipziger und später Unter den Linden auf der Rückseite der Mall of Berlin , an zahlreichen Botschaften entlangläuft und vor allem von Plattenbauten der 1980er-Jahre geprägt ist. Besonders die Tschechische Botschaft mit seinen braunen verspiegelten Glas- und Metallfronten ist ein herausragendes Beispiel für die Architektur der sozialistischen Moderne. Die Restaurants in diesem Abschnitt sind zumeist auf den Tourismus zugeschnitten. Zwischen Behrenstraße und Unter den Linden ist die Wilhelmstraße durch Poller zum Schutz der Britischen Botschaft für den Durchgangsverkehr gesperrt.

Nach der Überquerung des stark von Touristen frequentierten Boulevards Unter den Linden mit dem Hotel „Adlon“ auf der linken Seite verengt sich die Straße, die oftmals von Autos verstopft wird, da hier der Verkehr um das Brandenburger Tor herumgeleitet wird. An der Marschallbrücke endet unser Ausflug, auch wenn hier – mit grandioser Aussicht auf den Reichstag auf der linken und der Friedrichstraße auf der rechten Seite – sich eigentlich erst die Lust einstellt, weiterzulaufen. Hinter der Brücke beginnt auch die Luisenstraße, und die Stadt zeigt ab hier ein anderes, beinahe liebliches Gesicht.

Ausflugs-Info

  • Dauer und Strecke Die Wilhelmstraße selbst ist 2,4 km lang. Mit Beginn am U Bhf. Hallesches Tor benötigt man für die etwa drei Kilometer eine Stunde. Ab Unter den Linden und der Marschallbrücke kann der Spaziergang beliebig verlängert werden.
  • Topographie des Terrors Niederkirchnerstr. 8, Mitte, Tel.: 25 45 09 50, Dauerausstellungen: Der historische Ort „Topographie des Terrors“ – Geländerundgang in 15 Stationen; „ Berlin 1933-­­1945. Zwischen Propaganda und Terror“; „Gestapo, SS und Reichssicherheitshauptamt in der Wilhelm- und Prinz-Albrecht-Straße“, tgl. 10–18 Uhr

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