FAZ vom 20.10.2022 von Andreas Kilb

Der größte deutsche Architekt? Karl Friedrich Schinkel. Und unter Schinkels Architekturen nimmt die 1836 errichtete Berliner Bauakademie einen Spitzenplatz ein. Das sehen auch die Bundesbürger so: Noch jede Straßenumfrage ergibt eine Zweidrittelmehrheit für den Wiederaufbau des im Zweiten Weltkrieg ausgebrannten und 1962 vom DDR-Regime abgerissenen Gebäudes. Und die Politik respektiert den Bürgerwillen: Vor sechs Jahren stellte der Bundestag 62 Millionen Euro für die Rekonstruktion der Bauakademie zur Verfügung, und das Land Berlin , dem das Grundstück gehört, sagte zu, es an den Bund zu überschreiben.

Aber all das reicht für die Bundesstiftung Bauakademie, die vor drei Jahren gegründet wurde, um das Wiederaufbauprojekt voranzutreiben, nicht aus. Sie möchte, in den Worten ihres Direktors Guido Spars, ein Gebäude "im Sinne Schinkels" errichten, das einer "ganzheitlichen, nachhaltigen Planung und Bauweise " verpflichtet sei. Deshalb hat sie einen knapp vierzigköpfigen "Thinktank" berufen, in dem vor allem Gegner der Rekonstruktion sitzen, und flankierend an zwei Wochenenden eine "Bürger*innenwerkstatt" abgehalten, deren Anregungen dem Gremium zuflossen.

Am Mittwoch stellte nun der Thinktank die Ergebnisse seiner Arbeit vor. Sie lauten wie erwartet: Man will ein Haus mit "Reallaborcharakter", eine "offene Wissens- und Dialogplattform", einen "respektvollen Umgang" mit der Geschichte des Ortes - aber eben keinen Schinkelbau. Nur spricht es niemand offen aus. Die Botschaft, dass Schinkel aus dem Spiel ist, wird hinter Bekundungen von Liberalität versteckt: Man sei für alles offen, aber der "Anspruch an Klimaresilienz" durch regenerative Materialien müsse schon eingelöst werden. Deshalb sei auch "Fassaden- oder Dachbegrünung" denkbar. Nun war Schinkels Akademie in der Tat ihrer Zeit weit voraus - sie ist die gebaute Gründungsakte des architektonischen Funktionalismus in Deutschland. Aber mit der Erderwärmung konnte Schinkel ebenso wenig rechnen wie die Erbauer des Kölner Doms oder des Brandenburger Tors.

Dass die Bundesstiftung und ihre Berater jetzt das Klimaschutzargument aus dem Ärmel ziehen, um die Wiedererrichtung der Bauakademie zu verhindern, disqualifiziert sie für ihre Aufgabe. Denn mit dieselbe Begründung ließe sich gegen die Rekonstruktion jedes anderen zerstörten historischen Bauwerks anführen. Auch die Dresdner Frauenkirche war nicht klimaneutral; hätte man ihre Trümmer lieber begrünen sollen? Was hier aufgeführt wird, ist ein Stück Lobbyismus im ökologischen Kostüm: Die deutsche Architekten- und Stadtplanerszene möchte das Budget, das für die Bauakademie vorgesehen ist, für ihre Selbstdarstellungs- und Vernetzungszwecke nutzen. Das muss die Politik verhindern, wenn sie im Sinne Schinkels handeln will. Denn der Architekt Preußens dachte bei seinen Bauprojekten weder an ständische noch an Parteiinteressen, sondern an die Gesellschaft als Ganzes. An die Menschheit, wenn man so will.

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