Die 90-jährige Unternehmerin und Autorin Marie-Luise Schwarz-Schilling will die historische Stadt wiederaufleben lassen
Berliner Morgenpost vom 02.10.2022 von Isabell Jürgens

Es gab unzählige Stadtdebatten, Workshops und Wettbewerbe, die sich mit der Frage beschäftigten, wie das durch Kriegszerstörungen und den autogerechten Stadtumbau abgeräumte Herz der Stadt künftig aussehen soll. Die bislang erzielten Ergebnisse haben die Unternehmerin und Autorin Marie-Luise Schwarz-Schilling jedoch nicht überzeugt. Statt weiter zu versuchen, ein neues Gesicht der Stadt zu formen, „sollte man lieber versuchen, an einigen Stellen das alte Berlin wiederherzustellen – „einfach, weil es schön war“, sagt die 90-Jährige. Und hat, um für dieses Ziel zu werben, die „Stiftung Mitte Berlin (SMB) – Für das Herz der Stadt“ gegründet, deren Vorsitzende sie ist.

„Berlin ist eine wunderbare Stadt, aber seine Mitte ist heute eine Betonwüste“, begründet die gebürtige Berlinerin ihr Engagement. „Spät aber nicht zu spät“, habe sie deshalb die Initiative ergriffen, um für ihr geliebtes Berlin etwas zu tun. Die mit dem früheren Postminister Christian Schwarz-Schilling verheiratete Diplomvolkswirtin lebt heute in Berlin -Friedenau und im hessischen Büdingen. Dort leitete sie von Ende der 1950er- bis Anfang der 1990er-Jahre die Akkumulatorenfabrik „Sonnenschein“ mit rund eintausend Beschäftigten.

Mit der Teilrekonstruktion des Berliner Schlosses und aktuell dem Rückbau der Grunerstraße am Molkenmarkt , der Platz schaffen soll für „ein lebendiges Quartier mit einer vielfältigen Mischung aus Wohnen, Gewerbe und Kultur“, wie es in der Absichtserklärung des Berliner Senats heißt, will sich Marie-Luise Schwarz-Schilling nicht zufrieden geben. Zumal das aufwendige Wettbewerbsverfahren zur Wiedererrichtung des Molkenmarkts jüngst ergebnislos beendet wurde, weil sich die Jury letztlich nicht einigen konnte.

„Die Architektur in Mitte ist jammervoll“
„Die Architektur in Mitte ist jammervoll. Viel Beton, mittendurch quasi eine Autobahn und rechts und links davon hässliche Gebäude“, sagt die Stiftungsgründerin. Die SMB setze sich dafür ein, dass im Bereich der ehemaligen Altstadt möglichst viele Plätze, Gebäude und Denkmäler aus der Zeit vor 1933 wiedergewonnen werden. Gerade der Richtungsstreit um den Molkenmarkt eröffne an dieser Stelle die Möglichkeit, noch einmal nachzudenken: „Die Grundstückszuschnitte müssen viel kleinteiliger werden, sonst entstehen hier wieder riesige, seelenlose Blöcke, zwischen denen sich kein Mensch wohlfühlt“, ist sie überzeugt.

Doch der Stiftung geht es nicht nur um den Molkenmarkt , sondern um den gesamten Gründungsort Berlins. Auch das sogenannte Marx-Engels-Forum , die Freifläche zwischen Alexanderplatz und dem Humboldt Forum, die in den vergangenen Jahren vor allem der BVG als Baustelleneinrichtung für den inzwischen abgeschlossenen Lückenschluss der U-Bahnlinie 5 diente, will die Stiftung bebaut wissen. Wohl wissend, dass für das Areal zwischen Spree und Fernsehturm 2021 ein Siegerentwurf für die Neugestaltung gekürt wurde, der keine erneute Bebauung vorsieht.

Visualisierungen auf Basis eines präzisen Vermessungsplans
„Mir ist klar, dass ich mit meinem Engagement auch politischen Gegenwind bekommen werde“, sagt Marie-Luise Schwarz-Schilling, „aber ein Shitstorm entmutigt mich nicht.“ Sie handele schließlich nicht aus eigennützigen wirtschaftlichen Motiven oder Nostalgie – „sondern einfach, weil mir die Schönheit der Stadt am Herzen liegt.“

Um die Bürger und auch die Politiker davon zu überzeugen, dass das auch unter der Berücksichtigung der heute schon errichteten Gebäude möglich ist, hat ihre Stiftung das Büro Pixelcraft aus Katowitz/Katowice in Polen damit beauftragt, zu visualisieren, wie die Berliner Mitte künftig aussehen könnte, wenn die Gebäude der Berliner Mitte 1928 in das Jahr 2028 übertragen werden .

„Dazu bekam Pixelcraft einen präzisen Vermessungsplan mit den Kamerastandpunkten, Ausschnitte aus einem einfachen 3D-Modell von Philipp Jädicke, das bereits die gewünschte Gleichzeitigkeit der Bauten des Jahres 1928 und der DDR- Bauten zeigte, ferner zu jeder Visualisierung einen Ordner, in dem eine große Fülle historischer und aktueller Fotos des jeweiligen Aufnahmestandpunktes enthalten waren“, erläutert Benedikt Goebel das Verfahren. Der Stadtforscher gehört zu den Vorstandsmitgliedern der Stiftung.

„Da weder ein guter Städtebau - noch ein guter Architekturentwurf für die ehemalige Berliner Altstadt vorliegt und jeder moderne Entwurf ästhetisch umstritten ist, wählten wir den Zustand des Jahres 1928 – als Berlin in einzigartiger kultureller Blüte stand – als Vorbild für die Visualisierungskünstler aus“. begründet Goebel das Vorgehen.

„Es gibt zwar mehr als 20 verschiedene Vereine, die sich um die Wiedergewinnung der Altstadt kümmern“, fügt Stiftungsgründerin Schwarz-Schilling hinzu. Doch diesen fehlten häufig die finanziellen Mittel. „Dafür habe ich die Stiftung gegründet, um Geld bereitzustellen, damit eine wirkungsvolle Kampagne gestartet werden kann.“

Nach Angaben der Stifterin seien bereits 50.000 Euro in die Kampagne geflossen – für Versicherungen, die Erstellung der Bilder und zur Co-Finanzierung des „Mitte-Festivals“. Das findet gemeinsam mit weiteren 18 Vereinen, sechs Stiftungen und einem Freien Theater in der Parochialkirche am U-Bahnhof Klosterstraße statt. Vom 19. bis 23. Oktober finden jeweils von 12 bis 20 Uhr eine Vielzahl von Veranstaltungen und Diskussionen statt, zudem gibt es eine Ausstellung.

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