Grünen-Fraktionschefin Silke Gebel über Straßen voller Tücher, neue Unterrichtszeiten und die Flussbad -Pläne
Tagesspiegel vom 14.08.2022 -das Interview führten Julius Betschka und Daniel Böldt

Frau Gebel, wir sitzen hier direkt am Spreekanal, würden Sie hier baden?

Es ist laut Badegewässerschutzverordnung verboten. Ich war schon mal an der Insel der Jugend in der Spree schwimmen. Das war toll. Aber ich würde nicht empfehlen zu springen, denn die Wasserstände in Berlin sind viel zu niedrig.

Reicht denn die Gewässerqualität?

Alle Untersuchungen der Spree und auch des Spreekanals haben ergeben, dass das Wasser Badequalität hat. Das variiert aber natürlich – wie in jedem Badesee auch. Echte Probleme gibt es nur bei starken Regenfällen: Dann läuft die Mischwasserkanalisation über, dann fließt auch das Abwasser aus den Toiletten in die Spree. Das ist der Grund, warum der Fluss heute insgesamt kein Badegewässer ist. Vor 100 Jahren konnte man genau hier, am Spreekanal, ins Wasser hüpfen und sich erfrischen.

Die Idee für ein neues Flussbad an dieser Stelle ist 25 Jahre alt, 2017 haben das fünf Fraktionen im Abgeordnetenhaus unterstützt. Warum geht es nicht so voran?

Eins meiner politischen Ziele war immer, dass die Menschen in und an die Berliner Gewässer können. Deshalb unterstütze ich das Flussbad. Der Weg dahin ist aber steinig. Deshalb braucht es die unbedingte Unterstützung der Hausspitze der zuständigen Senatsverwaltung. Das Flussbad hat ja nicht nur das Ziel, dass man im Wasser des Spreekanals baden kann.

Sondern?

Es geht auch um die Frage, wem die historische Mitte Berlins gehört – den Tourist:innen, den Historiker:innen oder den Berliner :innen. Dieser Streit ist ein Hauptgrund, warum das Projekt nicht so schnell vorangeht, wie ich mir das wünschen würde. Man kann das aber alles gut zusammenbringen, wenn man will. Das beste Beispiel ist die geplante Freitreppe in die Spree neben dem Humboldt-Forum: Sie fügt sich in das historische Ensemble und wäre auch ein Symbol dafür, dass das Wasser begehbar sein könnte.

Zuletzt klangen die Signale aus der zuständigen Stadtentwicklungsverwaltung sehr verhalten. Hat das Projekt im Parlament noch eine politische Mehrheit?

Wir haben eine fraktionsübergreifende Arbeitsgruppe aus Koalition und Opposition und wir wollen das in dieser Legislaturperiode voranbringen. Es gibt einen Beschluss, dass sich alle planerischen Maßnahmen in diesem Areal daran orientieren müssen, dass das Flussbad möglich bleibt. Wir bekommen für die Freitreppe bis zu 3,2 Millionen Euro Fördermittel vom Bund. Wenn wir nicht bauen, verfällt das Geld. Außerdem müssten wir die Leerstelle füllen. Dort ist bislang nur eine rostige Spundwand. Das muss dann das Land Berlin zahlen.

Die Stadtentwicklungsverwaltung argumentiert mit massiven Kostensteigerungen gegen die Freitreppe.

Das Land Berlin hat Fördermittel aus der nationalen Städtebauförderung zugesprochen bekommen. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir dieses Geld auch abrufen wollen. Dieser Vertrag gilt auch für die SPD und damit Andreas Geisel und die Stadtentwicklungsverwaltung. Wenn wir das Geld nicht abrufen, wird das massive Auswirkungen auf alle anderen Städtebaufördermaßnahmen haben. Wenn wir nicht bauen, zahlen wir am Ende drauf und verlieren auch noch unsere gute Reputation beim Bund. Das wäre fatal.

Kommen wir vom Badewetter zum Klima: In Paris werden hitzegefährdete Bürger an heißen Tagen angerufen und an das Trinken erinnert. Ist das für Berlin denkbar?

Berlin braucht Hitzeaktionspläne für alle Politikbereiche. Natürlich müssen wir uns um ältere Menschen kümmern, die sind besonders gefährdet bei Hitze. Sie benötigen eine gute Versorgung durch den öffentlichen Gesundheitsdienst. Das können auch Anrufe an Hitze-Tagen wie in Paris sein. Aber auch Schulen brauchen Hitzeaktionspläne: Das bedeutet, dass wir dort mehr Trinkwasserspender benötigen. Nicht einen pro Schule, sondern einen pro hundert Schüler:innen. Das gibt es bislang nicht. Wir sollten debattieren, ob wir im Sommer früher mit der Schule anfangen, wenn es noch kühler ist. Im Winter könnte es dafür später losgehen. Das hätte auch den Vorteil, dass man Energie spart, weil die Schüler:innen im Winter erst im Hellen ankommen – auch für den Biorhythmus wäre das gut. Grundsätzlich brauchen wir in den Kiezen ein Recht auf Schatten.

