Ein Wettbewerb zu einem zentralen Platz in der Berliner Mitte endet ohne Sieger. Nun soll eine Charta als Grundlage für das neue Stadtquartier erarbeitet werden.
Berliner Zeitung vom 15.09.2022 - Online News

Die Umgestaltung des Molkenmarkts in Berlins Mitte gilt als eine der wichtigsten Aufgaben in der Berliner Stadtentwicklung. Es geht darum, ein neues Stadtquartier mit preiswerten Wohnungen auf früherem Straßenland zu errichten. Das sogenannte Werkstattverfahren zur Neugestaltung des Molkenmarkts ist nun allerdings mit einem überraschenden Ergebnis zu Ende gegangen. Die Jury vermied in ihrer Abschlusssitzung am Dienstag ein Votum zugunsten eines der beiden Entwürfe, die zur Wahl standen.

Die künftige Gestaltung des Areals zwischen Rotem Rathaus, altem Stadthaus und der Münze wird damit nicht auf Grundlage eines der Entwürfe erfolgen, die in die engere Wahl gekommen waren. Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt kündigte vielmehr an, dass eine noch zu erarbeitende Charta Molkenmarkt die Basis der Neugestaltung sein soll. Die Empfehlungen der Jury aus dem Werkstattverfahren sollen in die Charta mit einfließen.
Als Sieger im städtebaulichen und freiraumplanerischen Wettbewerb hatten sich im November vergangenen Jahres ein Team um die Architektin Silvia Malcovati aus dem Büro Bernd Albers ( Berlin ) und ein Team um das Büro OS Arkitekter (Kopenhagen) mit der Czyborra Klingbeil Architekturwerkstatt ( Berlin ) für das Werkstattverfahren qualifiziert. Die Entwürfe beider Teams sahen auf Grundlage des geltenden Bebauungsplans die Errichtung eines Quartiers mit kleinen Gassen, Höfen und Plätzen vor. Der Entwurf des Teams um Malcovati wurde dabei in der öffentlichen Diskussion in die Nähe einer eher historisierenden Bebauung gerückt, die Arbeit des Teams aus Kopenhagen und Berlin – kurz: OSCKA – dagegen als eher moderner Entwurf interpretiert. Beide Teams hatten ihre Konzepte am Montagabend öffentlich präsentiert.

Leistungen der Planer-Teams gewürdigt

Die Juryvorsitzende Christa Reicher und Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt würdigten am Mittwoch die Leistung der Teams. „Die beiden Entwürfe haben die Komplexität der Aufgabenstellung – von sozialen, ökologischen bis hin zu gestalterischen Fragen – hervorragend durchdrungen“, sagte Reicher. „In der Zusammenschau sind sie ein gutes Gerüst und inhaltliches Fundament, um den Molkenmarkt zu einem Modellquartier auf einem ‚Next Level‘ zu entwickeln.“ Kahlfeldt hob hervor, die Planer hätten „wertvolle Diskussionsansätze“ gegeben, „indem sie sich sehr intensiv und mit unterschiedlicher Haltung mit der DNA des Ortes auseinandergesetzt haben“. Sie hätten „außerdem bestätigt, dass der Bebauungsplan für diesen Ort umsetzbar“ sei.

Dass es keinen Sieger in dem Werkstattverfahren gibt, löste bei den beteiligten Teams unterschiedliche Reaktionen aus. Marek Czyborra aus dem Team um die Planer aus Berlin und Kopenhagen sagte, er sei „überrascht, dass es nicht anhand eines der Entwürfe weitergeht“. Silvia Malcovati dagegen erklärte, dass die Entscheidung der Jury für sie „nicht so wirklich“ überraschend komme. Ab Montag, also nach der öffentlichen Präsentation, sei klar gewesen, dass eine „Annäherung der zwei Projekte stattgefunden“ habe. Es wäre schwierig gewesen, einen Sieger zu benennen.

Die Senatsbaudirektorin und die Jury-Vorsitzende verteidigten die Entscheidung, keinen Sieger in dem Werkstattverfahren zu küren. Kahlfeldt sagte, in der Auslobung sei dies kommuniziert worden. „Dort stand ganz klar drin, die Jury gibt am Ende des Werkstattverfahrens im Rahmen des Abschlusskolloquiums eine schriftliche Empfehlung für die weitere Bearbeitung der Planungsaufgaben “. Eine Weiterbeauftragung ergebe sich nicht.

