Unter der Regattastraße ist Beton in den Abwasserkanal geflossen. Danach erlebten die Berliner Wasserbetriebe ein Desaster.
Berliner Zeitum vom 24.08.2022 - von Andreas Kopietz

Es gibt Baustellen , auf denen läuft es nicht gut. Erst brennt es. Dann werden die Häuser nicht fertig, sodass Senioren in Zwischenunterkünfte ziehen müssen. Und jetzt ist die Hauptabwasserleitung mit frischem Beton verstopft. All das ist auf einer Baustelle in Grünau so passiert.

Bis all diese Probleme gelöst sind, werden die Bewohner einer Seniorenresidenz an der Regattastraße noch Monate auf einer Baustelle leben müssen. Und die Straße wird noch lange gesperrt bleiben.

Dabei hatte alles vielversprechend angefangen. Dort, wo seit der Wende die Ausflugslokale Riviera und Gesellschaftshaus verfielen, begann die Terragon AG vor drei Jahren, mehrere Gebäude mit 208 Seniorenwohnungen zu errichten. Die ersten Bewohner sind eingezogen, bei einem weiteren Haus auf der anderen Straßenseite sind die Baugerüste inzwischen abmontiert.

Beton erhärtete im Rohr auf 150 Metern unter der Regattastraße

Doch nun tut sich fast jeden Tag ein neues Problem auf. Begonnen hat alles mit einer Routineinspektion des Schmutzwasserkanals unter der Straße. Als Mitarbeiter der Wasserbetriebe eine Kamera in den Kanal schoben, sahen sie, dass die Hälfte des 30 Zentimeter dicken Rohrs dicht war mit flüssigem Beton. Ob er aus dem Silo auf der Baustelle stammt, ist unklar. Der Beton härtete in dem Rohr aus – auf einer Länge von 150 Metern.

Zunächst dachten die Mitarbeiter, sie könnten die Leitung freifräsen. Dabei büßten sie drei Fräsen ein. Sie holten eine Spezialfirma mit einem Hochdruck-Spülwagen. Auch das ging schief. Der feste Beton lenkte die Spülköpfe ab, sie durchschlugen den Kanal und landeten im Erdreich. Sie mussten aufwändig geborgen werden, wofür die Straße das erste Mal aufgegraben wurde.

Die Wasserbetriebe entschlossen sich, den Schmutzwasserkanal auf 150 Metern auszuwechseln. Der liegt dreieinhalb Meter tief, weshalb das Grundwasser abgesenkt werden muss. Die Schläuche dafür liegen schon bereit. Doch für das Abpumpen muss erst eine Genehmigung bei den Umweltbehörden eingeholt werden.

Neue Gasleitung muss gelegt werden

Zu allem Überfluss stießen die Arbeiter beim Aufgraben neben dem Kanal auf eine Gasleitung, die in Betrieb ist. Weil sie die Leitung dabei beschädigten, strömte Gas aus. Ein Flügel der Seniorenresidenz wurde evakuiert. Die Netzgesellschaft Berlin -Brandenburg muss nun eine neue Gasleitung legen lassen.

Das könnte Sie auch interessieren

Der Asphalt ist schon mal aufgehackt. Fußgänger laufen zwischen den Absperrungen Slalom. Autos landen in einer Sackgasse, weil das Bezirksamt keine Hinweisschilder aufstellt. „Hier herrscht totales Chaos“, sagt eine Anwohnerin.

Im Moment ist auf der Straßenbaustelle weitgehend Ruhe. Die Wasserbetriebe könnten keine Gasleitungen verlegen, sagt Unternehmenssprecher Stephan Natz. Zunächst müsse die Gasag mit der Baufirma die Konditionen dafür aushandeln, die ihren technischen Standards entsprechen. Natz bemüht sich um Optimismus: „Wir gehen davon aus, dass wir die Bauarbeiten in diesem Jahr schaffen.“

Kunden der Wasserbetriebe müssen wohl für die Kosten aufkommen

Wie hoch die Kosten sein werden, ist nicht abzusehen. Auch nicht, ob diese dem Bauherren in Rechnung gestellt werden können. Dazu müsste es Beweise geben, die einen konkreten Täter überführen. „Wir haben so etwas öfter. Aber dazu bräuchte man idealerweise einen Zeugen oder ein Handyvideo“, sagt Natz. Frühere Versuche, einen Generalunternehmer haftbar zu machen, blieben nach seinen Worten stets erfolglos. Die Kosten für den Baupfusch dürften vergesellschaftet werden, also über die Wasserbeiträge finanziert werden.

Das Projekt Seniorenresidenz ist ein schwieriges Projekt. Kurz vor Baubeginn 2019 brannte das denkmalgeschützte Gesellschaftshaus nieder. Die Ursache war Brandstiftung. Ob fahrlässig oder absichtlich, wurde nie geklärt.

Das Gesellschaftshaus musste rekonstruiert werden, um es in die Seniorenresidenz zu integrieren, wie auch das benachbarte frühere Ballhaus Riviera. In klobige Häuser, die die umliegenden Gebäude überragen und von vielen als ortsuntypisch empfunden werden. Anwohnerproteste ignorierte das Bezirksamt, das damals die Baugenehmigung erteilte.

Baustelle ist vermüllt

Viele Subunternehmen arbeiten auf der Baustelle , die unaufgeräumt wirkt und bei Anwohnern inzwischen als „Drecksbaustelle“ bezeichnet wird. Müll und Paletten liegen herum, wochenlang weht der Wind Papier, Tüten und Reste von Dämmplatten über die Straße.

Eigentlich sollte im Oktober vergangenen Jahres der erste Bauabschnitt und im Februar die gesamte Residenz fertig sein. „Wir hoffen als Betreiber, dass wir sie irgendwann vollständig übergeben bekommen“, sagt Andreas Wolff von der SWS Sophienhaus Wohnbetreuungs- und Servicegesellschaft mbH.

Angesichts des aktuellen Bau -Desasters dürfte es wohl noch dauern. Weil die Bewohner der als exklusiv beworbenen Residenz noch immer durch Baustellendreck stapfen, brauchen sie nur die Hälfte der Service-Pauschale zu zahlen. Auch das Mittagessen für sie ist kostenfrei. Das entschädigt für manche Misslichkeit. Als Ende 2021 die ersten Bewohner einziehen sollten, mussten sie in Hotels und Pensionen absteigen, weil die Wohnungen noch nicht fertig waren. „Aber wir sind hier sehr zufrieden, und das Personal ist äußerst freundlich“, versichert ein Bewohner.

Von der Terragon AG, die im Juni Insolvenz anmeldete, um sich umzustrukturieren , wie sie erklärte, war bis Redaktionsschluss am Dienstag keine Stellungnahme zu erhalten.

Die Berliner Zeitung im Internet: www.berliner-zeitung.de