Frankfurter Allgemeine, 19.03.2010 - Von Andreas Kilb
Der Eingangsbau von David Chipperfield für die Berliner Museumsinsel stand von Anfang an unter scharfer Beobachtung. Als der britische Architekt vor vier Jahren seinen ersten, aus gestaffelten Glaskuben bestehenden Entwurf präsentierte, löste er allgemeine Entrüstung aus; Chipperfield musste nachbessern. Sein neues Konzept, das seit 2007 vorliegt, stieß auf breite Zustimmung.
In wenigen Tagen soll nun Baubeginn für die James-Simon-Galerie sein, ein schlankes, auf hohem Sockel über dem Kupfergraben ruhendes Ensemble aus Säulenhalle, Besucherzentrum, Passage, Auditorium und Ausstellungsraum. Doch plötzlich züngelt wieder ein Flämmchen aus der Asche der Debatte. Die "Gesellschaft Historisches Berlin", bereits einschlägig gegen Chipperfields Rekonstruktion des Neuen Museums engagiert, hat nachgemessen und festgestellt, dass man ebenjenen Stülerbau aus der Fußgängerperspektive über das Wasser hinweg nach der jetzigen Planung nicht mehr wird sehen können. Zwar hatten fast alle Vorkriegsbesucher des Stüler-Museums das gleiche Problem, denn vor seiner Westfassade stand bis 1938 das von Karl Friedrich Schinkel entworfene klassizistische Packhaus. Doch von solchen historischen Tatsachen – um derentwillen Stiller den Haupteingang seines Museums an die Ostseite im Inneren der Museumsinsel verlegte – lassen sich die frommen Eiferer des Bürgervereins nicht beirren. Chipperfield und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, so erklären sie, hätten die Öffentlichkeit mit Computersimulationen über die wahre Höhe des Eingangsgebäudes getäuscht ; zudem würde der Sockel die denkmalgeschützte Bausubstanz der alten Ufermauer zerstören. Der Streit zwischen Berliner Historisten und preußischen Modernisierern ist, wie man sieht, inzwischen an der unteren Wasserkante des Welterbes angekommen. Und dort wird er so lange weiter gurgeln und zischen, bis die elegante, komplizierte und für die Museumsinsel bitter notwendige James-Simon-Galerie, deren Grundstein im Herbst gelegt wird, endlich steht. Denn in Architekturdebatten entscheidet nicht das gedruckte, verfilmte oder gebloggte, sondern allein das gebaute Argument. Den Planern des Humboldt-Forums auf dem Berliner Schlossplatz sollte das ein Ansporn und eine Lehre sein.
Stellungsnahmen, Leserbriefe zu obigen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen:
Der alte Packhof fügte sich nicht nur in seiner klassizistischen Fassadengestaltung nahtlos in das Ensemble der Museumsinsel ein, sondern war sowohl kürzer, als auch 5 Meter niedriger als die neue James-Simon-Galerie, die auf einer fast 10 Meter hohen Steinmauer thronen wird. Zwar war das neue Museum durch Baumbewuchs bis 1938 nicht zu sehen, doch bei einer Rekonstruktion des Packhofes müsste hier ja nicht der gleiche Fehler gemacht werden.
Sie sollten sich vorher mit der Gesellschaft Historisches Berlin e.V. in Verbindung setzen, da hier nicht "alte Preußen" rummäkeln, sondern ausgebildete Fachleute, wie Diplomingenieure, Architekten und Kunsthistoriker.
Fabian Fesser, per E-Mail vom 19.03.2010
Der Artikel „Aus der Asche" zur geplanten James-Simon-Galerie als Eingangsbau vor dem Neuen Museum in Berlin von „kil" verdreht und unterschlägt einige wichtige Tatsachen.
Das plötzlich vorzüngelnde „Flämmchen aus der Asche der Debatte" durch die „frommen Eiferer" der Gesellschaft Historisches Berlin ist eben alles Andere als unbedeutend, weil sachlich begründet.
Die Frage, warum die Galerie, die übrigens nur so aussehen und inhaltlich gar keine sein wird, „bitter notwendig" sein soll, bleibt ohnehin offen.
Es trifft zwar zu, dass das Neue Museum durch das Direktionsgebäude des Packhofes (der Packhof selbst musste schon früher den nördlicher liegenden Museumsbauten Platz machen) bis zum Abriss im Jahr 1938 verdeckt war - aber im Gegensatz zur geplanten Galerie eben nur teilweise.
Diese Galerie wird ohne funktionale Begründung so hoch sein und mit 104 Meter Länge den gesamten Uferbereich bis zum Pergamon-Museum einnehmen, während das niedrige Direktionsgebäude wesentlich kürzer war und eine breite Sicht auf den Mittelrisalit sowie den linken Flügel des Neuen Museums frei ließ. Das ist ausgerechnet der im Krieg zerstörte Fassadenteil, der durch Chipperfield modernistisch frei gestaltet werden durfte und damit die klassische Symmetrie des Gebäudes zerstört hat.
Oder wird der Anblick des von Chipperfield entstellten Neuen Museums nach dem inzwischen erfolgten Abbau der Gerüste als so peinlich empfunden, dass man es doch lieber verstecken möchte .... ?
Denn wie „kil" in diesem Fall am Schluss zutreffend bemerkt: Architekturdebatten entscheidet allein das gebaute Argument!
Jörg Görn, 20. März 2010
Ihre Glosse lenkt vom eigentlichen Problem ab.
Zu Ihren falschen Aussagen noch einige Richtigstellungen:
Chipperfield hat keine Säulenhalle geplant, sondern lange schlauchartige Pfeilergänge.
Zur Vervollständigung Ihrer Bildung: Säulen sind immer rund. Bei dem im Jahre 1938 abgerissenen Gebäude handelt es sich nicht um ein Packhaus, sondern lediglich nur um das Direktorengebäude des ehemaligen Packhofes. Dieses Gebäude war nicht einmal halb solang wie das Neue Museum und fünf Meter niedriger als das jetzt geplante Gebäude. Für den Fußgänger war also vom Kupfergraben her mehr als die Hälfte der Westansicht des Neuen Museums sichtbar.
Zum Schluss haben Sie noch eine Frage gestellt und nicht beantwortet: Was geschieht, wenn das gebaute Argument nicht überzeugt?
Dipl. Ing. Gerhard Hoya , 19. März 2010
Mitglied des Denkmalpflegeausschusses
der Baukammer Berlin