Erinnerungen an Weißrussland
FAZ vom 22.09.2022 von Claudius Seidl

Aber Plattner wäre nicht so reich, wenn er nicht fähig wäre dazuzulernen. Und deshalb darf man ihm schon glauben, dass er meinte, was er sagte, als er vor ein paar Jahren das komplett verwahrloste und teils schon verfallene „Café Minsk“ kaufte und versprach, es renovieren zu lassen: Dass er großen Respekt habe vor den Erinnerungen der Potsdamer, die sich mit dem „Café Minsk“ verbinden – und denen er hier einen Ort wiedergeben möchte. Und dass er ebenso großen Respekt habe vor der Architektur des Baus; was der Architekt Karl Heinz Birkholz da um die Mitte der Siebziger auf den Brauhausberg gestellt habe, sei kein bisschen schlechter als zum Beispiel die westdeutsche Architektur von Egon Eiermann. Allerdings war das „Minsk“ nie als Solitär gedacht. Oben auf dem Hügel steht seit 1902 die ehemalige Kriegsschule – und als ob sie diesen grimmigen, düsteren Klotz mit maximaler Modernität bekämpfen wollte, hatte die DDR darunter eine Stadtlandschaft eingerichtet, die wahrscheinlich das Heiterste war, was unter sozialistischer Herrschaft und einem preußischen Himmel nur denkbar ist.

Neben dem „Minsk“ stand die Schwimmhalle, der fast noch kühnere Bau mit einem erstaunlichen Hängedach. Und dazwischen führten Treppen, Stufen und Terrassen, von Springbrunnen ge­säumt, hinunter zum Havelufer. Die weißrussische Architekturhistorikerin Oxa­na Gouronivitch, die zur Zeit eine Ausstellung über die Beziehung zwischen dem „Café Minsk“ und der Stadt Minsk vorbereitet, glaubt in dieser sozialistischen Stadtplanung auch eine Anspielung auf die Terrassen von Sanssouci zu erkennen. Und genau so ist das „Minsk“ zu seinem Namen gekommen: Es war ein weißrussisches Spezialitätenrestaurant. Und es war als Schauplatz für Bekundungen der belorussisch-deutschen Freundschaft gedacht, mit einer Innenausstattung, die nicht einfach folkloristisch war, sondern den Sieg der Sowjetunion und insbesondere der weißrussischen SSR über Deutschland feierte und daran erinnerte, dass schon deshalb diese Freundschaft nicht selbstverständlich war.

Der Himmel über Potsdam

Davon ist nichts geblieben. Das „Minsk“ heißt so, weil es schon immer so hieß, und ist zum allergrößten Teil ein Neubau. Zu marode sei nach fast dreißig Jahren der Verwahrlosung die Substanz gewesen, sagen jetzt die Leute vom Mu­seum. Von außen sieht es aus wie das Original: sehr offen, transparent, auf allen Seiten von Terrassen umgeben. Innen hat man die geschwungene Treppe ins Obergeschoss nachgebaut. Und die neue Bar steht da, wo auch die alte stand. Besucher dürfen hier sitzen, essen, trinken und sich an der Aussicht freuen, ohne dass sie ein Ticket kaufen müssten. Fast wie im Sozialismus.

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Dass das alles jetzt das Privateigentum eines Kapitalisten ist, stört in Potsdam viele. Potsdam hat es aber nicht anders verdient. Das Volk, in Gestalt seiner gewählten Vertreter, hat das Haus erst verfallen lassen. Und als es so aussah, als ob es nicht mehr zu retten wäre, war der Abriss so gut wie beschlossen. Die Schwimmhalle ist längst verschwunden, und als ein Investor, der hier Wohnungen bauen wollte, viel Geld fürs Grundstück bot, wenn er nur das Minsk auch abreißen dürfte, gab es kaum jemanden, der dem Angebot widerstehen wollte. Hasso Plattner hat ein jetzt ein neues, schickes Museum, und dass dessen Terrassen und Treppenhaus allen offenstehen, ist mäzenatische Gnade und nicht das gute Recht der Leute. Da die Alternative das Ende des „Minsk“ gewesen wäre, muss man ihm, zähneknirschend vielleicht, dafür dankbar sein.

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