Gewerbe, Platzumbau und was im Kiez anders werden soll: Das sind die drängendsten Fragen rund um das Bauprojekt am Hermannplatz.
Berliner Morgenpost vom 01.09.2022 von Patrick Goldstein

Die Entscheidung ist da. Ende kommenden Jahres, so teilt Eigentümerunternehmen Signa mit, ist Baustart beim Karstadt-Komplex auf dem Hermannplatz . Befürworter wie Kritiker des Projekts mahnen im Vorfeld die baldige Aufstellung eines von Senatsseite versprochenen Masterplans für Wohn- und Geschäftsumgebung an. Befürchtet wird, dass angestammte Mieter und Ladenbesitzer sich den Kiez nicht mehr leisten können, sogar der traditionelle Wochenmarkt könnte in Gefahr sein.

Das Vorhaben ist einmalig in Berlin . Signa, der Konzern des österreichischen Unternehmers René Benko, will beim derzeit existierende Gebäude, das sich auf Kreuzberger Boden befindet, aber vom Bezirk Neukölln umgeben ist, die Kubatur des Ursprungsgebäudes von Jahr 1929 wieder herstellen . Dazu soll das bestehende Haus entkernt und das Stahlbeton-Rohbauskelett saniert werden. Bauteile werden dabei wiederverwertet.

Karstadt am Hermannplatz: Vorbild ist das historische Originalgebäude

Beide 60 Meter hohe Türme der historischen Konstruktion sollen nach Plänen von Stararchitekt David Chipperfield wieder entstehen, die Aufstockung erfolgt in Holzbauweise. Laut Unternehmen spare man bei Verzicht auf einen kompletten Abriss und Neukonstruktion etwa als Stahlbeton-Gebäude während des Baufortschritts bis zu 70 Prozent an Treibhausgasen ein. Unbestätigte Kostenschätzungen lagen zuletzt bei 450 Millionen Euro. Die Summe dürfte infolge von Pandemie und Inflation erheblich gestiegen sein.

Im März dieses Jahres leitete der Senator für Stadtentwicklung , Bauen und Wohnen, Andreas Geisel (SPD), das Verfahren zur Aufstellung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans ein . Im Stadtentwicklungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses nannte Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt Details für die Nutzung des Gebäudes. So wird es darin zukünftig nicht beim reinen Kaufhaus bleiben – inzwischen firmiert es unter der Marke Galeria Berlin Hermannplatz.

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Laut Plänen werde die Verkaufsfläche weiterhin 23.400 Quadratmeter betragen. Hinzu kommen im neuen Haus 45.000 Quadratmeter für Büros, 4500 Quadratmeter für eine gemeinwohlorientierte Nutzung und 4100 Quadratmeter bezahlbarer Wohnraum. Die 3200-Quadratmeter-Terrasse soll öffentlich zugänglich und nutzbar sein. Die Signa kündigte 2000 zusätzliche Arbeitsplätze durch das überarbeitete Warenhaus-Konzept an. Die mögliche Eröffnung ist einem Sprecher zufolge 2027.

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In Politik und unter Anwohnern ist das Projekt seit Ende vergangenen Jahrzehnts umstritten. 6000 Protestunterschriften wurden gesammelt. Die Initiative Hermannplatz forderte gar kategorisch, gleich das gesamte Bauvorhaben einzustellen. Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) bremste das Projekt 2019 aus, indem er die Aufstellung eines Bebauungsplans ablehnte. Scharfe Kritik kam etwa von Bezirks-FDP, Landes-CDU und Industrie- und Handelskammer Berlin (IHK).

Neue Fakten schuf 2020 eine Abmachung zwischen Senat und Signa. Im Gegenzug für den Erhalt von neun statt nur fünf Karstadt-Häusern in der Stadt sicherte der Senat in einer Absichtserklärung („Letter of intent“) zu, große Bauvorhaben der Signa – offenbar im Wert von vier Milliarden Euro – zu unterstützen. In Folge verlor der Bezirk die Verantwortung für das Hermannplatzprojekt. Alle Planung findet jetzt bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung , Bauen und Wohnen statt. „Zur Zeit gibt es keine aktive Einbindung in das laufende Bebauungsplanverfahren “, teilte eine Sprecherin des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg mit. Bei einer Vorstellung des Projekts sollte im Mai 2021 der damaligen Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl, Franziska Giffey (SPD), zudem ehemalige Bezirksbürgermeisterin von Neukölln, ein begeistertes „Wow“ entfahren.