Wie wollen Sie dieses „Recht auf Schatten“ möglichst schnell umsetzen?

In vielen spanischen und südfranzösischen Städten sind im Sommer die Straßen mit Tüchern verhangen. Die Temperaturen sind in Berlin in den letzten Wochen ähnlich. Wir haben als Koalition den Entsiegelungsfonds „Grüne Stadt“ aufgesetzt. Mit dem Geld können kurzfristig Bäume oder Hochbeete finanziert werden. Grün kühlt die Stadt, Schatten schützt vor Überhitzung der Straßen. Ich kann mir deshalb auch vorstellen, dass aus dem Fonds bestimmte Verschattungsmaßnahmen wie Tücher über Straßen finanziert werden könnten. Aber solche kurzfristigen Maßnahmen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir die Stadt langfristig kühlen müssen. Das geht vor allem über Entsiegelung, Parks oder mehr Wasserflächen – wie zum Beispiel das Flussbad.

Seit einem halben Jahr liegt der Entwurf für eine neue, ökologische Bauordnung in der Schublade. Bausenator Geisel will aber erst die Baukostenentwicklung abwarten. Schädigt eine Krise hier das Handeln gegen eine andere?

Politik muss in der Lage sein, vielfältige Krisen zu händeln – auch gleichzeitig. Die neue Bauordnung ist ein solches umfassendes Konzept, das das kann. Sie ist deshalb auch im Koalitionsvertrag in dieser Form vereinbart. Wir bauen in Berlin nicht für die nächsten fünf Jahre, sondern bestenfalls für 100 Jahre. Wir müssen die Stadt jetzt auf die Zeit ausrichten, in der hier kein nordisches Klima mehr herrscht, sondern eher ein mediterranes.

Haben Sie die Befürchtung, dass Klimaschutz durch die vielen Krisen gerade zu kurz kommt?

Solange es uns Grüne in der Regierung gibt, mache ich mir keine Sorgen, dass der Klimaschutz zu kurz kommt. Schon als wir vor 15 oder 20 Jahren mehr Klimaschutz gefordert haben, hieß es immer, das ist jetzt gerade ganz schwierig. Aber nur weil unser Weg etwa zu deutlich mehr erneuerbaren Energien nie wirklich beschritten wurde, stehen wir mit dem Rücken an der Wand und haben diese starke Abhängigkeit vom russischen Gas. Deswegen brauchen wir jetzt ein breites Bündnis, zum Beispiel mit der Bauindustrie, in dem wir sagen: Wir bauen jetzt so, dass wir unabhängig werden.

Dennoch lassen sich einige „Zielkonflikte“, wie Bausenator Andreas Geisel es kürzlich nannte, nicht weg reden. Klimagerechtes Bauen kostet mehr Geld. Geld, das durch Inflation, Energie- und Rohstoffpreise knapp ist.

Das ist zu kurzfristig gedacht: Ökologisch zu bauen, heißt am Ende des Tages Geld sparen. Effiziente Gebäude, erneuerbare Energien, all das macht uns nicht nur unabhängiger von Russland oder China, sondern kostet langfristig auch weniger. Wir müssen dafür klare Regeln vorgeben. Das ist die Aufgabe von Politik. Das gilt für die Bauordnung, aber auch beim Thema Energiesparen.

Was meinen Sie konkret?

In Deutschland überlegt sich gerade jedes Bundesland und jede Kommune, was die richtigen Maßnahmen sind. Das wird nicht funktionieren. Die Bundesregierung muss den Rahmen und die Energiesparpflicht klar setzen! Wir kommen ansonsten in die gleiche Situation wie während der Corona-Pandemie mit einem unübersichtlichen Regelflickenteppich, den niemand durchblickt. Der Vorstoß von Wirtschaftsminister Robert Habeck, in allen öffentlichen Gebäuden eine Normtemeperatur von 19 Grad vorzugeben, ist da ein guter Anfang.

Ist es mehr als Symbolik, das Brandenburger Tor nicht mehr zu beleuchten?

Das ist eine Symbolik, die eine Breitenwirksamkeit hat. Einen wirklichen Einsparungseffekt hat es, wenn alle Leuchtreklamen abgeschaltet werden. Das finde ich richtig. Wenn wir es nicht hinbekommen, 20 Prozent unseres Gasbedarfs einzusparen, dann könnte die Frage, wie lange man heizt oder ob die Wohnung geheizt ist, in diesem Winter unser geringstes Problem sein. Bei einer Gasmangellage könnte der industrielle Sektor einbrechen.

Das Interview führten Julius Betschka und Daniel Böldt.

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