Morgenpost vom 30.09.2022 von Andreas Abel

Wohnen ist ein wichtiges, aber derzeit auch sehr schwieriges Thema. Maren Kern, Vorständin des Verbandes Berlin -Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), zeichnete beim Leserforum der Berliner Morgenpost am Mittwochabend ein düsteres Bild: „Das Wohnen steht vor einem schweren Sturmtief“, sagte sie „und damit auch die soziale Wohnungswirtschaft in Berlin .“

Was braut sich da zusammen Die Situation habe sich durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine deutlich verändert, so Kern. Erstmals seit fast zehn Jahren stiegen die Zinsen – Kredite, die für Investitionen benötigt würden, seien jetzt dreimal so teuer wie noch am Anfang des Jahres. Die seit Corona aufgetretenen Probleme bei den Lieferketten hätten sich weiter verschärft, teilweise herrsche Baustoffmangel. Die Baukosten würden weiter explodieren. Hinzu komme der Fachkräftemangel – und nun auch noch stark steigende Energiekosten. „Das ist ein toxischer Mix“, der viele Investitionsplanungen behindere, bilanzierte die BBU-Chefin. Der Verband hat allein in Berlin 132 Mitgliedsunternehmen, die hier rund 45 Prozent aller Mietwohnungen stellen. Zu den Mitgliedern zählen insbesondere die sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen sowie Genossenschaften.

Viele Probleme und Herausforderungen rund ums Bauen und Wohnen galt es beim Leserforum „Morgenpost vor Ort“ zu besprechen. „Wohnungsnot in Berlin – Wo ist der Ausweg“ war die Veranstaltung überschrieben. Mehr als zwei Stunden wurde im Maison de France am Kurfürstendamm engagiert debattiert, der Saal „Boris Vian“ war gut gefüllt. Auf dem Podium diskutierten neben Maren Kern Bausenator Andreas Geisel (SPD), Stefan Evers, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Ulrike Hamann, Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins, und Isabell Jürgens, Redakteurin für Stadtentwicklung der Berliner Morgenpost. Moderator des Abends war wieder Hajo Schumacher, Chefkolumnist der Funke Mediengruppe und Autor der Berliner Morgenpost.

Die wichtigsten Themen des Leserforums im Überblick:

Energiekosten Der Preisanstieg bei den Energiekosten treibe die allermeisten Menschen um, sagte Moderator Hajo Schumacher. „Er wird für jeden Einzelnen spürbar sein, für Mieter wie für Eigentümer“, bestätigte Morgenpost-Redakteurin Isabell Jürgens. Jedes Bundesland denke daher über eigene Hilfsprogramme nach, die Lücken in den Entlastungspaketen der Bundesregierung schließen sollen. Mieterverein-Geschäftsführerin Ulrike Hamann berichtete, die Sorgen der Mieter würden in den Beratungsgesprächen des Vereins zunehmend thematisiert, die Angebote zur Energieberatung und -einsparung seien sehr stark nachgefragt. Hamann riet, die Vorauszahlungen für Energieleistungen den neuen Gegebenheiten anzupassen. Die Mieter sollten sich die Rechnungen aber auch genau ansehen, jede Änderung der Vorauszahlung müsse begründet sein.

Maren Kern teilte mit, dass die Gasag Energie noch günstig eingekauft habe. „Das kann bis in den Herbst nächsten Jahres reichen. Aber dann geht es hoch. Uns steht jetzt ein schwieriger Winter bevor. Aber der Winter danach wird noch schwieriger.“

Energiepreisdeckel Einen solchen Deckel hatte kürzlich die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) ins Gespräch gebracht – und dabei eine Idee der CDU übernommen, wie Stefan Evers, der auch Generalsekretär der Berliner Christdemokraten ist, süffisant bemerkte. Er empfahl, dass Privatverbraucher für einen Grundbedarf von etwa 80 Prozent des vorherigen Jahres den Durchschnittspreis der Vorjahre zahlen, die Differenz solle der Staat direkt bei den Energieversorgern übernehmen. Maren Kern schlug vor, die Heizkosten bei 40 Prozent der Nettokaltmiete zu deckeln.

