Zu hoch, zu massig? Die jüngst laut gewordene Kritik an der James-Simon-Galerie, dem geplanten Eingangsgebäude der Museumsinsel, ist weltfremd.

Tagesspiegel, 15.03.2010 - Von Bernhard Schulz

Fünf Monate lang war es ruhig um die Museumsinsel – eine halbe Million Besucher im Neuen Museum seit der Wiedereröffnung Mitte Oktober haben alle zuvor aufgeflammte Kritik besänftigt. Vor allem die Leistung, die der Londoner Architekt David Chipperfield vollbracht hat. Jede seiner Entscheidungen hat er begründet, und keine findet heute noch ernstzunehmende Gegner.

Doch nun geht es für Chipperfield in die nächste Runde. Die „Gesellschaft Historisches Berlin“, der unermüdlichste aller Kritiker am Tun des Architekten, hat dessen nächstes Projekt im Visier, das James-Simon-Galerie genannte Eingangsgebäude. In Kürze soll Baubeginn für das 73 Millionen Euro schwere Projekt sein. Im Herbst ist Grundsteinlegung.

Die „Gesellschaft“, eine veritable Bürgerinitiative, beklagt, dass aufgrund der Größe und Massigkeit der Galerie das dahinter liegende Neue Museum für den Passanten am Kupfergrabenufer vollständig verdeckt wird. Die Kritik ist insofern nicht ohne Ironie, weil es ausgerechnet diese Westfassade ist, die die schärfste Kritik des Vereins erhalten hat. Bei einer Gesamthöhe des Eingangsgebäudes von 19 Metern ist es tatsächlich unmöglich, die Fassade des Museums zu sehen.

Nur: Es hat diese Möglichkeit nur zeitweise gegeben. Vor dem Museum stand der 1832 errichtete Packhof von Schinkel, der 1938 abgerissen wurde. Das meistverwendete Foto vom Packhof und dahinter dem Neues Museum – auf der Website der „Gesellschaft“ zu sehen – ist ebenfalls aus optischen Gründen aus der Höhe eines zweiten Geschosses aufgenommen. Exakt dieselbe Stelle verwendet die Computeranimation von Chipperfield, zu sehen auf der Website der Staatlichen Museen (www.museumsinsel-berlin.de). Das Büro Chipperfield beharrt darauf, dass die Hauptansicht stets von Schlossbrücke und Lustgarten her bestand. Von dort aus gelangt man künftig auf die Freitreppe in die James-Simon-Galerie. „Die zum Lustgarten hin geöffnete und weithin sichtbare Freitreppe entspricht der Funktion des Hauses als Empfangsgebäude für den Museumskomplex und greift ebenfalls ein prägendes historisches Element auf“, bekräftigte Hermann Parzinger, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, sein Eintreten für die Chipperfield-Planung.

Viel Lärm also um nichts? Immerhin liegt der Entwurf Chipperfields seit 2007 vor. Jetzt ist die Feinplanung dran. So wurde der Abstand zwischen den Stützen der auf einem mehr als neun Meter hohen Mauersockel aufgesetzten Halle verringert, um die Maßverhältnisse der Feinbeton-Stützen denen der Kolonnaden Friedrich August Stülers anzupassen – ein Detail, das den am Neuen Museum so gelobten Umgang des Architekten mit der Historie verdeutlicht. Allerdings bedeckt die 104 Meter lange Halle den gesamten Uferbereich bis zum Pergamonmuseum und lässt, anders als der wesentlich kürzere Packhof, keine baumbestandene Sichtlücke.

Problematischer ist die Raumverteilung. Die Besucherströme müssen sich auf einem immer schmaler werden Gang entlangdrücken, um zur Kasse am Ende des Hauses zu gelangen. Das in der Mitte gelegene Café entspricht mit nur vier Metern Breite bei 45 Metern Länge nicht ganz den Notwendigkeiten, zumal für kaffeedurstige Gruppen. Lange Wege müssen die Kellner zurücklegen, zumal der Tresen am äußersten Ende liegt. Die Zahl von 88 Plätzen an straff gereihten Tischen scheint knapp bemessen. Mehr Platz ist nicht, ohne den offenen Wandelgang an der Wasserseite zu opfern. Der gehört zum Kern des Entwurfs – und verspricht ein geradezu athenisches Schlendern hoch über dem Wasser.

