Berliner Zeitung vom 18.10.2022 von Ulrich Paul

In der Berliner Stadtentwicklung gibt es gerade viel zu tun. Berlin muss zusehen, dass sich die Stadt in Anbetracht des Klimawandels, des Wohnraummangels und akuter Abstiegsängste vieler Menschen als Ort bewährt, der den sozialen Zusammenhalt stärkt und Zukunftsaufgaben wie die Mobilitätswende bewältigt.

Doch ausgerechnet in dieser Zeit, in der es im besonderen Maße auf verlässliches Handeln des politischen Führungspersonals ankommt, erschüttert der fragwürdige Ausgang des Werkstattverfahrens zur Neugestaltung des Molkenmarkts die Glaubwürdigkeit hiesiger Entscheidungsträger. Konkret: die Glaubwürdigkeit von Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt.

Das Werkstattverfahren zum Molkenmarkt war, wie inzwischen allgemein bekannt, zu Ende gegangen, ohne dass einer der beiden Entwürfe, die es in die engere Wahl geschafft hatten, zum Sieger gekürt wurde. Keine Frage, eine Stadt kann dies machen, wenn die Verantwortlichen der Auffassung sind, dass keiner der Entwürfe geeignet ist. Kahlfeldt und die Juryvorsitzende im Werkstattverfahren, Christa Reicher, haben aber versucht den Eindruck zu erwecken, dass es nie geplant gewesen sei, einen Siegerentwurf auszuwählen. Als sei es nur darum gegangen, dass das Preisgericht Empfehlungen für die weitere Bearbeitung ausspricht. Die Zahl der Belege, die genau das Gegenteil nahelegen, ist jedoch erdrückend groß.

Dass es offenbar Inkonsistenzen in der Ausschreibung gegeben hat, ist noch die freundlichste Form der Erklärung für dieses Desaster.

Tatsächlich drängt sich der Verdacht auf, dass hier eine öffentlich angekündigte Verfahrensweise im Nachhinein geändert wurde, ohne dies zu kommunizieren und die Gründe offenzulegen. Da hilft es auch nicht weiter, wenn die Senatsbaudirektorin und die Juryvorsitzende nun davon sprechen, dass ja im Grunde beide Planerteams die Gewinner seien. Erst recht nicht, wenn die Juryvorsitzende zugleich anmerkt, die Entwürfe seien in der jetzigen Form so „nicht umzusetzen“.

Die weitere Planung für den Molkenmarkt steuert schon auf den nächsten Glaubwürdigkeitskonflikt zu. So soll die Charta Molkenmarkt mit dem dazugehörigen Rahmenplan in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung erarbeitet, im Senat beschlossen und dem Abgeordnetenhaus nur zur Kenntnis vorgelegt werden.

Die Volksvertretung soll also nicht mitbestimmen dürfen. Dabei war anderes versprochen. Ein leitender Mitarbeiter der Stadtentwicklungsbehörde hatte am 8. Oktober 2021 erklärt, dass das Abgeordnetenhaus einbezogen werden soll. Kahlfeldt sagt zwar jetzt, dass sie da „noch gar nicht im Amt“ war. Aber der Mitarbeiter war es. Das sollte reichen. Sonst könnten sämtliche Aussagen zur Stadtentwicklung, die vor der Amtszeit Petra Kahlfeldts getroffen wurden, nachträglich in Zweifel gezogen werden. Das wäre fatal.

Klar ist: Durch das Verfahren am Molkenmarkt wurde nicht nur die Glaubwürdigkeit Kahlfeldts nachhaltig erschüttert, zugleich hat das Ansehen der Berliner Stadtentwicklungspolitik schweren Schaden genommen. In Anbetracht der riesigen Aufgaben, vor denen Berlin gerade steht, ist das das letzte, was die Stadt braucht.

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