Auch der Bausenator machte sich für einen Energiepreisdeckel stark. Er sei die sozialere und sicherere Lösung. Anderenfalls müssten alle Betroffenen, die Unterstützung benötigen, Anträge stellen. In Berlin wären das voraussichtlich mehr als 600.000 Menschen. Diese Anträge müssten auch bearbeitet werden. „Wo sollen die Mitarbeiter dafür herkommen“, fragte Andreas Geisel. Deshalb sei es der richtige Weg, die Kosten gar nicht erst entstehen zu lassen. Er sei optimistisch, dass sich die Bundesregierung darauf einigen kann.

Kündigungsmoratorium Einen solchen Kündigungsschutz für Mieter bei landeseigenen Gesellschaften, die hohe Energiekosten nicht bezahlen können, hält Isabell Jürgens für „sehr sinnvoll“. Denn der Betrag von zwei Monatsmieten, der eine außerordentliche Kündigung rechtlich erlaube, sei schnell erreicht. Sie begrüßte auch den Appell, das bei privaten Vermietern ebenso zu handhaben. Allerdings dürften diese nicht dauerhaft auf den Kosten sitzenbleiben. Das könnten insbesondere Einzeleigentümer nicht verkraften. Das gelte auch für viele Wohnungsunternehmen, warf Maren Kern ein. Diese müssten bei den Energieversorgern in Vorleistung treten, da gehe es bei mittleren Unternehmen schnell um zweistellige Millionenbeträge. 15 Prozent der kleineren BBU-Mitglieder befürchteten eine Insolvenz. Daher müsse eine Absicherung der Wohnungsunternehmen beschlossen werden. Bausenator Geisel sagte, um diese Probleme und damit Kündigungen zu vermeiden schaffe der Senat einen Härtefallfonds für Mieter.

Stadtentwicklung und Neubau „Die Zukunft Berlins wird heute entschieden“, sagte Andreas Geisel, „nicht in zehn Jahren, dann ist es zu spät.“ Um die Berliner Mischung zu erhalten, müsse auch in der Innenstadt preiswerter Wohnungsbau realisiert werden. Zudem wachse Berlin weiter, eine „übergroße Nachfrage“ treffe auf ein „viel zu kleines Angebot“. Daher komme man um bezahlbaren Wohnungsbau in erheblicher Größenordnung nicht herum. Außerdem müsse die Ampel-Koalition im Bund ihren Koalitionsvertrag umsetzen und endlich eine Begrenzung von Mietsteigerungen und eine wirksamere Mietpreisbremse ermöglichen.

Um die Bodenversiegelung und damit den „Flächenfraß“ einzudämmen, müsse höher und dichter gebaut werden als bisher, mahnte Geisel. „Wir müssen die Stadt der Zukunft bauen.“ Die Vorstellung, dass sich Dichte und städtebauliche Qualität ausschließen, sei falsch. Stefan Evers kritisierte indes, es reiche nicht, „Wohnsilos in jede Ecke der Stadt zu klatschen, egal, wie die Nachbarschaft aussieht“.

Um Quartiere beliebt und lebenswert zu machen, genüge eine dichte Bebauung nicht. Wichtig seien auch Gestaltung und eine funktionierende Infrastruktur.

Weitgehende Einigkeit herrschte auf dem Podium, dass Bauvorschriften entschärft werden müssten, um das Bauen – und somit später auch die Mieten – wieder preiswerter zu machen. Das gelte insbesondere für die Energieeffizienz. Statt für viel Geld „jedes Haus dichter einzupacken“ (Geisel), müsse es Wege der Energieerzeugung im Wohnquartier geben.

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