Anderes hat sich verbessert. Künftig wird es einen unmittelbaren Zugang ins benachbarte Pergamonmuseum geben, genau auf der Höhe von dessen Hauptausstellungsebene. Wer ins Neue Museum will, muss Treppen steigen oder aber das Eingangsgebäude (buchstäblich) links liegen. Von dort führt der Weg zum Westportal des Museums. Zudem führen die Kolonnaden zum Haupteingang auf der Innenseite der Museumsinsel, gerade so, wie Stüler das immer gewollt hatte.

Genau zehn Jahre lang ist die Museumsinsel jetzt Weltkulturerbe der Unesco. So sind denn auch alle Änderungen mit Icomos, der Fachkommission der Unesco, abgesprochen und von ihr gebilligt, und zwar bis auf den heutigen Tag, wie Alexander Schwarz, Projektleiter im Büro Chipperfield, versichert. Bereits Ende März vergangenen Jahres stellte das Landesdenkmalamt bündig fest: „Der Entwurf fügt sich durch seine Gestaltung, Größe und Höhenentwicklung als moderne, zeitgemäße Ergänzung, im Sinne des Weiterbauen im und am Denkmal bzw. im Welterbe, in das bestehende Ensemble ein.“ Kurz vor Baubeginn sucht der Geschichtsverein offenbar die letzte Chance für seine Kritik und fordert rundheraus, „auf die Errichtung eines zentralen Eingangsgebäudes zu verzichten“.

Bei prognostizierten vier Millionen Besuchern im Jahr auf der Museumsinsel ist das eine reichlich weltfremde Forderung. Den Zugang auch für Touristengruppen zu sichern, entspricht dem Bildungsauftrag der Museen, frei von Zugangsbeschränkungen zu sein. Vielleicht wird die Archäologische Promenade, die erst nach 2025 vier Häuser der Insel – außer der Alten Nationalgalerie – verbinden soll, noch Kopfzerbrechen verursachen. Die Promenade für diejenigen, die alle vier archäologischen Museen auf einmal bewältigen wollen, ist ein Lieblingsthema einiger Kritiker. Doch niemand wird die Promenade benutzen müssen, der es nicht will.

Mit dem Beweis, dass ein Haus wie das Neue Museum mit eigenem Eingang und Garderobe 100 000 Besucher pro Monat bewältigen kann, sollte diese Klage endgültig erledigt sein. Und ein Café hat das so wundervoll hergerichtete Haus übrigens auch, klein aber fein. Es ging nicht anders, um den historischen Saalrundgang nicht zu zerstören. Da ist man unter sich, um über Nofretete zu sinnieren.


Stellungsnahmen, Leserbriefe zu obigen Artikel aus dem Tagesspiegel:

Die sogenannte Säulenhalle der "Star"-Architekten Chipperfield verdient ihren Namen nun wirklich nicht. Diese Art von Säulengang hätte Karl Friedrich Schinkel und Friedrich August Stüler die Schamesröte ins Gesicht getrieben, hätten sie es als ihr Werk verkaufen müssen.
Zumal eine Säule einen runden Querschnitt besitzt und sich dadurch vom Pfeiler unterscheidet. Dieser überdimensionierte Raubtierkäfig ist somit eigentlich eine Pfeilerhalle, die nichts von römischer und griechischer Gestaltungskunst versteht, geschweige denn vom Goldenen Schnitt, dem die deutschen Architekten sowieso den Kampf angesagt haben.
Die in ihrer Schlichtheit und damit Belanglosigkeit nicht mehr zu überbietende Pfeilerhalle findet ihre Ergänzung in einer fast 10 Meter hohen Kaimauer. Sie vermittelt den Touristen am Kupfergraben einen guten Eindruck über die derzeitige Berliner Vorstellungen von "Baukunst".
Die Architektur muss lernen, dass Kunst durch Erschaffen entsteht und nicht durch Weglassen. Weglassen kann jeder, etwas so Großartiges zu schaffen wie eine echte griechische Säulenhalle nur wenige. Herr Chipperfield gehört jedenfalls nicht dazu.