„Das war sehenden Auges und genau so gewollt“, sagte Kahlfeldt. Und Jury-Chefin Reicher bekräftigte: „Unsere Aufgabe war es nicht, einen Sieger zu küren.“ Offizielle Veröffentlichungen zu dem Werkstattverfahren lassen allerdings eine andere Deutung zu. So hatte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung noch vor einem Jahr in einer Pressemitteilung erklärt, dass die Jury am Ende des Werkstattverfahrens „eine Empfehlung zur Umsetzung geben wird“. Und im Auslobungstext findet sich der Satz: „Zum Abschluss des Werkstattverfahrens tritt das Preisgericht erneut zusammen und berät über die Empfehlung eines der beiden Entwürfe als Grundlage einer Charta für die Entwicklung am Molkenmarkt.“

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Charta Molkenmarkt : Erster Teil soll bis Ende 2022 fertig sein
Zum weiteren Ablauf der Planung hat die Senatsbaudirektorin klare Vorstellungen. Bis Ende 2022 soll nach ihren Angaben der erste Teil der Charta auf Grundlage des geltenden Bebauungsplans, mit einem Rahmenmasterplan und den Empfehlungen aus der Jury fertiggestellt werden. Was für Konfliktstoff sorgen dürfte: Kahlfeldt bezeichnet dies als „eine verwaltungsinterne Arbeit“, aus der Koalition ist aber schon zu hören, dass die Abgeordneten daran beteiligt werden möchten.

Kahlfeldt spricht hingegen nur von einer „Kenntnisgabe“ an das Abgeordnetenhaus. Bis Mitte 2023 soll laut Senatsbaudirektorin dann der zweite Teil der Charta Molkenmarkt fertiggestellt sein: Dabei handelt es sich um ein Gestaltungshandbuch für das Gebiet. Bis Ende 2023, Anfang 2024 sollen die Hochbauwettbewerbe für die neuen Gebäude auf der Grundlage der dann fertiggestellten Charta ausgelobt werden. Mit der Realisierung der Hochbauten sei dann ab Mitte 2029/2030 zu rechnen, so Kahlfeldt.
Die Grünen, immerhin Koalitionspartner der SPD-geführten Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, gehen auf Distanz zur Planung am Molkenmarkt. Die Entscheidung der Jury stoße „vielerorts auf Unverständnis, da der Entwurf von OSCKA den festgelegten Kriterien zur Bebauung des Molkenmarktes in sehr hohem Umfang gerecht wird“, sagte der Abgeordnete Julian Schwarze. Kritiker sähen „den Grund darin, dass sich die Senatsbaudirektorin mit dem von ihr bevorzugten Entwurf nicht durchsetzen konnte“. Dass es keine Entscheidung gebe, „irritiert und wirft Fragen auf, die noch zu klären sind“, so Schwarze. „Ich erwarte von unserer Senatsbaudirektorin, dass sie beim angekündigten Rahmenplan einen starken Fokus auf günstigen Wohnraum und Grünflächen legt.“ Es dürfe am Molkenmarkt keine Abstriche bei Grünflächen und bei der Bezahlbarkeit von Wohnungen geben. Schließlich habe der Entwurf von OSCKA gezeigt, dass eine Quote von 100 Prozent Sozialwohnungen möglich sei.

Linke fordert Beteiligung des Abgeordnetenhauses
Die Linken-Abgeordnete Katalin Gennburg sagte: „Der Molkenmarkt ist ein städtisches Quartier von großer Bedeutung für die Stadt, weshalb dessen Entwicklung auch demokratisch legitimiert sein sollte.“ Sie werde sich „selbstverständlich konsequent dafür einsetzen, dass die Charta durch das Abgeordnetenhaus beschlossen wird, so wie es uns auch von der Senatsverwaltung im vergangenen Jahr zugesichert wurde“, so Gennburg. „Eine Abkehr von dieser Zusage durch die neue Senatsleitung ist für uns nicht hinnehmbar.“
Wohlwollender reagiert die FDP. „Der Molkenmarkt ist einer der historisch bedeutendsten Orte für Berlin “, sagt der FDP-Abgeordnete Stefan Förster. „Im Sinne der Stadtreparatur ist eine kleinteilige Bebauung auf der ursprünglichen Parzellenstruktur unumgänglich, um die Individualität der Neubauten wirken zu lassen.“ Eine qualitätsvolle historisierende Bebauung wäre der Geschichte des Ortes angemessen, sei „aber kein Muss“, so Förster. „Wir brauchen qualitätvolle Architektur und eine baldige Grundsatzentscheidung, wie es am Molkenmarkt weitergehen soll. Hier muss die Stadt endlich zu einem Entschluss kommen.“
Geplant ist der Bau von bezahlbaren Wohnungen, ergänzt um gastronomische Angebote, Büros, Läden, eine Kita sowie ein breites Angebot von kulturellen Nutzungen. Realisiert werden sollen große Teile des Projekts durch die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften Degewo und WBM, auch die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) sowie ein privater Eigentümer sind beteiligt.

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