In diesem Jahr wurde nicht ein einziger Antrag auf Förderung gestellt. Streit um geplante Neuregelung von Bausenator Geisel
Der Tagesspiegel vom 09.09.2022 von Ralf Schönball

Der Mangel an bezahlbaren Wohnungen in Berlin verschärft sich weiter. Wie die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen auf Tagesspiegel-Anfrage bestätigte, ist in diesem Jahr nicht ein einziger Antrag auf Förderung zum Bau einer Sozialwohnung eingegangen. SPD, Grüne und Linke hatten im Koalitionsvertrag den Bau von 5000 Sozialwohnungen jedes Jahr vereinbart.

„Das bisherige Programm war so unattraktiv, dass es nicht in dem Maße abgerufen wurde, wie es notwendig gewesen wäre“, sagte ein Sprecher von Bausenator Andreas Geisel (SPD). Bereits im vergangenen Jahr seien nur 1011 Wohnungen von 5000 angestrebten Wohnungen auf den Weg gebracht worden – in diesem Jahr nicht eine einzige. Berliner Wohnungsverbände bestätigen das Desaster.

Aus der Wohnungswirtschaft heißt es hinter vorgehaltener Hand: „Sozial bauen zu den veralteten Konditionen ist, wie Geld aus dem Fenster zu werfen.“

Hintergrund: Die zurzeit noch gültigen Förderbedingungen legen Baupreise von rund 2500 Euro je Quadratmeter zugrunde – inzwischen haben sich jedoch die Baukosten verdoppelt. Das ist die Folge abgerissener Lieferketten, des Mangels an Facharbeitern sowie Baustoffen infolge von Coronakrise und Russlands Angriffskrieg. Deshalb liegen viele Bauvorhaben auf Eis – und alle hoffen auf den Geldsegen aus der geplanten neuen Sozialen Förderung.

Für den Berliner Wohnungsmarkt hat das dramatische Folgen: Die Bevölkerung wächst, viele Neu- Berliner kommen aus der Ukraine und anderen Krisenregionen und sind dringend auf Sozialwohnungen angewiesen. Doch statt mehr Angeboten gibt es immer weniger preiswerte Mietwohnungen: In diesem Jahr endet die soziale Bindung und damit die günstigen Mieten bei 5000 älteren Sozialwohnungen, weil Förderverträge nach einigen Jahrzehnten planmäßig auslaufen.

Die Folge: Immer mehr Menschen kämpfen um immer weniger bezahlbare Wohnungen. Die Koalition reagiert auf diese Notlage bisher nicht. Denn es gibt Streit. Stadtentwicklungssenator Geisel hat zwar ein neues Programm mit besseren Konditionen für den Sozialen Wohnungsbau verfassen lassen. Diese Novelle sollte schon vor der Sommerpause ins Parlament eingebracht werden. Daraus wurde jedoch nichts. Erst Ende August verhandelten die Abgeordneten den Entwurf – aber eine Zustimmung gab es nicht.

„Leider haben Linke und Grüne das blockiert“, heißt es im Haus von Bausenator Geisel. Die mietenpolitische Sprecherin der Grünen, Katrin Schmidberger, kontert: „Quatsch – wir wollen alle die Förderung verbessern, aber nicht die alten Fehler wiederholen, die in Geisels Entwurf stecken.“ So sollen geförderte Bauträger ihre Kredite vor Ablauf der sozialen Mietbindungen zurückzahlen dürfen, was zur Folge hat, dass die Wohnungen frühzeitig wieder zu teuren Preisen vermietet werden können. Auch einen Verkauf als Eigentumswohnungen sieht die Novelle noch während der Vermietung vor. Kritisch sieht Schmidberger außerdem die Kreditgeschenke des Senats an die Bauträger: Bis zu 35 Prozent des geliehenen staatlichen Geldes müssen diese nicht zurückzahlen, so hoch sei der „Tilgungsverzicht“.

Den Vorwurf, Linke und Grüne blockierten die Förderung, nennt Niklas Schenker eine „dreiste Behauptung“. Der Mieten-Sprecher der Linken betont, dass man dem nicht abgesprochenen Entwurf „in dieser Form nicht zustimmen“ werde. Ausgerechnet mitten in der Wirtschaftskrise solle eine Förderung kommen, die zulasten von denjenigen gehe, die besonders dringend bezahlbaren Wohnraum bräuchten. Seine Kritik: Anders als bisher könnten Bauträger ausschließlich Förderungen für die teureren Mietwohnungen (zweiter Förderweg) abrufen, die außerdem noch für neun Euro statt bisher 8,50 Euro vermietet werden dürften. Bisher war der Bau günstiger Mietwohnungen für 6,50 Euro Pflicht, um auch Geld aus dem Topf des zweiten Förderwegs zu erhalten.

Schenker und Schmidberger sprechen sich außerdem dafür aus, einen großen Teil der 750 Millionen Euro jährlich aus der Förderung direkt an die Landesfirmen zu geben. Denn diese sicherten dauerhaft günstige Mieten zu – und nicht auf eine begrenzte Zeit von maximal 30 Jahren wie die Privaten. „Der Fördertopf mit einer Dreiviertelmilliarde Euro ist der größte Einzelposten im Haushalt, da muss die Koalition mehr rausholen“, sagt Schenker.

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Stillstand. Tausende Sozialwohnungen fallen derzeit aus der Mietpreisbindung und werden deutlich teurer. Gleichzeitig stockt der Neubau – und in der rot-grün-roten Koalition wird über die geplanten neuen Förderrichtlinien gestritten.

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