Fabian Fesser, per E-Mail vom 17.03.2010


Offenbar musste sich Herr Schulz mit seinem Artikel selbst Mut machen, da nun Stück für Stück zur ästhetischen auch die funktionelle Untauglichkeit des Chipperfieldschen Entwurfs zum Vorschein kommt.
1. Wenn Chipperfield und die SPKB hervorheben, dass die Freitreppe des Eingangsgebäudes zum Lustgarten geöffnet und dies stets die Hauptansicht des Neuen Museums gewesen sei, so unterschlagen sie dabei, dass nach der Verkehrsplanung des Senats genau vor dieser Freitreppe ständig Reisebusse halten und sowohl die Sicht auf die Gebäude als auch den Übergang über die Bodestraße zur Treppe zum Lustgarten versperren werden. Herr Schulz gibt selbst zu, dass anders als früher beim Packhof die Chipperfieldsche Eingangshalle keine Sichtlücke in den Museumskomplex belässt. Auch darf man gespannt sein, wie die auf der Stützengalerie zu treffenden Sicherheitsmaßnahmen deren Erscheinungsbild noch beeinträchtigen werden.

2. Die Raumverteilung als "problematisch" zu bezeichnen, ist eine hoffnungslose Beschönigung, die sich nur aus der Argumentationsnot des Autors erklären lässt. Tatsächlich ist sie eine Katastrophe. Zu ergänzen ist, dass auch der Platz für den Museumsshop so geriung bemessen ist, dass eine kommerziell einträgliche Bewirtschaftung unmöglich erscheint. Das sonst so gern vorgebrachte Argument, dass die Form der Funktion zu folgen habe, ist hier vollkommen auf den Kopf gestellt: die dogmatisch vorgegebene Form erzwingt totale Disfunktion. Dazu zählt auch das vom Autor erwähnte Treppenwirrwarr, das durch die erforderlichen Behindertenzugänge noch verstärkt werden wird.

3. Die bewusste Falschbehauptung, dass die gravierenden Änderungen am Welterbe mit Icomos abgesprochen von ihr gebilligt seien, wird durch permanente Wiederholung nicht richtiger. Auf welche Quelle bezieht sich Herr Schulz? Ein entsprechendes Gutachten von Icomos hat nie jemand zu Gesicht bekommen; es findet sich weder bei der UNESCO noch beim Senat von Berlin. Warum werden nicht die Originalpläne von Messel für diesen Ort und für den Abschluss des Pergamonmuseums endlich vollendet? Will man wirklich das Werk der Nazis fortsetzen, die Messel stoppten, weil er Jude war?

4. Warum sollen wir eigentlich vier Millionen Besucher im Jahr auf der Museumsinsel akzeptieren, wenn dafür unerträgliche Einbußen am Welterbe in Kauf genommen werden müssen? Viele andere Welterbestätten begrenzen ihre tägliche Besucherzahl, übrigens auch in China, von wo man die großen Besucherströme der Zukunft erwartet. Es scheint, dass die Balance von Qualität und Quantität auf der Museumsinsel krass zugunsten der letzteren verschoben werden soll.

5. Hierzu gehört auch, dass aus dem Senat selbst bekannt wurde, dass das dort entworfene Verkehrskonzept nicht tragfähig sei. Man wird noch sehen, dass für den Verkehr eine Tiefgarage unter dem Lustgarten (für Museumsinsel und Humboldt-Forum) die einzig praktikable Lösung darstellt. Nur drücken sich die Verantwortlichen um diese Einsicht, weil sich dann eben die ganze Sinnlosigkeit des Eingangsgebäudes und die vom Bundestag vorschnell (ohne Prüfung) zugesagte Finanzierung herausstellen würde. Also schließen alle die Augen. Wenn das Malheur dann für alle sichtbar da ist, wird man sagen: Das haben wir nicht vorhersehen können. Kann man aber, wenn man näher hinsieht.

Stephan Dömpke, per Mail vom 19. März 2010


Leserbrief von Lienhard Spatz vom 15. März 2010, PDF [4MB]