 „Karstadt gehört zum Hermannplatz, das ist für mich deshalb nicht verhandelbar“

Giffeys Nachfolger und Parteikollege Martin Hikel zeigt sich abwartend aufgeschlossen. „Karstadt gehört zum Hermannplatz, das ist für mich deshalb nicht verhandelbar“, erklärte er gegenüber der Berliner Morgenpost. Er freue sich, dass der Investor das Gebäude „bislang nicht zu einem elitären Palast machen will“, sondern dort auch Raum für Ärzte, Kitas, lokale Initiativen entstehen soll. „Wenn es gelingt, ideologiefrei zu diskutieren und gleichzeitig bestehende Ängste aus dem Kiez ernst zu nehmen, dann können wir hier einen Leuchtturm schaffen, der den Kiez und die Menschen im Kiez bereichert.“

Julian Schwarze, im Abgeordnetenhaus Sprecher für Stadtentwicklung der Grünen, misstraut den Plänen der Signa. Dem Unternehmen gehe es nicht um den Erhalt von Karstadt. „Signa geht es darum eine Immobilie zu schaffen, die sich langfristig vermarkten lässt.“ Schon in seiner Form sei das Gebäude „ein UFO, ein Solitär“.

Karstadt- Baustelle: Erhebliche Einschränkungen befürchtet

Fraglich sei die Auswirkung auf den Platz. Die Signa teilte auf Anfrage mit, bei einem Bauprojekt dieser Größenordnung sei es unvermeidbar, auch Teile der Straßen- und Bürgersteigsteigs für die Baustelle in Anspruch zu nehmen. Das allerdings könnte fatale Folgen für den auf dem Patz vor dem Warenhaus stattfindenden Wochenmarkt haben. Schwarze: „Ich rechne im Umfeld mit erheblichen Einschränkungen.“

Seine Sorge gilt auch dem nächsten Schritt am Platz. Die Senatsverwaltung hat angekündigt, neben dem B-Planverfahren im Zuge eines gleichzeitigen Masterplanverfahrens Veränderungen und Verbesserungen der Situation auf dem Hermannplatz zu erarbeiten. Das betrifft Raumgestaltung- und Verteilung sowie Infrastruktur, etwa den BVG- Verkehr . Die Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln werden einbezogen, ebenso Verkehrs - und Wirtschaftsverwaltung. Schwarze sagt, er könne derzeit weder Fortschritt noch überhaupt Interesse des Senats an Erarbeitung eines solchen Plans erkennen.

Nicht nur Begeisterung hervorgerufen

Eine Bürgerbeteiligung hatte im vergangen November mit einer Handvoll sogenannter Zielgruppen-Werkstätten, etwa zum Thema „ Verkehr , Umwelt und Klima“ begonnen. Bürgermeister Hikel allerdings sagt heute: „Das Beteiligungsverfahren hat bislang nicht nur Begeisterung hervorgerufen. Das haben mir viele Menschen gespiegelt, und das nehme ich sehr ernst.“ Jetzt müssten Leitlinien für Bürgerbeteiligung eingehalten und definiert werden, was vor Ort zur Diskussion stehe, was in der Beteiligung herausgefunden werden soll, was Senatsverwaltung und Menschen aus dem Kiez überhaupt erwarten. Und es müssten diejenigen Gruppen und Akteure der Zivilgesellschaft gehört werden, die wissen, was die Bürger wollen.

Bei ersten Bürgerrunden, den sogenannten partizipativen Grundlagenermittlungen für das Masterplanverfahren Hermannplatz, äußerten Anwohner die Furcht, von den Folgen eines neuen Mega-Kaufhauses überrollt zu werden. Stadtentwicklungssprecher Schwarze erwartet da besonders für Gewerbetreibende nichts Gutes. „Das wird die Gewerbestruktur im Umfeld ändern. Wenn da neue Mitarbeiter in den Büros des Hauses tätig sind: Die wollen in der Mittagspause etwas essen, einkaufen. Da entsteht ein ganz neuer Druck auf dem Gewerbemarkt.“

Wie es im Masterplanverfahren jetzt weiter geht, ist offen. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen erklärte knapp: „Mit den Bezirken Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln sowie den beteiligten Senatsverwaltungen muss noch abgestimmt werden, wie der weitere Arbeitsprozess gestaltet werden soll.“

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